Wissenschaft tut sich schwer mit Emotionen

Die spürbarere Trennung zwischen einem wissenschaftlich-rationalen und einem wissenschaftsfernen-emotionalen Lager sei gefährlich, meint die Politikwissenschaftlerin Anna Durnova. Sie hat einschlägige Debatten von Ignaz Semmelweis bis in die Gegenwart analysiert.

Am „Kindbettfieber“ starben Mitte des 19. Jahrhunderts bekanntlich zahlreiche Frauen nach der Geburt. Den Grund dafür erkannte als erster der Wiener Arzt Ignaz Semmelweis (1818-1865). Er forderte höhere Hygienestandards, etwa dass sich die Ärzte die Hände waschen sollten. Semmelweis stieß damit auf Unverständnis und wurde heftig angefeindet. Anna Durnova setzt sich seit Jahren mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF mit dem damaligen Diskurs als Beispiel dafür auseinander, wie wichtig Emotionen auch im Ausverhandeln wissenschaftlicher Wahrheiten sind.

Angesichts der um die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten aufgeflammten Debatte um eine Abwendung von Teilen der Gesellschaft und der Politik von wissenschaftlichen Fakten formierte sich in der Wissenschaftsgemeinde eine Gegenbewegung, die 2017 im weltweiten „March for Science“ ihren Höhepunkt fand. Für Durnova zeichneten sich hier erstaunliche Parallelen zwischen der einstigen Semmelweis-Debatte und dem „Post Truth“-Diskurs ab, wie die am Institut für Höhere Studien (IHS) in Wien und an der Karls-Universität Prag tätige Wissenschaftlerin im Gespräch mit der APA erklärt.

Zu emotional?

Bei Semmelweis wurde immer wieder ins Treffen geführt, seine emotionale Argumentation habe verhindert, dass sich seine Erkenntnisse schneller durchsetzten. Emotionalität wurde als Indiz für Nicht-Wissenschaftlichkeit gewertet - auch ungeachtet der Stichhaltigkeit der Argumente. Rund um den „March for Science“ ging es vielen Protagonisten aus dem Wissenschaftsbetrieb wieder stark darum, der Emotionalität den „systematischen Charakter der Wissenschaft und ihre Rationalität“ entgegenzuhalten.

Dieses „performative Hervorheben“ einer gewissen Emotionslosigkeit und die Frage der Art der Selbstdarstellung der Wissenschaft war der Auslöser für Durnovas Analysen der Berichterstattung zum „March for Science“ in US-Medien Anfang 2017 und der Veranstaltung selbst. Als wichtiger Teil dieser Inszenierung entpuppte sich „eine ganz klare Verbindung zwischen Wissenschaftlichkeit und Demokratie“ im Kontrast zum „antiwissenschaftlichen Präsidenten“ Trump, so die Forscherin. Sie wird ihre Erkenntnisse im Laufe des Jahres in einem Buch mit dem Titel „Understanding emotions in post-factual politics: negotiating truth“ (auf Deutsch in etwa „Das Verneinen von Wahrheit: Zum Verständnis von Emotionen in der postfaktischen Politik“) veröffentlichen.

Keine scharfe Trennlinie

Diese Gleichsetzung von Demokratie, Rationalität und Wissenschaft sei aber kaum haltbar - wie sich auch am Fall Semmelweis zeige. Die propagierte scharfe Trennung zwischen Fakten und Emotionen gebe es so nicht, die „Wahrheitsproduktion“ laufe nicht ohne emotionale Kontroversen ab und „das ist gut so“, so Durnova, die sich auch einen offeneren und mutigeren Umgang mit Unwissen in der Wissenschaft wünscht. Das könnte zumindest einen Teil der aktuell recht lauten Wissenschaftskritik ein Stück weit mindern, zeigt sich die Forscherin überzeugt. Dabei gehe es nicht darum, „dass Wissenschaftler weinen und lachen sollen“, sie sollten aber den emotionalen Hintergrund ihrer Forschungsarbeit wahrnehmen. Durnova sagte: „Nicht alles, was emotional ist, ist verschwörungstheoretischer und unwissenschaftlicher Unsinn.“

Immer wenn sich die Wissenschaftlerin in den vergangenen Jahren dafür aussprach, dass die beiden „Lager“ einen Schritt aufeinander zu machen sollten, erntete sie dafür Applaus von Verschwörungstheoretikern und Kritik aus der Wissenschaftscommunity. „Das ist der Kern dieses Diskurses: Wir sind nicht imstande, von den beiden Positionen wegzugehen. Jegliche Kritik an dieser Dichotomie wird als Teil des Streites gesehen. Wir schaffen es nicht, einen Schritt davon wegzugehen“, so Durnova.

science.ORF.at/APA

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