Haie sind faule Sprinter

Sein Genom ist seit dieser Woche bis auf den letzten Baustein ausgeleuchtet, Rätsel gibt der größte Raubfisch der Weltmeere dennoch auf: Warum schwimmt der Weiße Hai nicht so schnell, wie er eigentlich könnte?

Technisch betrachtet ist es heutzutage keine allzugroße Sache, das Erbgut einer Tierart zu sequenzieren und in Datenbanken einzuspeisen. Da ist Carcharodon carcharias, besser bekannt als Weißer Hai, keine Ausnahme. Die Frage ist freilich: Was bedeutet so eine Gensequenz? Was die Übersetzung der molekularen Daten in die Biologie, insbesondere die Lebensweise des Weißen Hais betrifft, habe man erst die „Spitze des Eisbergs“ gesichtet, sagt Mahmood Shivji von der Nova Southeastern University.

Der Eisberg - das ist, um im Bild zu bleiben, ein 5,6 Milliarden Basenpaare langes Stück DNA, ca. anderthalb mal so lang wie das Erbgut des Menschen. Darin befinden sich auffällig viele Gene, die für die Stabilität des Erbguts sorgen.

Springende Gene

Dafür gibt es zwei mögliche Erklärungen: Erstens ist der Hai ein bekanntermaßen großes und langlebiges Tier. Beides Fakoren, die an sich die Entstehung von Krebs begünstigen. Tatsächlich erkrankt der Weiße Hai auch nicht öfter an Krebs als etwa der Mensch. Gut möglich, dass das an den jetzt entdeckten Reparaturgenen liegt, schreibt Shivji nun mit seinen Kollegen im Fachblatt „PNAS“. Erklärung Nummer zwei hat mit dem auffällig hohen Prozentsatz von beweglichen Erbgutstücken, sogennanten „jumping genes“, in der Hai-DNA zu tun. Diese sorgen immer wieder für ungewollte Mutationen. Es sei denn, und hier kommen wieder die Reparaturgene ins Spiel, die Selektion steuert dagegen.

Weißer Hai - im Hintergund ein Fischschwarm

Byron Dilkes, Danah Divers

Carcharodon carcharias aka Weißer Hai

Shivji und sein Team haben im Erbgut des Riesenfisches noch eine dritte Besonderheit ausgemacht. Es finden sich darin viele Gene, die für die Wundheilung verantwortlich sind. Dass der Hai über eine ausgezeichnete Wundheilung verfügt, war schon früher bekannt - hier ist die Übersetzung der molekularen Daten ins organische Gesamtbild offensichtlich.

Muskelpakete – dennoch langsam

Weniger offensichtlich ist die Erklärung für diesen Befund: Wie der Biologe Yuuki Watanabe soeben im „Journal of Experimental Biology“ berichtet, schwimmen Weiße Haie viel gemütlicher als es ihre körperliche Konstitution vermuten ließe. Sie halten nämlich ihre Körpertemparatur mehr oder weniger konstant und könnten ihre wechselwarme Beute vor allem in kalter Umgebung locker ein- und überholen.

Was sie nicht tun: Watanabe zufolge „cruisen“ die großen Raubfische vielmehr durchs Wasser und erreichen an Tempo selten mehr als einen Meter pro Sekunde. Kurzum, sie sind kaum aus der Ruhe zu bringen. Warum? Weil ihnen die Beute ohnehin früher oder später fast vors Mauls schwimmt: Haie sind offenbar Lauerjäger, schließt Watanabe aus seinen Beobachtungen, diese Eigenart lasse sich an der Physiologie nicht ablesen. Und an der Genetik vermutlich auch nicht.

Robert Czepel, science.ORF.at

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