Haben Fische Selbstbewusstsein?

Nur wenige Tiere erkennen sich selbst im Spiegel. Der Test gilt als ein Zeichen für ein höheres Bewusstsein. Umso erstaunter waren Forscher, dass eine relativ unscheinbare Fischart ihn jetzt bestanden hat.

Er gilt als Lackmustest für die Selbstwahrnehmung und das Ich-Bewusstsein: der Spiegeltest - wenn Menschen oder Tiere im Spiegel erkennen, dass sie einen künstlichen Fleck im Gesicht oder am Körper haben. Lebewesen mit einem höheren Bewusstsein greifen dann nicht auf den glatten Spiegel, sondern dorthin, wo sich das Mal tatsächlich befindet, also auf sich selbst. Kleinkinder bestehen den Test mit ungefähr 20 Monaten; ab diesem Zeitpunkt entwickeln sie eine Vorstellung von sich selbst - so die psychologische Erklärung.

Nur wenige Tiere meistern den Test: z.B. Schimpansen, Delfine, Elefanten und Elstern. Der logisch klingende Schluss: Nur eine Handvoll Arten besitzt eine Vorstellung vom eigenen Ich. Manche halten den mittlerweile etwa 50 Jahre alten Spiegeltest für unzureichend, um eine so grundlegende Frage zu entscheiden. Der Test würde in der Praxis oft allein deswegen scheitern, weil vielen Arten die geeigneten Gliedmaßen fehlen, um sich selbst ins Gesicht oder anderswohin zu fassen. Auf der anderen Seite sei das Kriterium auch nicht hinreichend für ein höheres Bewusstsein, meinen Kritiker des Tests.

Unterschätzte Fische

In ihrer aktuellen Studie haben die Forscher um Masanori Kohda von der Osaka City Universität den Spiegeltest nun mit einer Art durchgeführt, der man gemeinhin wohl kein höheres Bewusstsein unterstellen würde, nämlich dem Putzerfisch Labroides dimidiatus. Dieser verbringt - wie sein Name schon verrät - sein Leben mit Putzen. Er lebt in Symbiose mit größeren Fischen, die er von Parasiten befreit. Der „Schmutz“ ist seine Nahrung.

Putzerfisch sieht sein Spiegelbild

Alex Jordan

Im Vorfeld des Experiments platzierten die Forscher einen Spiegel im Tank. Die meisten Tiere reagierten zuerst aggressiv und manche versuchten sogar, ihr Spiegelbild zu beißen. Nach ein, zwei Tagen beruhigten sie sich langsam, zeigten aber nach wie vor ungewöhnliche Verhaltensweise; z.B. schwammen sie mit dem Bauch nach oben. Nach etwa zehn Tagen ignorierten sie den Spiegel.

Lästiger Fleck

Für das Experiment selbst verpassten die Forscher den Tieren eine Markierung an einer Stelle, die nur mit Hilfe des Spiegels für den jeweiligen Fisch sichtbar war. Ohne Hände und Füße mussten sie jedoch andere Wege finden, um den Fleck zu erreichen, was die Putzerfische auch prompt versuchten. Sie rieben die entsprechende Körperstelle an harten Oberflächen - so, als wollten sie den Makel wieder loswerden.

Dabei ging es laut den Forschern nicht um das unangenehme Gefühl - denn unsichtbare Flecken aus demselben Material ließen die Tiere kalt. Dasselbe galt für Farbflecke, die die Forscher direkt auf dem Spiegel gemalt hatten. Alles Indizien dafür, dass die Tiere mit Hilfe des Spiegels tatsächlich erkannt haben, dass sie selbst die Träger des künstlichen Mals sind. Mehr noch: Nach dem „bestandenen“ Test verweilten die Fische länger und ohne Aggressionen vor dem Spiegel, als würden sie sich selbst inspizieren.

Vorsicht bei Interpretation

Also eigentlich spricht alles dafür, dass die Tiere tatsächlich über eine Art Selbstbewusstsein verfügen, was die Studienautoren in dieser Eindeutigkeit allerdings selbst bezweifeln. Auch die Herausgeber von „PLOS Biology“ waren sich offenbar der Brisanz dieser These bewusst, weshalb sie Frans de Waal gebeten haben, einen Begleitkommentar zur Studie zu verfassen. Die Ergebnisse haben selbst den renommierten Primatenforscher beeindruckt, wobei er betont, dass Putzerfische ein sehr komplexes Sozialverhalten haben und sie bei weitem nicht so einfach gestrickt sind, wie viele annehmen mögen.

Dennoch mahnt er zur Vorsicht, was die Interpretation der Ergebnisse betrifft. Von außen lasse sich schwer beurteilen, ob sich die Fische im Spiegel wirklich selbst betrachten, anders als bei Schimpansen, bei denen darüber kein Zweifel besteht: „An einem sonnigen Tag nehmen sie mir gern die Sonnenbrille weg und inspizieren in den Gläsern ihre Zähne oder ihr Gesicht“, schreibt de Waal im Kommentar.

Zwiebelmodell des Bewusstseins

Damit könne man die Reaktion der Fische natürlich nicht vergleichen, die Ergebnisse bleiben dennoch bemerkenswert. Vermutlich müsse man sich von einer „Alles oder Nichts“-Theorie verabschieden. Viel wahrscheinlicher sei, dass sich Selbst-Bewusstsein in Schichten entwickelt - ähnlich wie eine Zwiebel - und nicht von heute auf morgen plötzlich auftaucht.

Jedes Tier brauche irgendeine Vorstellung von sich selbst; etwa um zu wissen, ob es der Ast, auf den es gerade steigt, auch tragen wird, oder stark genug für einen Kampf ist. Der Spiegeltest könne nicht ausreichen, um all diese Schichten zu erfassen. Auch die Studienautoren wünschen sich ausgefeiltere Testmethoden sowie ein differenziertes Bild eines höheren Bewusstseins, was sie mit einem Zitat, das fälschlicherweise Albert Einstein zugeschrieben wird, am Ende ihrer Arbeit unterstreichen: „Jeder ist ein Genie! Aber wenn du einen Fisch danach beurteilst, ob er auf einen Baum klettern kann, wird er sein ganzes Leben glauben, dass er dumm ist.“

Eva Obermüller, science.ORF.at

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