Gehirn schneller als der Körper

Wenn sich zwei Sportler streiten, wer schneller am Ball war, steckt offenbar nicht nur taktisches Kalkül dahinter. Ihre Wahrnehmung dürfte tatsächlich verzerrt sein. Das zeigt zumindest eine Studie aus den USA, die damit nicht nur sportliche Probleme erklären möchte.

Basketball ist die Sportart, die die Psychologen Ty Tang und Michael McBeath von der Arizona State University auf ihren Untersuchungsgegenstand gebracht hat. Denn bei Basketballmatches kommt es regelmäßig zu Zweikämpfen am Spielfeldrand, die zu einem Einwurf von der Seite führen.

Landet der Ball im Aus, steht immer eine Frage im Raum: Wer hat den Ball zuerst berührt und wer hat ihn dann ins Aus geschossen? Dass im Normalfall beide Spieler behaupten, als erster am Ball gewesen zu sein, dürfte dabei nicht nur spielerische Taktik sein.

Nicht nur auf dem Spielfeld

Die Untersuchung zeigt, dass Menschen in solchen Situationen fast immer davon ausgehen, schneller gewesen zu sein als ihr Kontrahent. Deswegen wollten die beiden Psychologen ein Untersuchungsdesign kreieren, um die zugrundeliegenden Mechanismen besser zu verstehen.

Dafür teilten sie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Experiments in Pärchen und setzten sie gegenüber voneinander an einen Tisch mit Sichtschutz, so dass sie einander nicht in Gesicht schauen konnten. Auf ein Lichtsignal hin sollten beide einen Sensor auf dem Handrücken des Gegenübers berühren und danach einschätzen, ob sie schneller oder langsamer waren als der andere. Nach 50 Wiederholungen werteten die Psychologen die Ergebnisse aus.

Duell um den Ball, Basketballspiel in Mexico City

PEDRO PARDO / AFP

50 Millisekunden Unterschied

Auch wenn sich die Teilnehmer gleichzeitig berührten, erklärt Tang, gingen sie in 67 Prozent der Fälle davon aus, schneller gewesen zu sein als ihr Gegenüber. Im Schnitt hielten sie sich für 50 Millisekunden schneller, als sie tatsächlich waren. Das lasse Rückschlüsse auf Schieflagen in der menschlichen Wahrnehmung zu, sagt Co-Autor Michael McBeath.

„Es scheint so zu sein, dass Menschen die von ihnen geplanten Handlungen etwa 50 Millisekunden früher wahrnehmen als unerwartete, externe Ereignisse“, so McBeath gegenüber science.ORF.at. Wenn sich Menschen zu einer Bewegung entschließen, beginnt das Gehirn wohl schon zu arbeiten, bevor es tatsächlich losgeht – und zwar 50 Millisekunden davor. Genau dieser zeitliche Vorsprung scheint auch unsere Wahrnehmung zu prägen.

Menschliche Wahrnehmung ist verzerrt

Das Experiment wurde für die Studie, die im Fachmagazin „Science Advances“ erschienen ist, in zwei unterschiedlichen Anordnungen wiederholt, die Ergebnisse blieben gleich. Daraus ziehen die beiden Autoren einen Schluss, der nach ihrer Ansicht nicht nur für den Sport gilt: Unsere Wahrnehmung und die objektive Wahrheit seien oft ein Stück weit voneinander entfernt.

Marlene Nowotny, Ö1-Wissenschaft

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