Die Frauen hinter dem Periodensystem

Vor 150 Jahren hat der Chemiker Dmitri Mendelejew das Periodensystem der Elemente entdeckt - ein brillantes, aber noch unvollständiges System. Dass wir heute 118 Elemente kennen und wissen, was ein Isotop ist, das ist nicht zuletzt einigen Frauen zu verdanken.

Lang ist die Liste der Frauen, die das Periodensystem vervollständigt und wichtige Eigenschaften über chemische Elemente entdeckt haben, nicht. „Das hat natürlich damit zu tun, dass Frauen in Europa erst sehr spät zum Studium der Chemie und Physik zugelassen wurden. In Österreich ganz besonders“, erklärte der Wiener Chemiker und Historiker Rudolf Werner Soukup.

Nach dem Studium wurden viele, wenn überhaupt, nur als wissenschaftliche Hilfskräfte angestellt, oftmals ohne Bezahlung. „Die normale wissenschaftliche Karriere war für Frauen nicht zugänglich. Wollte sich eine habilitieren, ist das sofort unterbunden worden. Ein Argument war, dass sie die Bedingungen für eine Habilitation nicht erfüllen würden. Die Arbeiten, die ich gelesen habe, entsprachen aber etwa dem, was damals üblicher Standard war“, erklärte der Chemiker. Trotz dieser Hindernisse gelang es einigen Frauen, neue Elemente zu entdecken und elementare Gesetzmäßigkeiten zu entschlüsseln. Ein paar seien hier nun kurz anlässlich des Jahres des Periodensystems vorgestellt.

Erste promovierte Chemikerin

Die Geschichte beginnt mit der Russin Julia Lermontowa. Sie war die erste Frau, die es sich in Europa erkämpfte, Chemie zu studieren und in dem Fach zu promovieren. Ihr Doktorat erhielt sie 1874 in Göttingen, davor studierte sie an der Universität Heidelberg bei Robert Bunsen. Der war anfangs darüber alles andere als erfreut, wie Werner Soukup schilderte. „Bunsen war entsetzt, dass sich eine Frau bewarb. Er hat es dann aber zugelassen.“

150 Jahre Periodensystem

Datiert mit 17. Oktober 1869 hat Viktor von Richter in den Berichten der Deutschen Chemischen Gesellschaft 2 (1869) 552 seinen „Bericht aus St. Peterburg vom 17. Oktober 1869“ abdrucken lassen. Darin berichtet er von einer Sitzung der Russischen Chemischen Gesellschaft vom 2. Oktober (14. Oktober nach unserer Rechnung) 1869, in der der russische Chemiker Dmitri Mendelejew seine Ansichten „Ueber die Beziehungen der Eigenschaften zu den Atomgewichten der Elemente“ vorgetragen hat.

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Vermutlich im Auftrag von Mendelejew, Entdecker des Periodensystems und Förderer des „Frauenstudiums“, entwickelte die Chemikerin jenes Verfahren von Bunsen weiter, mit der seltene Platinverbindungen getrennt werden. Dazu gehören etwa Verbindungen mit Ruthenium, Rhodium, Palladium, Osmium und Iridium. Geht es nach den Chemiehistorikerinnen Brigitte Van Tiggelen und Annette Lykknes war das eine Voraussetzung dafür, diese Elemente in die richtige Ordnung zu bringen. „Die einzige Referenz auf ihre Arbeit befindet sich allerdings in Mendelejews Archiv zusammen mit ihren Korrespondenzen, sofern wir wissen“, schreiben die Forscherinnen im Fachjournal „Nature“. Nach der Dissertation von Lermontowa wurde es vorerst wieder still. Erst 1900 promovierte in Deutschland mit Clara Immerwahr wieder eine Frau in Chemie. In Österreich war es 1902 Margarete Furcht. Mit dem Periodensystem hatten ihre Arbeiten aber nichts zu tun.

Anders ist es fast zeitgleich in Paris. Hier gelang es der Physikerin Marie Curie gemeinsam mit ihrem Mann Pierre und Henri Becquerel Ende des 19. Jahrhunderts, die radioaktive Strahlung neben Uran auch in anderen Elementen nachzuweisen. Dabei stieß Curie auf die bis dahin unbekannten Elemente Radium und Polonium – Letzteres benannt nach Curies Heimat Polen. Mit diesen Erkenntnissen promovierte Marie Curie im Juni 1903 an der Pariser Sorbonne.

Porträtfoto von Marie Curie

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Marie Curie

Noch im Dezember desselben Jahres bekam Curie zusammen mit ihrem Mann und Henri Becquerel den Nobelpreis für Physik für ihre Erkenntnisse zur Radioaktivität. Den zweiten Nobelpreis erhielt die Physikerin dann allein im Dezember 1911. Diesmal in Chemie für die Entdeckung der Elemente Polonium und Radium sowie für ihre weiteren Erkenntnisse über das Element mit der Ordnungszahl 88.

Österreichische Forscherinnen

Aber auch in Österreich trugen Chemikerinnen und Physikerinnen dazu bei, das Periodensystem zu vervollständigen bzw. wichtige Eigenschaften über die Elemente herauszufinden. Die meisten forschten dabei am 1910 gegründeten Wiener Institut für Radiumforschung. Zu ihnen zählt die Chemikerin Stefanie Horovitz. Gemeinsam mit Otto Hönigschmid gelang ihr erstmals der Beweis, dass es Isotope gibt – also quasi die „Geschwister“ der Elemente, wie sie im Periodensystem aufgeführt sind: Chemisch sind sie ident, in ihrer Masse unterscheiden sie sich aber, und zwar über die Anzahl der Neutronen im Atomkern. Die Theorie dazu und den Namen lieferte Frederick Soddy. „Horovitz aber hat durch langjährige Messarbeiten und Isolierung verschiedener Isotope letztlich erklären können, was ein Isotop überhaupt ist.“ Soddy würdigte ihren Beitrag zur Entdeckung der Isotope offiziell, den Nobelpreis für Chemie bekam aber nur er, im Jahr 1921.

Fast ein Wiener Element

Beinah hätte es dank zweier Frauen auch das Wiener Element gegeben, das Viennium. Entdeckt wurde es von den Physikerinnen Traude Bernert und Berta Karlik - sie wurde im Jahr 1956 die erste ordentliche Universitätsprofessorin der Universität Wien. Noch während des Zweiten Weltkriegs stießen die beiden Physikerinnen beim natürlichen Zerfall von Uran auf das instabile Element 85 – eines der seltensten in der Natur vorkommenden Elemente.

Das Recht, dem Element seinen Namen zu verleihen, bekamen aber andere. „Es gibt einen Brief von Otto Hahn aus dem Jahr 1947, wo er den beiden Physikerinnen erklärt, dass er dem Wunsch der Forscherinnen nicht nachkommen kann, da kurz davor ein Forschungsteam aus den USA das Element künstlich hergestellt hat und diese somit als offizielle Entdecker das Vorrecht hatten, das Element zu benennen“, erklärte Soukup. Aus diesem Grund heißt das Element „Astat“, was laut „Duden“ aus dem Altgriechischen übersetzt „unbeständig“ bedeutet.

Ganz ohne Kritik blieb diese Entscheidung nicht. Immerhin vertraten durchaus manche die Meinung, dass jene ein Element benennen dürfen, die es in der Natur entdecken konnten, sagte Soukup. Heute ist die Entdeckung der beiden Frauen eine Fußnote in der Literatur.

Entdeckung der Kernspaltung

Zwar wesentlich mehr als eine Fußnote in der Literatur, aber dennoch zu oft übergangen wurde die Arbeit von Lise Meitner. Sie studierte als eine der ersten Frauen Physik in Wien – das Vorbild Marie Curie vor Augen – und entdeckte später 1917, 1918 gemeinsam mit Otto Hahn in Berlin das radioaktive Element 91, Protactinium.

Lise Meitner und Otto Hahn

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Lise Meitner und Otto Hahn

Viel wichtiger aber ist ihr Beitrag in der Entdeckung der Kernspaltung, die Hahn und Fritz Strassmann 1938 in einem Experiment mit Uran hervorriefen. „Sie war es aber, die in den Wochen nach der Entdeckung gemeinsam mit ihrem Neffen Otto Frisch die entscheidenden Argumente vorgelegt hat, wie die Kernspaltung funktioniert“, so Soukup. Hahn und Strassmann wurden für ihre Entdeckung mit dem Nobelpreis aus dem Jahr 1944 ausgezeichnet. Von Meitner war keine Rede. Erst Jahre später wurde die Bedeutung ihrer Arbeit anerkannt. Heute erinnert das chemische Element 109 an die Physikerin: das „Meitnerium“.

Zweiflerin ignoriert

Dass sich Atomkerne spalten können, hatte streng genommen vor Meitner schon eine andere Physikerin erkannt: Ida Noddack, geboren Tacke. Als der Physiker Enrico Fermi mit Kollegen 1934 Uran mit Neutronen befeuerte und glaubte, damit die Elemente 93 und 94 erzeugt zu haben, äußerte Noddack ihre Zweifel in einem Artikel in der Zeitschrift „Angewandte Chemie“.

Darin argumentierte sie, es sei auch denkbar, dass der Kern in Fragmente „zersplittert“ ist. Wie die Chemiehistorikerinnen Van Tiggelen und Lykknes schreiben, wurde ihr Ansatz in der damaligen Chemiecommunity ignoriert. Den Grund sehen die Forscherinnen unter anderem in ihrer mangelnden Reputation. Anders als Curie hatte Noddack den Großteil ihres Berufslebens als Gastwissenschaftlerin bei ihrem Mann Walter Noddack im Labor gearbeitet – unbezahlt, erläutern die Forscherinnen. Ehre bekommt die deutsche Chemieingenieurin allerdings für die Entdeckung von Element 75 – Rhenium. Dieses entdeckte das Forscherpaar gemeinsam mit Otto Berg im Jahr 1925.

Letztes Element in der Natur

Nur einer Frau wurde allein die Entdeckung eines Elements zuerkannt: Marguerite Perey, eine französische Physikerin am Pariser Radium Institut, das seit 1914 von Curie geleitet wurde. Hier entdeckte Perey das Element Francium im Jahr 1939 - das letzte Element, das in der Natur entdeckt wurde.

Dass sie als seine alleinige Entdeckerin gelten darf, ist Van Tiggelen und Lykknes zufolge auf eine kleine Uneinigkeit ihrer „Chefs“ Irene Joliot-Curie und Andre Debierne zurückzuführen. „Beide haben ihr unabhängig voneinander den Auftrag erteilt, die genaue Halbwertszeit des Isotops Actinium 227 zu bestimmen – eine technisch heikle Prozedur, bei der sie schließlich das neue Element entdeckte“, so die Chemiehistorikerinnen. Da es aber unklar war, für wen Perey eigentlich arbeitete, konnte keiner der beiden Forscher die Mitentdeckung für sich beanspruchen, heißt es.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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