Krebs: Tödliche Tempomacher

Wenn Krebszellen Organe befallen, dann tun sie das offenbar in organisierten Verbänden – und werden dadurch noch gefährlicher. Die gute Nachricht: Genau diese Eigenschaft könnte sie auch verwundbar machen.

Man kennt diese Bilder von den TV-Übertragungen der Tour de France: Eine Ausreißergruppe löst sich vom Hauptfeld und fährt innerhalb weniger Kilometer einen Vorsprung auf die zu spät reagierenden Verfolger heraus. An der Spitze tritt der Tempomacher in die Pedale, er kämpft gegen den Luftwiderstand - bis ihn die Kräfte verlassen. Dann macht er Platz für den nächsten und reiht er sich am Ende der Gruppe ein.

Invasion im Team

Was das mit Wissenschaft zu tun hat? Über genau diese Strategie berichteten kürzlich Forscher um Cynthia Reinhart-King in den „Proceedings“ der amerikanischen Wissenschaftsakademie. Hier geht es allerdings nicht um Radfahrer, sondern um Tumorzellen, genauer: um invasive Tumorzellen, die ihr entartetes Ursprungsgewebe bereits verlassen haben und sich im Körper ausbreiten. Hätten Krebszellen nicht die Fähigkeit, andere Organe zu befallen, wäre die Krankheit in vielen Fällen gut zu kontrollieren.

Doch leider haben die Invasoren eine besonders perfide Strategie entwickelt, um im Körper vorwärts zu kommen, wie Reinhart-King in ihrer Studie schreibt: Die Krebszellen reisen nicht, wie bisher angenommen, als Einzelkämpfer durch den Körper, sie schließen sich vielmehr zu Clustern zusammen. Und weil die Fortbewegung in den Geweben eine energiezehrende Angelegenheit ist, kommt auch hier das Prinzip der „pace maker“, der Tempomacher ins Spiel.

Gruppe von Krebszellen

Kuhn lab, the Scripps Research Institute

Arbeitsteilung: Krebszellen (grün) wandern in Gruppen

Eine Tumorzelle übernimmt die Führungsposition und legt im Gewebe Pfade an, auf denen dann die Nachzügler in das Gewebe vordringen. Zwei bis acht Stunden später, wenn die Energiereserven des Führers erschöpft sind, übernimmt eine andere Zelle diese Position. Und so weiter - bis sich der Zellhaufen an neuer Stelle festsetzt und wieder wachsen kann.

Therapie: Den Stoßtrupp aushungern

Tumorzellen sind, so degeneriert ihr zellulärer Haushalt im Einzelnen auch sein mag, offenbar zur Kooperation fähig. Das macht sie so gefährlich – und gleichzeitig auch verwundbar: Denn könnte man dieser Kooperation einen Riegel vorschieben, ließe sich auch die Krebstherapie verbessern.

Was man in der Krebsmedizin bisher zu wenig beachtet hat, betont Reinhart-King, sei der Stoffwechsel. Letztlich sei nicht nur die Vermehrung, sondern auch die Ausbreitung der Krebszellen von Energiereserven abhängig. „Wir haben für unsere aktuellen Versuche Brustkrebszellen verwendet. Aber der Mechanismus gilt auch für andere Gewebe, etwa für Lungen-, Haut- und Darmkrebs“, so die Forscherin von der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee.

So gut wie alle derzeit üblichen Chemotherapeutika versuchen den primären Tumor an der Zellteilung zu hindern. Doch gegen metastasierende Krebszellen gibt es bis heute keine maßgeschneiderten Wirkstoffe. Genau so etwas will Reinhart-King nun entwickeln, denkbar wären zwei Varianten: Man könnte die chemische Kommunikation der flottierenden Krebszellen unterbrechen. Und man könnte sie systematisch aushungern. Solche Stoffwechselblocker gibt es bereits, sagt Reinhart-King. „Wir testen sie gerade im Labor. Und wir wollen die Ergebnisse so schnell wir möglich in klinische Anwendungen übersetzen.“

Robert Czepel, science.ORF.at

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