Wie sich ein Jahr im All auswirkt

Ein längerer Aufenthalt im All scheint der Gesundheit nicht nachhaltig zu schaden, nur wenige körperliche Veränderungen sind bleibend. Das zeigt eine Zwillingsstudie. Fast ein Jahr verbrachte Scott Kelly auf der Internationalen Raumstation, sein Bruder Mark blieb auf der Erde.

Von März 2015 bis Februar 2016 lebte Scott Kelly auf der Internationalen Raumstation ISS. Danach ging er als Astronaut in den Ruhestand, er arbeitet aber weiter an der Forschung zu seiner Jahresmission mit. Im Vergleich mit dem in dieser Zeit am Boden gebliebenen, wenigen Minuten älteren Zwillingsbruders Mark, ebenfalls Astronaut im Ruhestand, wollen die Wissenschaftler erforschen, wie sich ein langer Aufenthalt im All auf den Menschen auswirkt. Diese Erkenntnisse sind etwa wichtig für zukünftig geplante, bemannte Missionen zum Mars.

Scott Kelly beim Weltraumspaziergang

NASA

Scott Kelly beim „Weltraumspaziergang“

Die Ergebnisse der aktuellen Studie haben zehn Teams bestehend aus mehr als 80 Wissenschaftlern verteilt über 12 Universitäten erarbeitet. Die Zwillingsstudie ist einzigartig: Zwar sind insgesamt bereits mehr als 550 Menschen ins All geflogen, aber nur acht Missionen dauerten mehr als 300 Tage. Scott Kelly blieb 340 Tage. Er und Mark Kelly sind zudem das bisher einzige eineiige Astronauten-Zwillingspaar. Vor, während und nach der Jahresmission wurden die beiden immer wieder untersucht.

“Wie ein alter Mann“

Im All sind Menschen unter anderem der Schwerelosigkeit und Strahlung ausgesetzt. Wie sich das genau auf den Körper auswirkt und wie lange eventuelle Veränderungen bestehen bleiben, ist allerdings weitgehend unklar. In seinem im vergangenen Jahr auf Deutsch veröffentlichten Buch „Endurance. Mein Jahr im Weltall“ hatte Scott Kelly beschrieben, dass er sich nach der Rückkehr wie ein alter Mann gefühlt habe, mit grausamen Schmerzen in den angeschwollenen Beinen, Übelkeit und brennender Haut.

Scott Kellys "Zimmer" auf der ISS

NASA

Scott Kellys „Zimmer“ auf der ISS

Bei Scott Kelly entwickelte sich im All unter anderem die Genaktivität anders als bei seinem Zwillingsbruder auf der Erde, heißt es nun in der Studie. Besonders betroffen waren Gene, die im Zusammenhang mit dem Immunsystem stehen. Die Veränderungen seien vergleichbar mit denen, die unter Stress entstehen, etwa beim Bergsteigen oder beim Tauchen. Der Aufbau der Gene selbst blieb unverändert. Mehr als 90 Prozent der Genaktivität entwickelte sich innerhalb von sechs Monaten aber wieder zurück auf das Level vor der Mission.

Manche Veränderung dauerhaft

Zur Überraschung der Forscher wuchsen im All bei Scott Kelly die Telomere - schützende Kappen an den Enden von Chromosomen. Veränderungen der Telomerlänge werden mit Alterungsprozessen und Krankheiten in Verbindung gebracht, d.h. kürzere Telomer gelten als Hinweis für eine kürzere Lebenserwartung. Aber auch in diesem Fall verschwanden die meisten Veränderungen auf der Erde wieder, einige von Scott Kellys Telomeren sind aber mittlerweile kürzer als zuvor.

Astronauten und Zwillingsbrüder Scott und Mark Kelly

NASA/ Robert Markowitz

Astronauten und Zwillingsbrüder Scott und Mark Kelly

Zudem veränderte sich Scott Kellys Augapfel, unter anderem wurde ein Nerv in der Netzhaut dicker. Auch die geistige Leistungsfähigkeit nahm in einigen Bereichen ab. Diese Veränderungen könnten aber möglicherweise nicht nur auf den Aufenthalt im All zurückzuführen sein, betonen die Autoren der Studie um Francine Garrett-Bakelman von der Weill Cornell Medicine deutlich.

Ein kleiner Schritt zum Mars

Wie die Wissenschaftler weiter berichten, wirkt eine Grippe-Impfung im All genauso wie auf der Erde. Und die Darmflora veränderte sich nicht stärker als dies auch auf der Erde unter Stressbedingungen beobachtet wird. Die Auswertung des Experiments ist laut den Forschern noch lange nicht abgeschlossen.

In einem Kommentar weist der Biologe Markus Löbrich von der Technischen Universität Darmstadt darauf hin, dass die Strahlenbelastung bei einer Mars-Mission deutlich höher ist als bei Aufenthalten auf der ISS. Die gesundheitlichen Folgen dürften demnach zum Teil andere sein. Dies müsse in weiteren Studien geklärt werden, auch um Strategien dagegen zu entwickeln. Dennoch, so Löbrich, die Studie „bedeutet mehr als nur einen kleinen Schritt für die Menschheit in diesem Vorhaben“.

science.ORF.at/APA/dpa

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