Wenn Lücken mehr sagen als Bilder

Ein neues Buch untersucht, warum bestimmte Ereignisse aus der NS-Zeit in der Zweiten Republik gezeigt oder ausgeblendet wurden. Leerstellen sagen dabei oft mehr als Bilder.

Welche Bilder gezeigt und mit welcher Bedeutung sie durch andere Visualisierungen oder Texte aufgeladen werden, „ist immer eine geschichtspolitische Entscheidung“, sagt die Wiener Historikerin Ina Markova. In ihrem neuen Buch, das am Montag in Wien präsentiert wird, hat sie „Die NS-Zeit im Bildgedächtnis der Zweiten Republik“ untersucht.

Ein komplettes Fehlen von Bildern über die Zeit des Nationalsozialismus habe es nie gegeben, betont Markova. Allerdings hätten sich im Verlauf der Jahrzehnte die „Grenzen des Sag- und Zeigbaren verschoben“.

Opfer wurden kaum gezeigt

Direkt nach dem Krieg habe ein „antifaschistischer Konsens“ geherrscht, in dem es durchaus erwünscht war, die Verbrechen der Nationalsozialisten auch bildlich darzustellen. Bis zum Ende der Nürnberger Prozesse sei das Motiv des Kriegsverbrechers auf der Anklagebank kaum aus den Zeitungen wegzudenken gewesen. Aber auch Trümmerbilder wie jene der zerstörten Floridsdorfer Brücke in Wien - als indirekte Anklage gegen das NS-Regime - waren sehr präsent. Die bildliche Erinnerung an den Widerstand gegen das NS-Regime geschah damals auch aus Kalkül, immerhin wurde damit der von den Alliierten eingeforderte eigene Beitrag zur Befreiung hervorgehoben. Opfer der Nationalsozialisten wurden in der ersten Phase nach Kriegsende hingegen kaum gezeigt.

Mit Ende der 1940er Jahre gab es nur noch indirekte Darstellungen der NS-Zeit, diese wurden mehr und mehr von „Gegenbildern“ (Markova) überdeckt: Bei Trümmerbildern fehlte nun der Hinweis, was überhaupt zu den Kriegshandlungen geführt hat. Bestimmende Erzählung war nun die des Aufbaus, inszeniert als Leistung, die den Österreichern nicht mit Hilfe, sondern trotz der Alliierten gelang. 1945 wurde zur „Stunde Null“ erklärt. „Durch Bilder des Wiederaufbaus wurde die Vergangenheit überdeckt und der Opferstatus der ÖsterreicherInnen ins Bild gesetzt“, schreibt Markova.

Notsteg der Floridsdorfer Brücke

ÖNB

Notsteg der Floridsdorfer Brücke

Hitler am Heldenplatz erst 1963 abgebildet

„Das lange Schweigen der 50er“ brachte mit dem Abschluss des Staatsvertrags und dem Wiederaufbau neue Schlüsselbilder hervor, die NS-Zeit galt nunmehr als „nicht darstellbar“. Mit der Rückkehr der Bilder in den 1960ern erfuhr das Jahr 1945 eine Umdeutung: In den damaligen Schulbüchern wurde aus dem Jahr der Befreiung vom NS-Regime ein „Jahr der Trauer und Zerstörung“.

Das Buch:

Ina Markova: „Die NS-Zeit im Bildgedächtnis der Zweiten Republik“, Band 6 der Reihe der Nationalsozialismus und seine Folgen, Studienverlag; Präsentation 8.4., 19 Uhr, im Republikanischen Club, Rockhgasse 1, 1010 Wien

Gleichzeitig wurde dem Widerstand gegen die Nationalsozialisten wieder Raum gegeben - solange er das Geschichtsbild vom „Anschluss“ als für die meisten Österreicher leidvolle Erfahrung unterstrich, auf die erbitterter Widerstand österreichischer Patrioten folgte. Der kommunistische Widerstand blieb jedoch ausgespart. Als neuartiges Bildermotiv wurde antisemitische Demütigung und Gewalt eingeführt - freilich immer noch ohne die Täterschaft von Österreichern zu benennen. Allerdings wurde dieses Narrativ im Kleinen bereits immer wieder infrage gestellt, etwa als 1963 im „Kurier“ erstmals das berüchtigte Bild der umjubelten Rede Adolf Hitlers 1938 auf dem Heldenplatz abdruckt wurde. Erst 16 Jahre später sollte es erstmals in einem Schulbuch abgedruckt werden.

Hitler spricht am 15.3.1938 am Wiener Heldenplatz

AP

Hitler spricht am 15.3.1938 am Wiener Heldenplatz

“Bilderboom“ in den 70er Jahren

Die 1970er brachten nicht nur das „lange sozialistische Jahrzehnt“ unter Kanzler Bruno Kreisky, sondern - unter anderem durch den Start der Schulbuchaktion, die Einrichtung von NS-Dauerausstellungen und die Gründung der Zeitschrift „Profil“ - auch einen „Bilderboom“. Neben Kriegshandlungen und dem österreichischen Widerstand wurden erstmals auch Themen wie Zwangsarbeit, NS-Repression gegen Kärntner Slowenen oder Deportation österreichischer Roma und Sinti und NS-„Euthanasie“ ins Bild gerückt.

Besonders bildstarke Themen waren die innenpolitische Affäre rund um die von Simon Wiesenthal aufgedeckte SS-Vergangenheit von FPÖ-Obmann Friedrich Peter und die Ausstrahlung der US-produzierten TV-Miniserie „Holocaust“. Letztere hat für Markova zu jener Veränderung des historischen Bewusstseins beigetragen, durch die eine Neuverhandlung des österreichischen Geschichtsbildes im Kontext der „Waldheim-Affäre“ möglich wurde. Noch wurde der Holocaust Ende der 1970er allerdings zum Teil infrage gestellt, zum Teil durch Gegenüberstellung anderer Opfergruppen relativiert, zeigen Zitate aus „Presse“ und „Krone“.

Land der Opfer und Täter

Die Affäre rund um Kurt Waldheims vermutete Beteiligung an NS-Kriegsverbrechen brachte schließlich einen neuen Umgang mit Bildern dieser Zeit: Österreicher wurden in „Kurier“ und „Profil“ vermehrt als Täter dargestellt, Österreich zum Land der Opfer und Täter. Auch Schlüsselbilder der Nachkriegszeit wie die Unterzeichnung des Staatsvertrags wurden nun bewusst in Zusammenhang mit der vorangegangenen NS-Zeit gestellt. Im Gedenkjahr 1988 wurde das Bild von Hitlers Heldenplatzrede zum „Beweisbild der österreichischen Mitschuld“. Aufnahmen von antisemitischen Demütigungen wie „Reibpartien“ wurden nicht mehr als Leid von Österreichern sondern österreichischer Juden ausgewiesen.

Ab den 1990ern wurde Berichterstattung über die NS-Zeit auch abseits von Skandalen oder Gedenktagen zur Konstante, ab der Jahrtausendwende erweitert um zwei neue zentrale Themen: jenes der Zwangsarbeiter (und deren Entschädigung) und der NS-„Euthanasie“. Erstmals wurde in diesem Zusammenhang auch intensiv über die Frage diskutiert, welche Bilder man verwenden kann und darf. „Das sind Bilder der Täter, die mit einer bestimmten Intention gemacht wurden“, betont Markova. „Die Frage, welche Bilder man verwendet, ist überhaupt nicht unschuldig.“

science.ORF.at/APA

Mehr zu dem Thema: