Buch zerpflückt Mythen zum Februar-Aufstand

Mit den Mythen um den Februar-Aufstand 1934 beschäftigt sich ein neues Buch des Zeithistorikers Kurt Bauer. Er zerpflückt sowohl die von der Sozialdemokratie gepflegte Erzählung vom Kampf für Demokratie als auch die konservative Legende von den Gemeindebauten als Bürgerkriegsfestungen.

Kurt Bauer hat sich in „Der Februar-Aufstand 1934. Fakten und Mythen“ vorgenommen, 85 Jahre danach dieses zentrale Ereignis der Geschichte der Republik „konzis, nüchtern, ohne parteipolitische, ideologische Verbrämung“ zu beleuchten. Welche Rolle Parteipolitik bei dessen Interpretation noch immer spielt, haben nicht zuletzt die intensiven Debatten um die Darstellung der Februarkämpfe im Ende 2018 eröffneten Haus der Geschichte gezeigt.

Viel Raum für die Opfer

Minutiös zeichnet der Historiker die Tage ab dem 12. Februar 1934 nach und skizziert dazu die Vorgeschichte aus Misstrauen und Hass zwischen Sozialdemokratie und dem autoritären Regime unter dem christlichsozialen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Wo die historischen Quellen kein eindeutiges Bild zeichnen, lässt er auch Zweifel zu. Wo er Schlüsse zieht, legt er Argumente und Quellen offen.

Das Buch

Kurt Bauer: Der Februar Aufstand 1934 - Fakten und Mythen, Böhlau Verlag 2019 (Leseprobe)

Viel Raum gibt Bauer auch den Opfern, deren genaue Zahl von ihm vor wenigen Jahren erstmals in einem umfangreichen Forschungsprojekt erhoben wurde. Selbst hier gab es je nach Ideologie eine Bandbreite von einigen Hundert bis mehreren Tausend Toten. Einige Seiten widmet der Historiker Einzelschicksalen wie jenem des sechsjährigen Arnulf Hanzl, der durch das Fenster der elterlichen Wohnung von einer Kugel getroffen wurde, als er ein Bilderbuch aus dem Kabinett holen wollte. Ihm widmet Bauer sein aktuelles Werk.

1934, Karl Marx Hof

ORF/Historisches Archiv ORF/Zvaek

1934, Karl Marx Hof in Wien

Kein heroischer Kampf der Sozialdemokratie

Mehr als 350 Menschen sind laut den Ergebnissen des Forschungsprojekts in Österreich in den vier Tage dauernden Februarkämpfen ums Leben gekommen, als der Schutzbund in einer Verzweiflungstat trotz vorprogrammierter Niederlage zum bewaffneten Widerstand gegen Bundesheer, Polizei und die regierungstreuen Heimwehren schritt. Die Wiederherstellung der parlamentarischen Demokratie war damals allerdings - anders als später in viele Gedenksteine gemeißelt - laut Bauer „bestimmt nicht“ das Ziel von Schutzbund und Sozialdemokratischer Arbeiterpartei (SDAP). Vielmehr sei es dem Schutzbund um die Durchsetzung der „Diktatur des Proletariats“ gegangen.

Ö1-Sendungshinweis

Journal Panorama: Februar 1934: 85 Jahre Debatte um ein paar Tage Kämpfe, Diskussionsrunde u.a. mit dem Historiker Kurt Bauer, 13.2., 18:25 Uhr.

Auch heroisch ist es in diesem aussichtslosen Kampf nicht zugegangen, wie Bauer schreibt. Zwar zählte der sozialdemokratische Führer Otto Bauer die Februarerhebung „zu den größten, heldenhaftesten Kämpfen der Revolutionsgeschichte aller Zeiten und aller Länder“. Das tat er allerdings zu Unrecht, zeigen detaillierte Schilderungen der damaligen Ereignisse: Fast die gesamte sozialdemokratische Führung blieb selbst inaktiv, die meisten Mitglieder des Schutzbundes waren nicht zum Kampf motiviert. So scheiterte auch der versuchte Generalstreik, nur die Wiener städtischen Betriebe und einige Industriebetriebe in den Außenbezirken machten mit. Und von jenen tausenden Schutzbündlern, die dem Alarmbefehl schließlich folgten, verschwanden laut Bauer viele „still und leise, wenn sich die Gelegenheit dazu bot“.

1934, Bundeheergeschütz in Stellung.

ORF/Historisches Archiv ORF/Zvaek

1934, Bundeheergeschütz in Stellung

„Maßlose Gräuelpropaganda“

So wird denn auch das Etikett „Bürgerkrieg“ aus Sicht des Historikers für die Geschehnisse ab dem 12. Februar 1934 zu Unrecht verwendet. Zu kurz und zu kleinräumig seien dafür die Auseinandersetzungen gewesen. Die meisten Opfer des Aufstands waren laut einer aufwendigen Studie Bauers zudem nicht Kombattanten, sondern unbeteiligte Passanten, die zufällig in die Feuerlinien gerieten. Bauers Resümee: „In erster Linie war der Februaraufstand ein blutiges Desaster.“

Daran sei allerdings nicht der Einsatz von Bundesheer-Artillerie gegen Wohnhäuser schuld gewesen, die linke Propaganda vom „Arbeitermörder“ Dollfuß sei „aus heutiger Sicht (...) nicht haltbar“. Insgesamt starben elf Menschen durch Kanonen- und Minenwerferbeschuss bzw. deren Folgen, weil die Artillerie nur sehr dosiert und erst nach ausreichender Vorwarnung eingesetzt wurde. Ohne deren abschreckende Wirkung hätten die Kämpfe außerdem vermutlich wesentlich länger gedauert und mehr Opfer gefordert. Trotzdem begann sofort das, was Bauer „maßlose Gräuelpropaganda“ nennt: Es wurde berichtet von 85 toten Kindern im Sandleiten-Hof in Ottakring, ein Augenzeuge habe sogar einen Frauenkopf über den Gehsteig in das Rinnsal rollen gesehen.

1934, Ottakringer Arbeiterheim

ORF/Historisches Archiv ORF/Zvaek

1934, Arbeiterheim in Wien-Ottakring

Dollfuß sagte Brutalität voraus

Doch auch die konservative Gegenpropaganda von den Gemeindebauten als „ausgesprochene Zwingburgen des sozialdemokratischen Terrors“ (Zitat Sicherheitsminister Emil Fey) dekonstruiert Bauer. Der Vorwurf: Die Gemeindebauten des „Roten Wien“ seien durch ihre Lage an wichtigen ins Stadtzentrum führenden Straßen und ihre Gestaltung mit großen Rasenflächen und riesigen Innenhöfen schon von der Planung her als Festungen für den Bürgerkrieg ausgelegt gewesen. Tatsächlich sei die Lage eine Frage der Infrastruktur gewesen und die Wiesen ebenso wie die Innenhöfe waren Ort für Freizeitaktivitäten.

Sehr wohl gefallen lassen muss sich das Dollfuß-Regime laut Bauers Analyse allerdings einen anderen Vorwurf: Es hat die Sozialdemokratie durch immer schärfere Provokationen wie die Verhaftung führender Schutzbund-Funktionäre und Waffensuchaktionen in den sozialdemokratische Parteihäuser zu ihrem Verzweiflungsschritt angestachelt und provoziert. Damit sollte ein Vorwand geschaffen werden, um „die Sozi“ auszuschalten.

„Wenn sie Dummheiten machen“, so sprach Dollfuß schon im Oktober 1933 im christlichsozialen Klub, „werden wir mit aller Brutalität vorgehen. In den nächsten fünf Minuten ist Standrecht in Österreich.“ Am Nachmittag des 12. Februar war es dann soweit. Neun Todesurteile wurden vollstreckt, ehe es am 21. Februar wieder aufgehoben wurde.

science.ORF.at/APA

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