Wie Speisen die Sprache formten

Als der Mensch sesshaft wurde, begann er regelmäßig zu kochen. Die Speisen wurden weicher, der Kiefer änderte sich. Erst diese anatomischen Änderungen ebneten einer Studie zufolge den Weg für Laute wie „F“ und „V“.

Wann Sprache genau entstanden ist, wird man wohl nie erfahren. Vielleicht konnten sich bereits die ersten modernen Menschen vor etwa 300.000 Jahren in einfacher Weise sprachlich verständigen. Viele entscheidende anatomische Entwicklungen – z.B. das Absenken des Kehlkopfs – fanden jedenfalls schon bei unseren Vorfahren statt. Und vermutlich reichen sogar manche kognitiven Sprachvoraussetzungen weit in unsere Abstammungslinie. Dennoch hält sich bis heute die Meinung, dass die prinzipielle Sprachfähigkeit – sobald sie einmal da war – relativ unverändert blieb.

Dabei findet man heute eine verblüffende Vielfalt unter den etwa 7.000 noch gesprochene Sprachen, allein was ihren Klang betrifft. Manche Laute wie „A“ oder „I“ kommen zwar in fast allen Sprachen vor. Andere, wie z.B. Klicklaute – dabei wird mit Lippen oder Zunge ein Schnalzlaut erzeugt – sind hingegen extrem selten. Verwendet werden sie nur in einigen südafrikanischen Sprachen. Erklärt wird das vielfältige Klangspektrum meist durch zufällige Verschiebungen. Zwar spielen historische Entwicklungen eine gewisse Rolle - daher ähneln sich verwandte Sprachen natürlich auch im Klang. Aber die Auswahl der Laute ist scheinbar willkürlich.

Gebiss als Werkzeug

Nur wenige Forscher haben diesen Standpunkt bereits in der Vergangenheit in Zweifel gezogen. Einer davon war der US-Linguist Charles Hockett, der in den 1980er Jahren feststellte, dass bestimmte Reibelaute, z.B. „F“ und „V“, in den Sprachen heutiger Jäger-und-Sammler-Völker so gut wie nicht vorkommen.

Die Ursache lag seiner Ansicht nach in der Anatomie des Kiefers: Früher (bzw. bei Jägern und Sammlern) war das Gebiss ein wichtiges Werkzeug, um zähes Fleisch und harte Pflanzen zu zerkleinern. Im Erwachsenenalter entwickelten die Menschen daher einen „Kopfbiss“, bei dem die oberen und unteren Schneidezähne Kante auf Kante liegen. Damit fällt es aber relativ schwer, sogenannte Labiodentallaute (wie eben „F“ und „V“), bei denen Lippen und Zähne aufeinandertreffen, zu produzieren.

Zeichnung: Kopfbiss vs. Überbiss

Tímea Bodogán

Kopfbiss vs. Überbiss

Erst als die Menschen in der Jungsteinzeit sesshaft wurden, veränderte sich ihre Ernährung und damit auch ihre Kiefer. Der leichte Überbiss, den Kinder immer schon hatten, bleibt heute in der Regel bis ins Erwachsenenalter erhalten. Um gekochte und weiche Speisen zu zerteilen, braucht es kein kraftvolleres Werkzeug. Mittlerweile gibt es schon einige Belege für diese anatomischen Veränderungen des Kiefers nach der Jungsteinzeit.

Leicht zu artikulieren

Nun haben die Forscher um Damian Blasi von der Universität Zürich Hocketts damals umstrittene Theorie mit weiteren handfesten Argumenten untermauert: Mittels biomechanischer Simulation konnten sie unter anderem zeigen, dass es mit einem Überbiss tatsächlich viel leichter fällt, „F“ zu sagen, als mit einem Kopfbiss. Man benötigt dafür um ganze 30 Prozent weniger Muskelkraft. Bilabiale wie „M“ oder „P“ fallen hingegen schwerer.

Video: Artikulation von „F“ mit Kopfbiss

So sind nach und nach mehr Labiodentallaute aufgetaucht, schreiben die Forscher: Das war nicht nur artikulatorisch weniger anstrengend. Vermutlich wurde oft auch zufällig aus einem schlampig ausgesprochenen Bilabial wie „P“ im Lauf der Zeit ein Labiodental wie „V“. Die neue aufgetauchten Reibelaute waren zudem recht auffällig und akustisch gut zu unterscheiden, wodurch sie sich immer weiter verbreiteten.

Tatsächlich findet man sie heute in den meisten Sprachen, nur in jenen von Jägern und Sammlern sind sie vergleichsweise selten, wie das Team nun ebenfalls im Detail erhoben hat. Die wenigen Labiodentale, die in den untersuchten Sprachgruppen in Afrika, Australien und auf Grönland verwendet werden, sind häufig importiert, beispielsweise über Fremd- oder Lehnwörter.

Lautverschiebung mit Prestige

Als dritte Argumentationslinie haben sich die Forscher die historische Sprachentwicklung in der Indoeuropäischen Sprachfamilie angesehen. Keine andere ist so gut erforscht und so weit verbreitet. Sogar Textdokumente reichen einige tausende Jahre zurück. Zudem gibt es zahlreiche Artefakte, an denen man anatomische und kulturelle Entwicklungen festmachen kann, z.B. Kochtöpfe mit Milchresten, die 3.500 Jahre alt sind, oder 4.300 Jahre alte Schädelüberreste, die einem Erwachsenen mit Überbiss gehörten.

Video: Artikulation von „f“ mit Überbiss

Aus allen Daten lässt sich laut den Forschern ableiten, dass etwa vor 4.500 bis 3.500 Jahren – also etwa ab der Bronzezeit - Labiodentale immer häufiger geworden sein müssen. Das bestätigen auch Rekonstruktionen des früheren Lautinventars. Diese zeigen, wie etwa bilabiale Konsonanten (wie „P“) im Lauf der Zeit zu labiodentalen wurden (wie „V“), auf diese Weise wurde aus dem lateinische „Pater“ das deutsche „Vater“ (oder das englische „father“).

Noch häufiger dürften die Laute in den letzten 2.500 Jahren geworden sein. Wie die Forscher vermuten, könnten dabei auch soziale Faktoren mitgespielt haben. Menschen, die aufgrund ihrer Besserstellung mehr gekochten Speisen zu sich nehmen konnten, haben die neuen Laute vielleicht auch aus Prestigegründen häufiger verwendet.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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