Zwischen Badestrand und Bunker

Einst eine ärmliche Gegend entwickelte sich die jugoslawische Adria-Küste nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Touristen- und Militärhotspot. Zwei Forscherinnen untersuchen, wie sich das Leben an der Küste dadurch veränderte.

Bis in die 1950er Jahre war das Leben an der jugoslawischen Küste geprägt von Landwirtschaft und Fischerei. Doch zeitgleich mit den Hotelburgen entstanden auch geheime Militäranlagen, die den blockfreien Staat im Kalten Krieg gegen einen NATO-Angriff schützen sollten. Ein aktuelles, vom Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) gefördertes Forschungsprojekt geht der Frage nach, wie sich die Küstenbewohner zwischen den Touristen einerseits und dem Militär andererseits bewegten und wie sich ihr Leben im Kalten Krieg, aber auch mit Beginn des Jugoslawien-Kriegs, veränderte.

Selbstverwaltung und Modernisierung

Bald nach dem Zweiten Weltkrieg begann man im ehemaligen Jugoslawien, eine großflächige touristische Infrastruktur aufzubauen. Hotelanlagen und ganze Ferienressorts wurden aus dem Boden gestampft, der Tourismus wurde zur wichtigsten Einnahmequelle an der Küste. Allerdings hatten die Arbeiterinnen und Arbeiter auch die Möglichkeit, mit ihren Familien selbst Urlaub in den von ihnen gebauten Hotels zu machen – es galt das Modell der Selbstverwaltung, erklärt Antonia Dika, Architekturwissenschaftlerin an der Kunstuniversität Linz.

Kroatiens Küste, schon in jugoslawischen Zeiten ein beliebtes Urlaubsziel

YURI CORTEZ / AFP

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„Viele Infrastrukturprojekte kamen auch der lokalen Bevölkerung zugute, etwa der Ausbau der Häfen, neue Straßen und eine bessere Wasserversorgung“, so Dika. Auch die Städte veränderten sich: „Um den historischen Kern von Städten wie etwa Zadar wurden Wohnungen gebaut für die im Tourismus arbeitenden Menschen – und auch für Angehörige des Militärs.“

Aufrüstung gegen NATO-Angriff

Als blockfreier Staat rüstete Jugoslawien auf – und die Küste war eine wichtige Verteidigungslinie. Auf den Inseln baute man geheime Stützpunkte und Zonen mit Kanonenanlagen gegen feindliche Schiffe. Mit riesigen Bunkersystemen versuchte man, sich gegen mögliche Luftangriffe zu schützen.

Bildmaterial gesucht

Die Forscherinnen suchen nach Foto- und Videomaterial, vor allem aus Mali Lošinj, Lastovo, Brijuni, Šepurine / Punta Scala, Kumbor und Vis. Kontaktadresse: collectiveutopias@gmail.com.

„Die wichtigste militärische Insel war die Insel Vis, sie wurde für einige Jahre komplett gesperrt für fremde Besucherinnen, also es konnten nur Leute mit jugoslawischem Pass auf die Insel“, so Dika.

So geheim die militärischen Unternehmungen auch waren, der Kontakt zur Bevölkerung war trotzdem nicht gänzlich unerwünscht. An speziell dafür vorgesehenen Orten sollten die Militärbediensteten auf die Bevölkerung und auch auf Touristen treffen, wenn die Insel beispielsweise zugleich ein touristischer Ort war. „Dafür gab es eigene Zentren der Jugoslawischen Volksarmee, da fanden Konzerte von den renommiertesten Bands, tägliche Essen und auch Hochzeiten statt“, erklärt Dika.

Zeitzeugeninterviews

Dika und die Kulturwissenschaftlerin und Ökonomin Anamarija Batista von der Akademie der bildenden Künste Wien suchten für ihr Forschungsprojekt ebenfalls den Kontakt zur Bevölkerung von damals. Sie waren an Ort und Stelle, befragten Zeitzeuginnen und suchten in Archiven. Ihr Ziel bis zum Projektende 2022: einen Einblick in den Alltag an der adriatischen Küste geben zu können, wie er zwischen 1950 und 1990 ausgesehen hat.

Eine erste Erkenntnis: Bis zum Ausbruch des Jugoslawien-Kriegs Anfang der 1990er Jahre war es für Küstenbewohner völlig normal geworden, dass das Militär in vielen Ortschaften präsent war. Doch mit Kriegsausbruch änderte sich das.

„Ein ehemaliger Militärbediensteter hat uns davon erzählt, wie er aus dem Militär ausgetreten ist und sich dann der kroatischen Armee angeschlossen hat, die sich gerade erst gebildet hatte. Er wohnte Zimmer an Zimmer mit einem ehemaligen Kollegen von der Jugoslawischen Armee, der nun sein Feind war. Eine skurrile Situation, die aber nie eskalierte, so wie auch die heute kroatischen Inseln von Kriegshandlungen verschont blieben“, so Dika.

Für ihr Forschungsprojekt suchen Battista und Dika noch Foto- und Videomaterial, das während der Urlaubszeit af der adriatischen Küste zwischen 1945 und 1990 gemacht wurde (Kontaktadresse: collectiveutopias@gmail.com). Sie interessieren folgende Standorte: Mali Lošinj, Lastovo, Brijuni, Šepurine / Punta Scala, Kumbor und Vis. Geplant ist, mit dem Material ein digitales Museum zu entwickeln, das für die Öffentlichkeit zugänglich ist.

Hanna Ronzheimer, Ö1-Wissenschaft

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