Die Gesichter hinter den Namen
Die Nationalsozialisten hatten viele Feinde: Sozialisten und Kommunisten genauso wie Angehörige der Vaterländischen Front, und natürlich auch Künstler, Intellektuelle und viele Journalisten. Die Gestapo erstellte eine Namensliste von 150 Personen, die am 1. April 1938 vom Wiener Westbahnhof abtransportiert wurden. Diese Liste war der Ausgangspunkt für die Recherchen der Historikerin Claudia Kuretsidis – Haider von der Zentralen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz und dem Historiker Rudolf Leo.
Rudolf Leo privat
Weitere zehn Personen sind auf anderen Routen in jenen Tagen nach Dachau gebracht worden, unter ihnen auch Josef Ferdinand Habsburg, General der k.u.k. Armee, der bereits am 31. März nach Dachau deportiert worden war, und die beiden Brüder Ernst und Maximilian Hohenberg, Söhne des ermordeten Thronfolgers Franz Ferdinand.
Viele prominente Opfer
Die Autoren haben in zweijähriger Forschungsarbeit in Archiven recherchiert, aber auch mit den Familien der Opfer gesprochen, um die 160 Lebensgeschichten aufzuschreiben und mit Bildmaterial zu ergänzen. Entstanden ist daraus das Buch „dachaureif“. Der Österreichertransport aus Wien in das KZ Dachau am 1. April 1938.
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Heute Abend präsentieren Claudia Kuretsidis-Haider und Rudolf Leo das Buch „dachaureif. Der Österreichertransport aus Wien in das KZ Dachau am 1.April 1938“ in der Diplomatischen Akademie in Wien.
„Uns ist es einfach darum gegangen, diesen Personen ein Gesicht zu geben“, fasst der Historiker Rudolf Leo das Forschungsprojekt zusammen. Es waren politische Gefangene, die auf der Liste für den ersten Dachau-Transport zu finden waren. Zwar waren über 40 Prozent der Gefangenen jüdisch, aber auch sie wurden in diesem Fall aus politischen Gründen nach Dachau gebracht. Auffallend sind die vielen prominenten Namen auf der Liste. Der Schriftsteller Fritz Löhner-Beda, der Wiener Bürgermeister Richard Schmitz, der spätere Bundeskanzler Leopold Figl, der spätere Gewerkschaftsbund-Präsident Franz Olah, sie alle befanden sich auf dem ersten österreichischen Dachau-Transport.
Verbündete gegen die Nationalsozialisten
Einstige Opfer und Täter wurden in Dachau zu Zwangsverbündeten, erklärt Claudia Kuretsidis-Haider. „Es ist ja auch in Dachau der berühmte ‚Geist der Lagerstraße‘ kreiert worden: vor dem Hintergrund, dass man als einstige politische Gegner gemeinsam Häftling in Dachau war, sei der Geist der Zweiten Republik entstanden, das ist dann oft auch mystifiziert worden“.
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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal am 2.4. um 12:00
Ein biografisches Beispiel ist etwa Emanuel Stillfried, geboren 1898 in Pilsen, Gendarmeriemajor und Kommandant desAnhaltelagers Wöllersdorf. Seine letzte Wohnadresse war in der Ungargasse in Wien, festgenommen wurde er am 13. März 1938, er hatte die Gefangenennummer 13308. Er überlebte Dachau und wurde nach 1945 zum Chef der österreichischen Gendarmerie ernannt.
DÖW
„In Wöllersdorf sind die Gegner des austrofaschistischen Systems gesessen. Emanuel Stillfried ist dann von den Nationalsozialisten verhaftet worden und traf im Lager mit Personen, die ebenfalls zuvor im Anhaltelager Wöllersdorf gewesen sind – nur eben als Gefangene,“ erzählt Claudia Kuretsidis-Haider.
Auch das Weiterleben jener, die das Konzentrationslager Dachau überlebt haben, ist für die Autoren ein Thema. Viele litten ihr Leben lang an den Folgen der Misshandlungen, manche starben erst viel später daran, so das Resumee der Autoren.
Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft