100 Jahre "Frankfurter Schule“

Die „Frankfurter Schule“ ist eine der bedeutendsten soziologisch-philosophischen Strömungen des 20. Jahrhunderts. Mit der Berufung von Franz Oppenheimer zum ordentlichen Professor für Soziologie und Nationalökonomie wurde am 1. April 1919 der Grundstein gelegt.

Zu verdanken war die erste deutsche Lehrstuhl für Soziologie an der Frankfurter Goethe-Universität der Stiftung des Frankfurter Kaufmanns und Mäzens Karl Kotzenberg. Er wollte für die neue Professor an der damaligen Reformuniversität unbedingt Oppenheimer haben. Der Sohn eines jüdischen Predigers hatte vor seiner wissenschaftlichen Karriere zunächst lange als Arzt gearbeitet.

Sicherlich hätte sich Kotzenberg nicht träumen lassen, dass die Frankfurter Soziologie über Jahrzehnte hinweg und trotz des Bruchs im Nationalsozialismus weit über Deutschland hinaus die Forschungsagenda bestimmen sollte. Dafür stehen Namen wie Karl Mannheim, Norbert Elias, Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Jürgen Habermas. Die „Frankfurter Schule“ ist mit ihrer „Kritischen Theorie“ weltweit ein Begriff - und Habermas gilt als der derzeit bedeutendste Philosoph Deutschlands.

Neugründung zur „Reeducation"

Ein entscheidender Schritt zum Ausbau der Soziologie in Frankfurt war 1923 die Gründung des Instituts für Sozialforschung. Dieses wurde wiederum aus dem Privatvermögen des jüdischen Mäzens und Gelehrten Felix Weil finanziert. Frankfurt hatte damals eine Ausnahmestellung. In der Handelsstadt mit ihrem liberal gesinnten Großbürgertum, das großzügig stiftete, konnten sich ganz neue Ideen in der Wissenschaft etablieren. Andere Hochschule waren dagegen von konservativen Landesherren abhängig.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 musste an der Uni Oppenheimers Nachfolger Karl Mannheim gehen, das Institut für Sozialforschung wurde geschlossen. Dessen führenden Köpfe Adorno und Horkheimer emigrierten in die USA. Nach der Rückkehr begründeten sie 1950 das Institut und die Soziologie erneut - mit maßgeblicher Unterstützung der US-Besatzungsmacht, die an einer „Reeducation“ der Deutschen interessiert war.

Führende Intellektuelle

Adorno und Horkheimer erhielten Professuren an der Goethe-Uni und gehörten fortan zu den führenden Intellektuellen im Nachkriegsdeutschland. Frankfurt sollte dann 1967/68 neben Berlin zum zentralen Ort der Studentenrebellion werden - das Institut für Soziologie war ein wichtiger Schauplatz. Adorno und der 1964 als Nachfolger Horkheimers nach Frankfurt gekommene Habermas wurden aber von den aufmüpfigen Studenten aber oft angefeindet, obwohl sich die „Kritische Theorie“ an die Ideologiekritik von Karl Marx anlehnte.

Zwei Linien

Generell wurde die „Frankfurter Schule“ der Soziologie aber immer von zwei Linien in friedlicher Koexistenz dominiert. Neben der kritischen Gesellschaftstheorie gab es den eher an der Volkswirtschaft orientierten Zweig, für den Oppenheimer und Mannheim stehen. Oppenheimer selbst gilt als Vordenker der „sozialen Marktwirtschaft“. Deren Begründer nach dem Zweiten Weltkrieg, der damalige Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard, hatte in den 1920er Jahren bei Oppenheimer in Frankfurt promoviert.

Heute zählt die Frankfurter Soziologie mit mehr als 20 Professoren und rund 60 wissenschaftlichen Mitarbeitern immer noch zu den größten Einrichtungen in Deutschland. Jedes Wintersemester beginnen dort rund 500 Studenten ihr Studium. Der 100. Geburtstag wird mit einer Reihe von Vorträgen in den kommenden Monaten gewürdigt. Die eigentliche Festveranstaltung zum 100. Geburtstag findet erst am 12. November mit Jürgen Habermas statt, der im Juni 90 Jahre alt wird.

Oppenheimer hatte damals seine Frankfurter Professur wegen Krankheit auch erst im Wintersemester angetreten. Der erste Lehrstuhlinhaber blieb zehn Jahre an der Universität, bevor er 1929 im Alter von 64 Jahren nach Berlin zurückkehrte. 1938 emigrierte er über Tokio und Schanghai in die USA. 1943 starb er verarmt in Los Angeles.

science.ORF.at/APA/dpa

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