Auf dem Weg zur HIV-Heilung

Erst ein Patient in London, dann einer in Düsseldorf: Am Dienstag berichteten Ärzte von zwei Fällen, bei denen HIV-Erkrankte erfolgreich behandelt wurden. Das zugrunde liegende Prinzip könnte helfen, HIV/Aids eines Tages tatsächlich heilen zu können.

Lange Zeit galt der „Berliner Patient“ Timothy Brown als der einzige Mensch, der vom HI-Virus geheilt worden war. Seit zwölf Jahren lebt der US-Amerikaner nun ohne das tödliche Virus. Von den zwei möglichen weiteren Fällen wurde soeben auf einer internationalen Konferenz in Seattle berichtet. Der eine HIV-Patient konnte, wie science.ORF.at bereits berichtet hat, in London erfolgreich behandelt werden.

Bei dem anderen handelt es sich um einen 49-jährigen HIV-Patienten, der in Düsseldorf wegen seiner Leukämie behandelt wurde. Zur Therapie transplantierten ihm die Ärzte das Knochenmark eines gesunden Menschen. Wie schon beim „Berliner Patienten“ im Jahr 2008 sowie beim „Londoner Patienten“ wurde auch in seinem Fall ein besonderer Spender für die Stammzellentransplantation gesucht: jemand, der jene Genveränderung in sich trägt, die ihn resistent gegen HIV-Infektionen macht. Etwa ein Prozent der Menschen tragen diese in sich.

Timothy Ray Brown, der "Berliner Patient" bei der aktuellen Tagung in Seattle

AP

Timothy Ray Brown, der „Berliner Patient“, bei der aktuellen Tagung in Seattle

Ähnlichkeiten mit „Berlin“ und „London“

Wie beim „Berliner“ und „Londoner“ scheint sich auch bei dem 49-Jährigen die Resistenz des Spenders mit der Stammzellentransplantation auf den HIV-Patienten übertragen zu haben: Vor dreieinhalb Monaten hat er die HIV-Medikamente abgesetzt, seither konnten die Ärzte keine Viruspartikel mehr im Blut nachweisen.

Noch kann man aber nicht von Heilung sprechen. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass das Virus wieder auftaucht. In vergleichbaren Fällen kam das HI-Virus nach drei bis zehn Monaten wieder. Bei einem Baby in den USA tauchte es sogar nach 27 Monaten wieder auf. Aus diesem Grund halten sich auch die Forscher beim „Londoner Patienten“ noch zurück, dessen Fall soeben im Fachjournal „Nature“ veröffentlicht wurde. Hier ist der Patient immerhin schon 18 Monate virusfrei. „Es gibt insofern keinen definierten Zeitpunkt, ab dem man von Heilung sprechen kann, aber natürlich wird diese mit der Länge des Zeitraums ohne Virus und ohne Medikamente immer wahrscheinlicher“, sagte der Mediziner Hans-Georg Kräusslich von der Universität Heidelberg.

39 HIV-Patienten aktuell behandelt

Unter Umständen könnten noch mehrere Patienten folgen, wie eine Aussendung von IciStem vermuten lässt. IciStem ist eine europäische Plattform, die Forscher, Patienten und Spender miteinander verknüpft. Sowohl der Patient aus London als auch jener aus Düsseldorf sind hier registriert. Laut IciStem haben 39 weitere HIV-Patienten eine Stammzellentransplantation erhalten. Zudem befinden sich in der Datenbank mittlerweile 22.000 mögliche Stammzellenspender, die mit der seltenen Genmutation geboren wurden.

Diese Genveränderung blockiert eine wichtige Pforte, über die das HI-Virus eine Immunzelle infiziert. Konkret benutzt das Virus normalerweise dafür den Rezeptor CCR5 als Tor. Die Genmutation sorgt nun aber dafür, dass der CCR5-Rezeptor auf der Oberfläche von Immunzellen fehlerhaft und somit funktionslos wird, wie die Forscher in der „Nature“-Studie erklären. Damit bleibt dem Erreger der Infektionsweg versperrt.

Mikroskopische Aufnahme: HIV-infizierte Immunzelle mit Rezeptoren an der Oberfläche

NIAID

Elektronenmikroskop: HIV-infizierte Immunzelle

Ziel: Heilung ohne Transplantation

„Die aktuellen Therapieerfolge zeigen uns wichtige Mechanismen der Funktionsweise der HIV-Infektion und eventueller künftiger Therapieansätze“, sagt Dieter Häussinger, Direktor der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Infektiologie des Universitätsklinikums Düsseldorf, gegenüber science.ORF.at.

Eine Stammzellentransplantation allein zur Behandlung einer HIV-Infektion anzuwenden ist allerdings ausgeschlossen. Zu hoch ist das Risiko. Eine solche Transplantation ist nämlich ein schwerer Eingriff, bei dem es zu sehr schweren Nebenwirkungen kommen kann und der in manchen Fällen zum Tod führt. Die Knochenmarkstransplantation wird also weiterhin nur primär zur Behandlung von Erkrankungen wie Leukämie und Lymphdrüsenkrebs angewendet werden.

Dennoch könnten die aktuellen Fälle aus London und Düsseldorf bei der Suche nach neuen HIV-Therapien helfen. Ziel ist es, den HIV-Rezeptor direkt in den Stammzellen der Patienten lahmzulegen - ohne Transplantation. Voraussetzung dafür wäre ein gentherapeutischer Eingriff, der zumindest in der Theorie HIV heilbar machen könnte. Heilen können herkömmliche HIV-Medikamente nämlich nicht. Sie machen aus dem tödlichen Virus eine chronische Erkrankung, Menschen mit HIV können damit ein fast normales Leben führen.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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