Was wirklich gegen Rückenschmerzen hilft

Rückenschmerzen sind weit verbreitet, lästig, aber kein Grund zur Panik, sind sich Expertinnen und Forscher einig. Statt Schmerzmedikamente und Bettruhe empfehlen sie Bewegung – und Mut zum Lümmeln.

Rückenschmerzen sind global gesehen der häufigste Grund für Arbeitsunfähigkeit. Mehrere hundert Millionen Menschen sind betroffen, seit den 1990er Jahren stieg die Zahl um über 50 Prozent. Diese Statistik veröffentlichte eine Studienreihe in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ und stellte gleichzeitig Bettruhe, Operationen sowie aggressive Schmerzmedikamente als Therapiemethoden infrage.

„In den meisten Fällen liegt dem Rückenschmerz keine eigenständige Krankheit zugrunde“, erklärt Jan Hartvigsen, einer der Studienautoren und Professor am Institut für Sportwissenschaften und klinische Biomechanik an der Süddänischen Universität in Odense. Dabei bezieht er sich auf Ergebnisse einer australischen Studie, die lediglich bei einem Prozent der ambulant aufgenommenen Rückenschmerzpatienten eine konkrete, behandelbare Ursache fand.

Mehrere Menschen liegen entspannt auf dem Rücken

APA/dpa

Übung in Entspannungstechniken

Dennoch wurde seit den 1990er Jahren besonders in westlichen Ländern vermehrt zum Skalpell oder starken Schmerzmitteln gegriffen, zwei Maßnahmen, die teils schwere Nebenwirkungen verursachen können. „Die meisten dieser Eingriffe sind bei Rückenbeschwerden nicht nur unnötig, sondern manchmal sogar schädigend“, so der Sportwissenschaftler.

„Wirbelsäulenschnupfen“ normaler Teil des Lebens

Am besten helfen bei Rückenweh laut Hartvigsen Bewegung und Sport. Wer sich hingegen Ruhe verordnet und zu Hause bleibt, anstatt in die Arbeit zu gehen, konzentriere sich mehr auf das Unwohlsein, was die Symptome verstärken könne. Nimmt man Rückenschmerzen als einen vorübergehenden und normalen Teil des Lebens wahr, ähnlich einer lästigen Verkühlung, verkleinere sich das Problem wiederum automatisch, so die These.

„Bewusst gesund“

„Kampf dem Rückenschmerz“ - unter diesem Motto steht der „Bewusst gesund“-Schwerpunkt des ORF von 23. bis 29. März.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmete sich auch ein Beitrag in der Sendung „Wissen aktuell“ am 25.3. um 13.55 Uhr.

Allerdings gibt es Symptome, die unbedingt ärztlich abgeklärt werden sollten. Dazu zählt der Forscher sehr stark ausstrahlende Schmerzen, unerwünschten Gewichtsverlust, erhöhte Temperatur sowie Beschwerden, die mit sanften Methoden über eine bis zwei Wochen nicht zu bändigen sind. Das komme aber ausgesprochen selten vor, so Hartvigsen.

Als „sanfte Methode“ empfiehlt der Sportwissenschaftler Physiotherapie, Massagen und andere manuelle Behandlungen. Auch Beate Salchinger, Leiterin des Instituts für Physiotherapie an der FH Joanneum in Graz, ist mit diesen Maßnahmen einverstanden. Sie wünscht sich einen unkomplizierten Umgang mit Rückenschmerzen und schlägt vor, bei leichten Beschwerden erst einmal von „Wirbelsäulenschnupfen“ zu sprechen.

Mut zum Lümmeln

Während der Büroarbeit und beim Fernsehen wird das Kreuz durch eine potenziell länger andauernde gekrümmte Haltung mechanisch beansprucht. „Die Rückenmuskulatur unterstützt beim schiefen Sitzen unsere Wirbelsäule nicht optimal, und eine einseitige Belastung der Bandscheiben kann zu Problemen führen“, erklärt die Physiotherapeutin.

Dennoch ist Salchinger sicher, dass krummes Sitzen oder Stehen zwischendurch kein Problem für den Rücken ist, solange die Gelenke und Muskeln häufig gelockert werden und die Durchblutung mit Bewegung gefördert wird. Auch ab und zu extra gekrümmt zu sitzen, um sich der Haltung bewusst zu werden, sei eine gute Idee.

Eine in der Fachzeitschrift „Biofeedback“ veröffentlichte Studie regt zu einem Selbstversuch an. Dazu wird ein fünf Kilogramm schweres Gewicht bei ausgestreckten Armen in die Hand genommen und der Unterarm im rechten Winkel nach oben gebeugt. Dann neigt man die Gewichte ein paar Zentimeter vom Oberkörper nach vorne hin weg, was den Bizeps deutlich mehr anstrengt. Ähnliche Belastungen erfährt unsere Wirbelsäule, wenn der etwa fünf Kilogramm schwere Kopf nach vorne oder seitlich abfällt.

Um in eine angenehmere Haltung zu finden, empfiehlt Salchinger, zwischendurch das Becken so aufzurichten, dass die Sitzbeinhöcker auf der Unterlage spürbar werden. Breitbeiniges Sitzen erleichtere diese Haltung und entlaste obendrein die Beinvenen - verglichen mit Sitzen mit überschlagenen Beinen.

Zwei Frauen "planken" auf Turnmatten

dpa/A3634 Friso Gentsch

Auch Planking (Unterarmstütz) hilft dem Rücken

Die giftige Couch

Der menschliche Rücken hält vielen belastenden Betätigungen problemlos stand, lediglich von einer Freizeitbeschäftigung rät Salchinger entschieden ab: „Couch-Potato. Das mag die Wirbelsäule gar nicht, immer in der gleichen Position bleiben, ohne Abwechslung.“ Aktivität hingegen, egal in welcher Form, sei sinnvoll. Denn wie jedes andere Gewebe ist die Wirbelsäule fähig, sich zu adaptieren, man muss sie nur auf die Belastung vorbereiten.

Gründliches Auf- und Abwärmen sei daher der Schlüssel zum gesunden Sporterlebnis, so die Physiotherapeutin, die besonders Klettern empfiehlt. Das kraftvolle, diagonale Beugen und Strecken des Körpers kann dabei helfen, den Bewegungsapparat nachhaltig zu kräftigen und zu stabilisieren.

Selbst das häufig umstrittene Brustschwimmen sei unbedenklich, so Salchinger, solange die Gelenke der Halswirbelsäule durch zeitweiliges Untertauchen des Kopfes locker bleiben: „Klassisch bekannt ist beim Brustschwimmen, dass die Badehaube und die Föhnfrisur aus dem Wasser schauen müssen. In dieser gehaltenen Position gibt es dann eine Überlastung im steif gehaltenen Rücken, das ist nicht so sinnvoll.“

Rote Ampel als Chance

Auch an ungewohnter Stelle sieht die Physiotherapeutin eine Möglichkeit, die Wirbelsäule zu lockern. Beispielsweise könne man während des Wartens auf grünes Licht das Auto an der Ampel zum Fitnessstudio umfunktionieren und Schultern sowie Kopf im großen Radius kreisen lassen, die Gesäßmuskeln anspannen, sich bewusst aufrichten und in alle Richtungen drehen.

Letztlich sind Salchinger und Hartvigsen überzeugt: Der Rücken hält mehr aus, als man ihm manchmal zutrauen möchte, und Angst vor Rückenbeschwerden ist kontraproduktiv. Beide Experten betonen, dass die Wirbelsäule in den meisten Fällen auch ohne Eingriffe gut regenerierbar ist und durch Verzicht auf aggressive Behandlungen nicht nur Nebenwirkungen vorgebeugt, sondern auch viel Geld gespart werden kann.

Geraldine Zenz, Ö1-Wissenschaft

Mehr zu diesem Thema: