Die Erdatmosphäre reicht bis zum Mond
April 1972. Ort der Handlung: der Mond. John Young ist Commander von “Apollo 16“, der bisher vorletzten Reise Amerikas zum Mond. Zum ersten Mal haben Wissenschaftler „Apollo“-Astronauten ein Teleskop mitgegeben. John Young macht reichlich davon Gebrauch. Es entstehen die ersten Fotos, die von der Oberfläche eines anderen Himmelskörpers aus geschossen werden: Young fotografiert weit entfernte Sterne, Gas- und Staubnebel in den Tiefen des Alls. Und er schießt ein Foto der Erde – nicht im sichtbaren Licht, sondern im Ultraviolettbereich.
Die Studie:
”The Hydrogen Geocorona Extends Well Beyond the Moon”, Journal of Geophysical Research: Space Physics, 15.2.2019
Auf dem Bild erstrahlt die Erde in hellem Glanz, umhüllt von einer Art Heiligenschein. „Dabei handelt es sich um eine ausgedünnte Hülle von hauptsächlich Wasserstoffatomen“, erklärt Bernhard Fleck, Sonnenphysiker bei der europäischen Weltraumagentur ESA. „Wie weit diese Hülle reicht, war eigentlich noch nie genau bekannt, denn es gibt keinen wirklichen Rand der Atmosphäre.“
NASA
Der lange Arm der Erde
Was aber John Young und seine Kollegen von „Apollo 16“ damals nicht wussten: Auch auf dem Mond befanden sie sich selbst noch innerhalb der irdischen Atmosphäre. „Die Astronauten haben nicht nur auf die im Ultraviolett hell leuchtende, ausgedehnte Erdatmosphäre geblickt, sondern waren selbst noch von ihr eingehüllt, ohne es zu merken“, sagt Jean-Loup Bertaux vom Forschungslabor LATMOS der Universität von Versailles.
Ö1-Sendungshinweis
Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in den Journalen: 28. 2. 2019, 12 Uhr.
Woher er das weiß? Der Planetologe war Chefwissenschaftler eines Experiments an Bord der europäisch-amerikanischen Raumsonde “SOHO“. Sie untersucht seit 1995 die Sonne. So nebenbei fand die Sonde aber auch heraus: Ja, der Mond wird von der irdischen Atmosphäre eingehüllt – zwar nicht vom Sauerstoff und nicht vom Stickstoff, wie alles Leben unten, auf dem Boden, sondern von einzelnen Wasserstoff- und Heliumatomen. Wissenschaftler nennen diesen alleräußersten Bereich der Atmosphäre Geokorona.
ESA
“Triumph der Technik“
Und nun fragen sich die Forscher, was sie mit den neu gewonnenen Daten anfangen können. Es zeigt sich: Sie lassen sich übertragen auf andere Himmelskörper. „Wir glauben, dass alle Planeten, auf denen Leben existiert, über Wasser verfügen müssen“, mutmaßt Bernhard Fleck. Denn ohne Wasser sei die Entstehung von Leben nur schwer vorstellbar. „Und somit müssten diese Planeten auch von einer Korona aus Wasserstoffatomen umgeben sein.“
Das sieht Jean-Loup Bertaux ganz ähnlich: „Das von uns entdeckte Signal im ultravioletten Licht stammt von Wasserstoff“, betont der Franzose. Der wiederum entstehe bei der Spaltung von Wasserdampf. „Entdecken wir also bei anderen Planeten ein solches Signal, spräche dies für flüssiges Wasser dort unten, auf der Oberfläche.“
Und damit ist die Geschichte der Geokorona also noch lange nicht zu Ende erzählt – von den ersten Mondlandungen über ein Sonnenteleskop der 90er Jahre hin zu Planeten in anderen Sternsystemen. „Für mich ist das vor allem ein Triumph der Technik, dass man so etwas überhaupt messen kann“, findet Fleck, „und außerdem ein intellektueller Triumph, dass man ein solches Signal aus den Daten herauskitzeln kann.“
Guido Meyer, Ö1-Wissenschaft