Mini-Blutgefäße für die Diabetesforschung

Wiener Forscher haben winzige Versionen menschlicher Blutgefäße entwickelt. Mit den Miniorganen lassen sich Medikamente etwa gegen Diabetes besser testen – in Zukunft könnten sie Grundlage neuartiger Dialysegeräte werden.

Winzige Gehirne, Nieren, Mägen und andere Organe haben Wissenschaftler in den vergangenen Jahren entwickelt. Mit den so genannten Organoiden kann man die echten, großen Organe besser erforschen. Ein Zentrum für Organoide ist das Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien. Dort haben Forscher um Reiner Wimmer und Josef Penninger mit Blutgefäßen das jüngste Mitglied in der Familie der Organoide erzeugt, wie sie vor Kurzem in der Fachzeitschrift „Nature“ berichteten.

Sie verwendeten künstlich vielfältig gemachte Stammzellen (“iPS-Zellen“) aus dem Blut von Patienten, ließen sie ausdifferenzieren und bildeten so die funktionierenden Mini-Blutgefäße. „Sie sind den echten Blutgefäßen von Menschen im molekularen Aufbau sehr ähnlich“, so Wimmer gegenüber science.ORF.at. In der Petrischale und nach der Einpflanzung in Mäusen untersuchte er die Reaktion der Organoide auf verschiedene chemische Stoffe.

Illustration des Blutgefäß-Organoids

IMBA

Illustration eines Blutgefäß-Organoids

Schnellere Entwicklung von Medikamenten

Die grundlegende Hoffnung: Die Mini-Blutgefäße könnten die Entwicklungsdauer von Medikamenten beschleunigen. Üblicherweise vergehen zehn bis 15 Jahre, bis neue Mittel entwickelt werden. Bevor Forscher sie bei Menschen testen, werden sie an Modelltieren ausprobiert, vorwiegend an Mäusen und Ratten. „Für manche Krankheiten sind die Nager aber keine guten Modelle, etwa bei Diabetes“, sagt Josef Penninger. Bei der Stoffwechselkrankheit könnte die Blutgefäß-Organoide helfen.

Ö1-Sendungshinweis

Über dieses Thema berichtete auch das Ö1-Mittagsjournal, 16.4., 12.00 Uhr.

Im Labor haben die Forscher mehrere Versionen von Mini-Blutgefäßen „diabetisiert“ – also künstlich zuckerkrank gemacht - und dann verschiedene Diabetes-Medikamente ausprobiert. Der Erfolg war überschaubar: Denn die Mittel senken zwar den Blutzuckerspiegel, wirken aber nicht gegen die schädlichen Veränderungen der Blutgefäße. Nur bei einem Mittel wurden die Forscher fündig – und das zu ihrer großen Überraschung, denn dieses ist eigentlich eins Krebs- und Alzheimer-Medikament und wartet noch auf die Zulassung. „Mit dem Mittel konnten wir zumindes die diabetischen Veränderungen verhindern“, sagt Reiner Wimmer. „Sie rückgängig zu machen, ist uns nicht gelungen.“

Unter dem Mikroskop zeigen sich die Ähnlichkeiten zwischen echten menschlichen Zellen (oben) und Organoid-Zellen (unten)

IMBA

Unter dem Mikroskop zeigen sich die Ähnlichkeiten zwischen echten menschlichen Zellen (oben) und Organoid-Zellen (unten): Die Membrane (grün), die die Blutgefäße (rot) umgeben, sind bei diabetischen Zellen deutlich vergrößert und führen zu einer schlechteren Versorgung mit Sauerstoff.

Visionen: Bessere Wundheilung und neue Dialyse

Doch die Blutgefäß-Organoide könnten nicht nur der Entwicklung von Medikamenten dienen. Sie haben auch das Potenzial, Symptome von Diabetes zu bekämpfen, die bisher vernachlässigt wurden: wie etwa Sehbeschwerden und verschlechterte Wundheilung. Beide beruhen auf Veränderungen in den Blutgefäßen. „Eine Vision ist, dass man die Blutgefäß-Organoide züchtet und direkt in nichtheilende Wunden von Patienten transplantiert. Vielleicht machen sie ein neues Wundbett und heilen dadurch die Wunden“, sagt Penninger.

Eine weitere Vision: Mit den Mini-Blutgefäßen andere Organoide größer und damit lebensechter machen – denn Blutgefäße sind die Grundlage aller anderen Organe, etwa für Nieren. Mit künstlichen Nieren oder neuen Geräten könnte man eines Tages vielleicht die heutige Dialyse ersetzen. Gespräche mit Forschern aus England nähren diese Hoffnung, sagt Josef Penninger. „Wir wollen mit ihnen zusammenarbeiten, um die nächste Generation künstlicher Nieren zu züchten. Vielleicht kann man die Blutgefäß-Organoide auch in neue Blutaustauscher einbauen“.

Firmen, die Anwendungen wie diese entwickeln, sollen demnächst gegründet werden. Ob die Visionen jemals Wirklichkeit werden, wird man allerdings erst in einigen Jahren wissen.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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