Zuwanderung: Die Macht der Zahlen

Zahlen sind mächtige Mittel, um in der Politik Meinung zu machen. Das zeigt aktuell eine Studie Schweizer Psychologinnen. Je nachdem, welche Zahlen sie Personen vor einer Befragung vorlegten, waren diese mit hohen oder tiefen Zuwanderungszahlen einverstanden.

Wie viele Zuwanderer pro Jahr sollte ein Land aufnehmen? Diese Frage beantworten Befragte sehr unterschiedlich, je nachdem, welche Zahlen man ihnen vorher als Vorschlag vorlegt. Dieser Ankereffekt ist in der Psychologie schon seit Jahrzehnten bekannt. Mit einer Studie weisen Forscher um Fanny Lalot von der Universität Genf jedoch insbesondere darauf hin, welch großen Einfluss die in Medien verbreiteten Zahlen auf das Meinungsbild haben.

Lalot und ihre Kollegen legten je 300 Studienteilnehmern und -teilnehmerinnen den angeblichen Vorschlag einer politischen Partei vor, in der Schweiz 1.000 oder 100.000 Zuwanderer pro Jahr zuzulassen, wie die Universität Genf mitteilte. Anschließend befragten sie die Probanden, ob diese Zahl höher oder tiefer sein sollte und wie hoch genau. Ihre Ergebnisse stellten sie im Fachblatt „Journal of Applied Social Psychology“ vor.

Politische Quelle spielt geringere Rolle

Die Gruppe mit der tiefen vorgeschlagenen Zahl gab im Durchschnitt 20.800 pro Jahr an, die mit der hohen rund sechsmal mehr, nämlich durchschnittlich 126.000. Das unterstreiche die Bedeutung des Ankereffekts, sagte Lalot.

Die politische Quelle der vorgeschlagenen Zahl spielte zur Überraschung der Forscher dagegen eine viel geringere Rolle. Kamen die vorgeschlagenen 1.000 Einwanderer pro Jahr angeblich von der SVP (der EU-kritischen Schweizerischen Volkspartei, Anm.), schlugen sie als Zahl rund 20.000 vor, kam die Zahl angeblich von der SP (Sozialdemokratische Partei, Anm.), lag der Durchschnitt der von den Probanden vorgeschlagenen Zahlen bei 15.000.

Umstrittenes Plakat der SVP zur Ausschaffungsinitiative im Februar 2017

APA/Keystone/Peter Schneider

Umstrittenes Plakat der SVP zur „Ausschaffungsinitiative“ im Februar 2017

Ähnlich sah es bei den Teilnehmenden aus, die von 100.000 Einwanderern pro Jahr ausgingen. Mit der SVP als Quelle des Vorschlags nannten die Studienteilnehmenden 140.000, mit der SP als Quelle 130.000.

Auch Rechte für höhere Zuwandererzahlen

„Das beweist, dass die politische Quelle der Ankerzahl für die Einschätzung der Öffentlichkeit keine Rolle spielt; nur die Ziffer selbst zählt“, erklärte Lalot laut der Mitteilung.

Ebenfalls überraschend war der Befund, dass politisch eher rechts orientierte Studienteilnehmende mit höheren Zahlen antworteten als die ursprünglich vorgeschlagene Ziffer: In der Gruppe mit der Ankerzahl 1.000 nämlich 18.000, in der mit 100.000 leicht mehr, nämlich im Schnitt 100.500. Politisch eher links orientierte Probanden antworteten mit 25.000 beziehungsweise 160.000.

Normalerweise antworteten Probanden in der Gruppe mit hohen Ankerzahlen eher mit einer tieferen Ziffer. Hier jedoch lag sie höher, sagte Lalot. Möglicherweise sei die Thematik der Grund.

Warnung vor Politikpropaganda

Die Studie zeige, dass die Schweizer Bevölkerung offenbar bereit sei, sogar mehr Einwanderer aufzunehmen, als politische Parteien vorschlagen, schrieb die Universität Genf. Insbesondere weise die Studie jedoch auf die Risiken von Abstimmungen hin, die auf Zahlen basieren, da sich die Stimmbevölkerung stark von Zahlen in den Medien beeinflussen lasse.

„Da dies ein wohlbekanntes Prinzip ist, könnten politische Parteien es nutzen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, indem sie als erste Ziffern kommunizieren, die ihren Interessen am besten dienen“, sagte Lalot.

science.ORF.at/APA/sda

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