Wann wir Erste Hilfe leisten

Bei einem Notfall leistet etwa jeder Dritte in Österreich Erste Hilfe. Ob wir helfen oder nicht, hängt unter anderem davon ab, ob wir das Leid des anderen nachempfinden können. Allerdings: Zuviel Mitleid verringert die Hilfsbereitschaft, wie Forscher berichten.

Wenn wir jemanden mit dem Fahrrad gegen eine Straßenlaterne fahren und mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden liegen sehen, werden Teile des Gehirns aktiviert, die auch dann aktiv sind, wenn wir uns selbst vor Schmerzen am Boden krümmen. Zu diesen Arealen zählen etwa der cinguläre sowie der somatosensorische Kortex. „Dass wir Schmerzen nachempfinden können, verdanken wir sogenannten Spiegelneuronen“, erklärt der Neurowissenschaftler Christian Keysers vom Niederländischen Institut für Neurowissenschaften. Dass hier dieselben Aktivitäten im Gehirn ablaufen, hat der Forscher und sein Team soeben in einer aktuellen Studie mit Mäusen und Gehirnscans an Menschen bewiesen.

Die Veranstaltung

Valeria Gazzola und Christian Keysers sprachen am 26.3. über „Vicarious Activation: From Prception to Behavior“ am Vienna CogSciHub in Wien.

Ö1-Sendungshinweis

Diesem Thema widmete sich auch ein Beitrag in „Wissen aktuell“ am 27.3. um 13:55 Uhr.

„In zwei Wochen werden wird eine Studie veröffentlichen, in der wir zum ersten Mal zeigen, dass hier jeweils genau dieselben Schmerzneuronen aktiv werden – wenn die Ratte Schmerz empfindet, wie wenn sie den Schmerz einer anderen Ratte sieht“, berichtet der Forscher vorab. Stört man die Hirnaktivität in diesen Gehirnarealen, wird die Ratten hingegen nicht mehr von dem Leid der anderen Ratte berührt. „Das zeigt, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen der Aktivität der eigenen Schmerzneuronen und der Empathie gibt“, so Keysers. Gehirnscans zufolge werden dieselben Areale auch beim menschlichen Gehirn aktiv. „Es scheint hier eine ähnliche Hirn-Architektur in unterschiedlichen Säugetieren und den Menschen zu geben, was es uns ermöglicht, verschiedene Experimente und Erkenntnisse miteinander zu vergleichen.“

Empathie als entscheidender Motor

Diese Fähigkeit, mit dem anderen zu fühlen, sei einer der wesentlichen Motoren, weshalb Menschen anderen helfen. „Wie wir uns in einer Notsituation entscheiden, hängt davon ab, wie sehr uns das Leid des anderen berührt“, erklärt die Neurowissenschaftlerin Valeria Gazzola, sie leitet gemeinsam mit Christian Keysers das „Social Brain Lab“ in den Niederlanden. Allerdings: Sind wir zu sehr berührt, wissen wir nicht mehr, wie wir mit der Situation umgehen sollen und helfen nicht. „Wir müssen also grundsätzlich von dem Schmerz des anderen bewegt werden, zu viel ist aber auch nicht gut.“ Das zeigten die Forscher ebenfalls in Untersuchungen an Ratten. Wird eine Ratte zu sehr gestresst, hilft sie der anderen Ratte nicht mehr, um sie von ihren Schmerzen zu befreien.

Darüber hinaus kommt es darauf an, wie sehr der Nutzen der Hilfeleistung die Kosten überwiegen, so Gazzola. „Auch diese Kosten-Nutzen-Rechnung knüpft sich letztlich an das Mitgefühl, das wir empfinden. Können wir durch die Hilfe, den eigenen Stress reduzieren, werden Menschen helfen.“ Andere wiederum können die eigene Not nur dadurch verringern, indem sie den Unfallort verlassen. Auch dass manche mit dem Handy auf das Unfallopfer starren und filmen, sei für Gazzola kein Zeichen für mangelnde Empathie, sondern eine Reaktion, um die Situation und den gespiegelten Schmerz zu verarbeiten. „Es hilft, Distanz zu bekommen. Unabhängig davon, dass diese Menschen auch das Gefilmte anderen zeigen wollen.“

Des Weiteren scheinen Auswegmöglichkeiten das Verhalten zu beeinflussen, wie die Forscher in Experimenten zeigen. Sind Menschen mit dem Opfer in einem Raum, aus dem sie nicht raus können, helfen fast alle. „Gab es die Möglichkeit zu gehen, half nur noch die Hälfte“, erklärt Keysers.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

Mehr zu diesem Thema: