Warum Flüsse Steine brauchen

Flüsse spielen eine zentrale Rolle, wenn es um die Bewältigung des Klimawandels geht. Wie sie mit Starkregen und Überschwemmungen besser zurechtkommen, wird im Wasserbaulabor in Wien erforscht. Sedimente spielen dabei eine Schlüsselrolle.

Unter Sedimenten versteht man Schotter, Kies und feinere Stoffe, die von Bergen und Böschungen in die Flüsse gelangen. Ein Teil dieser Sedimente ist so leicht, dass er im Wasser schwebt und mit der Strömung transportiert wird. Der andere Teil, das „Geschiebe“, besteht aus größeren Steinen im Flussbett. Sedimente stehen im Mittelpunkt des Wasserbaulabors der Universität für Bodenkultur in Wien und des dort ansässigen Christian-Doppler-Labors für Sedimentforschung und -management.

Stauräume als Modelle nachgebaut

Hier wird geschraubt, gehämmert und geschweißt, 400 Liter Wasser pro Sekunde können durch die riesigen Rohre gepumpt werden, die den gesamten Raum durchziehen. Christine Sindelar, Leiterin des Wasserbaulabors, zeigt auf ein kleines Becken mit verschiedenfarbigen Steinen. „Was wir hier aufgebaut haben, ist ein Stauraum vor einem Kraftwerk. Jede Korngröße hat eine eigene Farbe. Wenn wir ein Hochwasserereignis simulieren, sehen wir, wo sich die groben und wo die feinen Materialien ablagern.“

Christine Sindelar, Leiterin des Wasserbaulabors der Boku, mit den Studenten Kevin Reiterer und Thomas Gold (hinten); riesige Rohre im Labor; bunt eingefärbte Steine.

Elke Ziegler, science.ORF.at

Christine Sindelar, Leiterin des Wasserbaulabors der Universität für Bodenkultur, mit Kevin Reiterer und Thomas Gold (hinten), Studenten des Fachs Kulturtechnik und Wasserwirtschaft; riesige Rohre durchziehen das 400 Quadratmeter große Labor; mit bunt eingefärbten Steinen wird er Sedimenttransport bei Hochwasser erforscht.

Wie im Labor besteht auch in der Realität ein Flussbett aus verschieden großen Steinen und Teilchen. Für einen gesunden Fluss sind alle Sedimente wichtig. Die Realität sieht aber anders aus, so Sindelar: Da Flüsse etwa durch Kraftwerke vom Menschen verändert werden, werden die Sedimente auf ihrem Weg von der Quelle bis zur Mündung immer wieder aufgehalten: „Durch das Aufstauen des Wassers bleiben die Sedimente im Stauraum und fehlen dem Fluss Richtung Mündung.“

Fluss frisst sich in den Boden

Wenn die größeren Steine in den Kraftwerken hängen bleiben und der Flusssohle fehlen, führe das zu Eintiefungen. Christine Sindelar erwähnt das Beispiel Rumänien, wo sich die Sohle der Donau am Unterlauf innerhalb weniger Jahrzehnte um mehrere Meter eingetieft hat. Auch in Österreich gibt es solche Flüsse: „In der Salzach ist die Schotterschicht an vielen Stellen nur mehr wenige Dezimeter dick. Wenn dann ein größeres Hochwasser kommt, kann es sein, dass sich die Sohle um mehrere Meter eintieft.“

Klima schützen, Leben wandeln

Die Politik muss die großen Weichen in Sachen Klimapolitik stellen. Kleine Projekte können aber einen Weg hin zu einem sinnvollen Umgang mit dem Klimawandel weisen. „Wissen Aktuell“ und science.ORF.at stellen solche Projekte vor:

Gräbt sich der Fluss in den Boden ein, bedeutet das für die Umgebung, dass der Wasserspiegel sinkt, das Erdreich wird trockener. Brückenpfeiler werden unterspült, Brücken können einstürzen. Mit Blick auf den Klimawandel und steigende Temperaturen gilt es deshalb, einen guten Mix an Sedimenten zu erhalten. In Sindelars Labor setzt man bei der Wehrschwelle von Kraftwerken an, wo sich das Wasser staut: „Wir haben festgestellt, dass wir bei Hochwasser sehr viel mehr Sediment in kürzerer Zeit transportieren können, wenn die Wehrschwelle erniedrigt wird.“

Außerdem rät die Wissenschaft, Flüssen mehr Platz zu geben. Drei bis siebenmal die Flussbreite sollten Häuser vom Fluss entfernt sein. Und: Steinblöcke oder Kiesinseln zulassen – das erschwert zwar die Hochwasserberechnungen, ermöglicht aber vielfältiges Leben von Tieren und Pflanzen in und am Fluss. Letztlich sei der Umgang mit Flüssen in modernen Gesellschaften ein ständiges Abwägen von Interessen, so die Flussexpertin Sindelar. Österreich will bis 2030 seinen Strombedarf vollständig aus erneuerbarer Energie decken, Wasserkraftwerke spielen da eine große Rolle.

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

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