Leonardo da Vinci – Genie und Feminist?

Das Universalgenie war ein Wegbereiter der Emanzipation, sagt die deutsche Kunsthistorikerin Kia Vahland: Leonardo war der erste Maler, der Frauen als selbstbewusste und eigensinnige Persönlichkeiten darstellte.

500 Jahre nach seinem Tod ist der Schöpfer von Meisterwerken wie der „Mona Lisa“ noch immer für Überraschungen gut. Mit seinen Geistesblitzen, Visionen und anatomischen Studien gilt Leonardo als Vordenker der Moderne. Am wichtigsten aber war ihm die Malerei, die er zum Leitmedium seiner Epoche machte.

Dame mit dem Hermelin (1489-1490); Öl und Tempera auf Holz

Czartoryski-Museum, Krakau

„Dame mit dem Hermelin“ (1489 - 1490)

Kia Vahland, Redakteurin der „Süddeutschen Zeitung“ und Kunsthistorikerin an der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Universität München, zeigt in ihrem Buch „Leonardo da Vinci und die Frauen“, wie ihm das gelang: Er verbündete sich mit den Frauen. Von der weisen „Mona Lisa“ über die dynamische „Dame mit dem Hermelin“ bis zur gütigen „Heiligen Anna“ sind sie die Hauptfiguren seiner Gemälde.

Kraft und Intimität

„Sie scheinen zu agieren auf den Bildnissen, sie geraten in Bewegung, sie denken nach, und manche sind ein bisschen melancholisch, andere interagieren mit dem Betrachter, man kann sie ansprechen, man kann ganz direkt in Kontakt mit ihnen treten. Und das ist etwas ganz Besonderes“, sagt Vahland.

Leonardo ist der erste Maler der Renaissance, der sich von dem in seiner Zeit vorherrschenden strengen und keuschen Frauenbild distanziert. Damals war es üblich, Frauen in der Profilform zu porträtieren. Die Frauen tragen schöne Kleider und Schmuck, das Gesicht ist ausdruckslos und der Blick vollständig dem Betrachter oder der Betrachterin abgewandt.

Diese Form der Darstellung spiegelt das Frauenbild der italienischen Renaissance wider: „Frauen führten ein eingesperrtes Leben“, erklärt Vahland im Interview. „Sie verfügten über keine eigenen Rechte und mussten ein Leben in Gehorsam und Demut führen.“ Die harten Profilbildnisse entstehen kurz nach der Hochzeit der jungen Frauen. Sie sind mit Schmuck behängt, sie repräsentieren die ganze Ausstattung des Ehemannes, den ganzen Reichtum, aber sie stehen nicht als Subjekte für sich selbst. Und das ändert Leonardo da Vinci:

Antonio del Pollaiuolo, Profilbildnis einer jungen Frau (um 1465); La Belle Ferronere
Öl auf Holz (1495-1499)

Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie / Christoph Schmidt; Louvre, Paris

Antonio del Pollaiuolo, „Profilbildnis einer jungen Frau“ (um 1465) - rechts Leonardos „La Belle Ferronniere“ (1495 - 1499)

Er zeigt die Frauen zwar eher schmucklos, wendet aber radikal ihren Blick aus dem Bild heraus, bringt sie in Interaktion, lässt sie wirklich in Beziehung mit den Betrachtenden treten. Seine Gemälde zeichnen sich durch Bewegung und Dynamik aus, die es in dieser Form in der Malerei noch nicht gab. Seine Frauen sind eigensinnig, störrisch und stolz, ihre Haltung selbstbewusst. Nicht selten blicken sie ihrem Betrachter direkt in die Augen. Diese Intimität, die der Maler so zwischen den Frauen der betrachtenden Außenwelt herstellt, und die Kraft, die von seinen Modellen ausgeht, ist einzigartig für die damalige Zeit.

Gefährlich schön

Vahland hat sich vor allem mit den gemalten Porträts Leonardos auseinandergesetzt, in denen er sich von der üblichen strengen, keuschen und unnahbaren Darstellung von Frauen distanziert und Nähe erzeugt. Eine mögliche Erklärung dafür findet sie in Leonardos umfassendem Kunstverständnis und in der Wertschätzung und Bewunderung, die der Maler gegenüber Frauen empfand.

Leonardo und die Frauen

Er war Maler, Bildhauer, Architekt, Ingenieur, Philosoph und gilt als einer der berühmtesten Universalgelehrten aller Zeiten: Leonardo da Vinci. Der Künstler hat die Malerei revolutioniert, denn er hat Frauen in Gemälden so dargestellt wie niemand zuvor: stark und selbstbewusst.

Die Autorin führt diesen Respekt unter anderem auf die Fähigkeit der Frau zurück, Kinder zu gebären und Leben schenken zu können. Leonardo selbst sah sich ebenfalls in der Rolle des Schöpfers und er setzte die schöpferische Kraft mit einer hohen Intelligenz gleich, über die in seinen Augen auch Frauen verfügten. Womöglich fühlte er sich auch deshalb mit ihnen verbunden. Sei es die stolze „Mona Lisa“, die offensive „La Belle Ferronniere“ oder die gefährlich-schöne „Dame mit dem Hermelin“. Leonardos berühmteste Werke zeigen starke Frauen und sind Beleg für das revolutionäre Frauenverständnis des Künstlers, das man heute vielleicht als „feministisch“ bezeichnen würde.

Die Mätresse des Fürsten

Ende der 80er Jahre des 15. Jahrhunderts bekommt Leonardo den Auftrag für ein Frauenporträt, an dem besonders deutlich sichtbar wird, welche Mittel der Maler in seinen Porträts einsetzte, um die Würde der Frauen hervorzuheben.

Ludovico Sforza, Herzog von Mailand, bittet den Maler um ein Bildnis seiner Mätresse Cecilia Gallerani. Auf dem Porträt ist der Oberkörper des Mädchens leicht gedreht, der Kopf zeigt in die entgegengesetzte Richtung. Diese bewegte Körperdarstellung erzeugt eine Dynamik, das Mädchen wirkt agil - genauso wie das Hermelin, welches sie an sich gedrückt in den Armen hält. Das weiße Raubtier ahmt ihre Bewegung nach, Tier und Mensch bilden eine Einheit, und sie wirken unberechenbar, schnell, sogar gefährlich.

Dame mit dem Hermelin (1489-1490); Öl und Tempera auf Holz

Czartoryski-Museum, Krakau

Ausschnitt: „Dame mit dem Hermelin“ (1489 - 1490)

Hermeline wurden oft als Haustiere gehalten, erklärt Vahland im Interview. Doch das Hermelin spielt eine weitaus größere Rolle in diesem Porträt. Denn es galt nicht nur als Symbol für Reinheit und Bescheidenheit, sondern kann auch als Anspielung auf Sforza interpretiert werden, der das Hermelin als Emblem verwendete. Laut Vahland wollte Leonardo den Herrscher möglicherweise als Schoßtier seiner Mätresse darstellen, zudem spielt das Hermelin auf Cecilias Nachnamen Gallerani an – das griechische Wort für Hermelin ist nämlich „galee“. Cecilia galt als Sforzas Lieblingsmätresse, er war von der jungen Frau hingerissen und erhoffte sich ein Kind von ihr.

Sendungshinweise

Universum History, 26.4.: „Leonardo da Vinci – Das geheimnisvolle Porträt“, 22.35 Uhr, ORF2; Wissen aktuell, 26.4, 13.55 Uhr, Ö1

Podcast zum Thema: Leonardo da Vinci - Genie und Feminist?

Neues Frauenbild

Leonardo arbeitete geschickt mit der Bewegung von Mensch und Tier und der Symbolhaftigkeit des Hermelin, um der jungen Mätresse subtil Macht und eine Position zu geben, die ihr in der damaligen Zeit nicht zustand.

Für die deutsche Kunsthistorikerin ist klar: „So wie Leonardo da Vinci sich verhält in seiner Malerei, ist er ganz klar ein Sympathisant, ein Freund der Frauen, und insofern kann man ihn als Emanzipationshelfer betrachten, aber nicht im Alleingang, sondern gemeinsam mit seinen weiblichen Modellen.“ Leonardo entwickelt also gemeinsam mit ihnen tatsächlich ein neues Frauenbild, so Vahlands These: nämlich „das Bild von selbstständigen, starken, eigenwilligen Frauenpersönlichkeiten. Was natürlich auch für uns heute immer noch Maßstäbe setzen kann.“

Leonie Markovics & Josef Peter Glanz, Universum History

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