Spuren des Untergangs im Abfallberg

Mitten in der Wüste Negev hat sich im oströmischen Reich eine florierende Stadt befunden. Warum die Blütezeit von Elusa im 6. Jahrhundert ein plötzliches Ende fand, zeigen Abfallberge. Eine Eiszeit und die Pest dürften den Untergang eingeleitet haben.

Im dritten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung errichtete der nordwestarabische Nomadenstamm der Nabatäer im Nordwesten der Wüste Negev im heutigen Israel eine Zwischenstation auf seiner Handelsroute: Elusa. Ein paar hundert Jahre später, in der Spätantike, wurde aus der Stadt ein wichtiges urbanes Zentrum des oströmischen bzw. frühen byzantinischen Reichs, das zu dieser Zeit - an der Schwelle von der Antike zum Frühmittelalter - aus den östlichen Teilen des römischen Reiches hervorging.

Nahaufnahme des Abfallhügels

Guy Bar-Oz

Nahaufnahme des Abfallhügels

Auf etwa 39 Hektar befand sich ein Verbund von sieben kleineren städtischen Siedlungen und hunderten Höfen. Zahlreiche öffentliche Gebäude – z.B. Theater, öffentliche Bäder oder Keramik-Werkstätten – bezeugen den urbanen Charakter von Elusa. Schriftliche Zeugnisse aus dem vierten bis siebten Jahrhundert bestätigen seine Bedeutung. Die Stadt wird dort etwa als Verwaltungszentrum beschrieben. Eine weitreichende Infrastruktur im Hinterland versorgte die Bewohner mit Lebensmitteln. Ein System aus Terrassen, Dämmen, Bewässerungsanlagen, etc. erstreckte sich über etwa 2.000 Quadratkilometer. Auf diese Weise wurde aus der trockenen Wüstenregion, in der lange nur Nomaden lebten, ein florierender grüner Landstrich.

Organisierte Abfallwirtschaft

Weitaus weniger weiß man heute darüber, wann und warum die Blütezeit zu Ende ging. Aufzeichnungen in den Nessana Papyri legen nahe, dass Elusa bis ins siebte Jahrhundert – möglicherweise sogar noch nach der beginnenden islamischen Expansion in den 640er Jahren – als urbanes Zentrum funktionierte. Dafür gibt es aber kaum physische Belege, etwa in Form von Ausgrabungen, schreiben die Forscher um Guy Bar-Oz von der Universität Haifa in ihrer soeben erschienenen Studie.

Scherben aus dem Abfallberg

Guy Bar-Oz

Scherben aus dem Abfallberg

Aufschluss sollten nun die Abfallhügel rund um Elusa liefern. Die Stadtbewohner haben nämlich eine wohlorganisierte Abfallwirtschaft betrieben. Rund um die Stadt identifizierten die Archäologen vier auffällige Abfallhügel, drei im Nordosten und einen im Süden, die sich bis zu fünf Meter über den heutigen Boden erheben.

Auf den Mülldeponien fanden sich unter anderem Keramikstücke, Baumaterial wie Mörtel und Reste von verbranntem Holz oder Dung. Die 15.000 Scherben ordneten die Forscher nach den Epochen ihrer Entstehung (hellenistisch, römisch, byzantinisch, islamisch). Die meisten stammen demnach aus der byzantinischen Periode zwischen 350 und 550 n.Chr.; ein Drittel aller Scherben waren Stücke von sogenannten Gaza-Weinkrügen. In den für diese Periode typischen Keramikgefäßen wurde der bekannte byzantinische Wein des Negev gelagert. Aus den folgenden Jahrhunderten fanden sich deutlich weniger Scherben in den antiken Deponien. Auch Münzen und Glasreste gab es nur mehr spärlich. Durch die Kohlenstoffdatierung von organischen Materialien wie Samen und Holzkohle versuchten die Forscher das Ende der Müllsammlung weiter einzugrenzen.

Grüne Wüste

Die Ergebnisse bestätigen jedenfalls, dass die Stadt in der byzantinischen Zeit zwischen dem vierten und sechsten Jahrhundert ihre Blütezeit hatte. Außerdem zeigen sie, dass der Müll tatsächlich über lange Zeit systematisch aus der Stadt entfernt und zu eigenen Abfallplätzen gebracht wurde; pro Jahr sammelten sich so etwa 6.000 Kubikmeter Müll. Die organisierte Abfallwirtschaft war in den Städten des mediterranen Raums bereits in der Antike verbreitet, schreiben die Studienautoren, besonders in Zeiten des Wohlstands und im Dienste der öffentlichen Hygiene.

Ein Abfallberg in Elusa

Guy Bar-Oz

Einer der vier untersuchten Abfallberge um Elusa

Wenn diese Form der Müllbeseitigung mehr oder weniger plötzlich endet, deute das auf gröbere Veränderungen, entweder änderte sich die Organisation des Alltags oder es lebten einfach nicht mehr so viele Menschen wie zuvor in Elusa. Jedenfalls finden sich zahlreiche Hinweise, dass alle menschlichen Aktivitäten Mitte des sechsten Jahrhunderts drastisch zurückgegangen sind. Laut dem Team um Bar-Oz endete damit eine historisch einzigartige Hochphase in der Wüstenregion - sowohl was die Bevölkerungsdichte als auch die landwirtschaftliche Produktivität betrifft.

Was beendete die Blütezeit?

Meist wird der Niedergang der Region mit der islamischen Expansion in Zusammenhang gebracht. Die Analyse der Abfallberge lege aber nahe, dass der Status von Elusa nicht erst durch die Kämpfe mit den Invasoren verloren ging, sondern schon etwa hundert Jahre früher deutlich gebröckelt sein muss. Das Ende der koordinierten Müllsammlung markiere das Ende der hohen römisch-byzantinischen Standards in der städtischen Verwaltung, so die Forscher. Vermutlich sei der Alltag von da an nicht mehr zentral organisiert worden, das Leben wieder ländlicher geworden.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell am 26.3. um 13:55

Was aber hat dann den Untergang eingeleitet? Laut Studie könnten mehrere Faktoren eine Rolle gespielt hat: klimatische Veränderungen, Pandemien und gesellschaftliche wie politische Unruhen in der gesamten südlichen Levante. Beginnend mit Vulkanausbrüchen von 530 bis 540 n. Chr. kühlte es deutlich ab, es wurde noch trockener und windiger, wie paläoklimatische Analysen der lokalen Dünenfelder vermuten lassen. Diese Kälteperiode könnte der ökologisch sensiblen Region stark zugesetzt haben. Der Ausbruch der Justitianischen Pest im Jahr 541 verschärfte die Lage. Internationale Handelsbeziehung dürften in dieser Periode ebenfalls stark zurückgegangen sein, was das Leben im städtischen Zentrum der Negev weiter erschwerte. Erst zwei Jahrhunderte später wurde Elusa von seinen neuen islamischen Herrschern endgültig aufgegeben.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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