HIV-Patient nach Stammzellentherapie virenfrei

Ist das die zweite Heilung eines HIV-Patienten in der Medizingeschichte? Sollte es dabei bleiben, wäre das eine medizinische Sensation: Nach einer Stammzellenbehandlung hat ein britischer Patient nun keine HI-Viren mehr in seinem Körper.

Bei dem „Londoner Patienten“ gebe es nun seit 18 Monaten keine Anzeichen der Erreger, berichtete ein Team um Ravindra Gupta vom University College London im Fachblatt „Nature“. Dem an Lymphdrüsenkrebs erkrankten Mann waren Stammzellen eines Knochenmarkspenders mit einer seltenen genetischen Veränderung transplantiert worden.

Ähnlichkeiten zum „Berliner Patienten“

Die bisher einzige dokumentierte Heilung eines erwachsenen HIV-Patienten ist der Fall des US-Bürgers Timothy Brown vor rund zehn Jahren, auch bekannt als „Berliner Patient“. Bei ihm waren die medizinischen Umstände ähnlich: Auch ihm war Spenderknochenmark transplantiert worden - und auch bei ihm wiesen die Stammzellen genetische Veränderungen auf, die offenbar eine Infektion mit HIV verhinderten. „Wir haben gezeigt, dass der ‚Berliner Patient‘ keine Anomalie war“, erklärte Studienleiter Gupta.

Mikroskopische Aufnahme: HIV-infizierte Immunzelle mit Rezeptoren an der Oberfläche

NIAID

Elektronenmikroskop: HIV-infizierte Immunzelle

Ähnlich kommentiert Gerd Fätkenheuer von der Uniklinik Köln die Studie in „Nature“: Die Erfolgsmeldung sei „von großer Bedeutung und gibt den Anstrengungen von Forschern Auftrieb, die nach Wegen zu einer Heilung von HIV suchen. Allerdings ist noch völlig unklar, welche Methoden hier am Ende erfolgreich sein können.“

Die durch die Transplantation übertragene Genveränderung blockiert letztlich eine wichtige Eintrittspforte der HI-Viren: Wie die Forscher in ihrer Studie schreiben, bewirkt die Mutation, dass ein Rezeptor (CCR5) auf der Oberfläche von Immunzellen fehlerhaft und somit funktionslos wird. Normalerweise benutzt das HI-Virus den CCR5-Rezeptor, um Immunzellen zu infizieren. Ist dieser gestört, bleibt dem Erreger der Infektionsweg verwehrt.

„Noch kein Beweis für Heilung“

Bei dem „Londoner Patienten“ war 2003 Aids diagnostiziert worden. Seit 2012 erhielt er eine antiretrovirale Therapie, im selben Jahr wurde bei ihm Lymphdrüsenkrebs, das Hodgin-Lymphom, festgestellt, für dessen Therapie die Ärzte 2016 Knochenmark transplantierten.

Nach der Transplantation behandelten die Ärzte den „Londoner Patienten“ 16 weitere Monate mit einer antiretroviralen Therapie gegen HIV. Dann wurde die Therapie abgesetzt, mittlerweile sind weitere 18 Monate vergangen, in denen er keine Symptome der HIV-Infektion zeigt.

Hans-Georg Kräusslich, Direktor der Abteilung Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg, warnt trotz der ermutigenden Signale vor allzu großem Optimismus: „Dies ist ein ermutigendes Zeichen, aber kein Beweis für Heilung.“ Ein Baby in den USA habe insgesamt 27 Monate nach der Therapie keine nachweisbare Virusmenge gehabt, danach sei das Virus aber wieder aufgetreten.

Riskanter Eingriff

Gero Hüter, der im Jahr 2008 den „Berliner Patienten“ Brown an der Berliner Charité behandelte, verweist darauf, dass einige Patienten, die in der Zwischenzeit die gleiche Behandlung erhalten hatten, früh an Komplikationen oder Rückfällen ihrer Krebserkrankungen gestorben seien.

Die beiden deutschen Wissenschaftler betonen, dass die Stammzellentransplantation auch zukünftig keine Option für die Heilung der HIV-Infektion sei, wenn die Transplantation nicht durch andere Erkrankungen des blutbildenden Systems erforderlich sei. Es handle sich um einen „massiven Eingriff“ mit „signifikantem Risiko, der angesichts einer in der Regel gut verträglichen und langfristig wirksamen antiviralen Therapie nicht vertretbar wäre“, erklärte Kräusslich.

Knapp 37 Millionen Menschen weltweit sind mit dem HI-Virus infiziert, doch nur 59 Prozent von ihnen erhalten eine antiretrovirale Therapie. Jedes Jahr sterben etwa eine Million HIV-Patienten an Erkrankungen, die mit dem Virus in Zusammenhang stehen. Ein neuer, gegen Medikamente resistenter HI-Virus bereitet Experten zunehmend Sorge.

science.ORF.at/APA/AFP/dpa

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