Wann das Menschenzeitalter begann

Der Einfluss der Menschen auf die Erde ist so groß, dass es gerechtfertigt ist, die Gegenwart als Anthropozän - also als „Menschenzeitalter“ - zu bezeichnen. Forschern zufolge könnte es in den 1950er Jahren begonnen haben, mit den Atombombentests.

1950, 1952 oder 1956 - so genau kann man es noch nicht sagen, wann das Zeitalter der Menschen begonnen haben könnte, meint der Geologe Colin Waters von der Universität Leicester. Dass irgendwo in diesem Zeitraum der Wendepunkt vom Holozän zum Anthropozän festzumachen sein wird, darüber sind sich die Geologen rund um Waters von der Anthropocene Working Group aber einig. Mitglieder des internationalen Teams von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die Beweise für das Anthropozän suchen, waren soeben zu Gast bei einer Veranstaltung in Wien. Dort wurden die wichtigsten Fragen zum Thema diskutiert.

Was für die 1950er spricht?

Um den Anfang eines neuen Zeitalters bestimmen zu können, müssen Geologen ein charakteristisches Material im Sediment finden, das den starken Einfluss des Menschen auf seine Umwelt markiert. Ein solches könnte Plutonium sein. Das radioaktive Material kommt nur in sehr geringen Mengen natürlich vor. Das änderte sich 1945 mit den ersten Atombombentests. „Man sieht hier weltweit plötzlich eine Veränderung im Vorkommen“, erklärt Colin Waters. In den 1950er Jahren nahmen die Tests mit radioaktivem Material in der Atmosphäre zu, den Höhepunkt erreichten sie dann in den 1960er Jahren.

Die Tests fallen zeitlich mit vielen anderen Entwicklungen zusammen. So stieg seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts auch die Produktion von Plastik, Aluminium, Stickstoffdünger aber auch Beton. „Bei diesen Materialien geht die Kurve seit den 1950er Jahren stark nach oben, bei manchen Stoffen wie Plastik steigt sie nach wie vor.“ Berechnungen zufolge wurden allein in den letzten siebzig Jahren sechs Billionen Tonnen Material von Menschen produziert. „Das ist ein Fünftel von dem, was alle Menschen seit Anbeginn der Zeit produziert haben“, erklärt Waters das Ergebnis eines Schätzungsversuchs.

Was ist der Stand der Forschung?

Den einen Beweis, der das Ende des Holozäns und den Beginn des Anthropozäns einläutet, haben die Forscher noch nicht gefunden. In den nächsten Jahren untersuchen Colin Waters und Kollegen an zehn Orten weltweit, ob sie beispielsweise Plutonium in Eisproben, Korallen, Baumringen, Höhlen und in den Sedimentschichten finden.

„Zudem messen wir auch Veränderungen in der CO2- sowie Stickstoff-Konzentration, von Aluminium und andere Materialien. Wir hoffen, dass wir an einem der zehn Orte für alle ‚anthropozäne‘ Materialien diesen einen Wendepunkt sichtbar machen und die rasanten Veränderungen der letzten Jahrzehnte nachzeichnen können .“

Warum nicht die Industrielle Revolution?

Anfang 2000 stellte der Chemienobelpreisträger Paul Crutzen – der den Begriff Anthropozän zusammen mit dem Biologen Eugene Stoermer prägte - die These auf, dass die Industrielle Revolution den Beginn des Menschenzeitalters markiert. Demnach würde es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts beginnen.

Es spricht einiges dafür, meint Waters. Immerhin kam mit ihr der technische und wissenschaftliche Fortschritt und mit den Fabriken stieg die Produktivität. Allerdings war diese Entwicklung nur langsam und vorerst auf wenige europäische Länder beschränkt, gibt Waters zu bedenken. „Eine solche Definition beschränkt sich auf den Einfluss der westlichen Welt bzw. Englands. Hier geht es aber um globale Veränderungen“, so der Sekretär der „Anthropocene Working Group“.

Holozän vs. Anthropozän: Was macht den Unterschied?

Das Holozän beschreibt das warme Zeitalter nach der Eiszeit, das Landwirtschaft und andere Entwicklungen erst möglich gemacht hat. Es ist eine Phase, in der sich das Klima und die Ökosysteme stabilisiert haben. Dieses Zeitalter dauert nun seit fast 12.000 Jahren an. „Nun leben wir aber in einer Zeit ständiger Veränderung. Berücksichtigt man das, kann man gezielter analysieren, wie wir in diesem neuen, sich schnell verändernden System leben können.“

Zudem ist es eine praktische Frage – man kann dann geologische Veränderungen vor und nach diesem Wendepunkt konkreter vergleichen. Etwa, wie sich das Artensterben in den letzten 70 im Vergleich zu den rund 11.600 Jahren davor entwickelt hat.

Ab wann offiziell?

Der Vorschlag der Geologen muss letztlich von der Subcommission on Quaternary Stratigraphy und danach von der Internationalen Kommission für Stratigraphie bestätigt werden. Im letzten Schritt muss das Exekutivkomitee der International Union of Geological Sciences den Vorschlag ratifizieren. Das wird noch einige Jahre dauern, meint Colin. „Wir müssen uns über den Beginn des Anthropozäns sehr sicher sein, denn man kann die Entscheidung dann nicht einfach rückgängig machen.“

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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