Artenvielfalt-Bericht: Wege aus der Krise

Rund acht Millionen Tier- und Pflanzenarten gibt es weltweit, eine Million davon ist vom Aussterben bedroht: Der neue UNO-Bericht zur Artenvielfalt der Erde ist ein Dokument der Krise – zeigt aber auch Auswege.

Eine Zusammenfassung des Berichts war am Samstag von den 132 Mitgliedsstaaten des Weltbiodiversitätsrates (IPBES) verabschiedet und am Montagvormittag präsentiert worden. Er soll einen weltweit akzeptierten Sachstand zu Lage, Problemen und möglichen Lösungen bieten - ähnlich den Papieren des Weltklimarats IPCC für die Klimaerwärmung.

Dramatische Kernaussagen

Ein ähnlicher globaler Check war zuletzt vor 14 Jahren präsentiert worden. Für die Neuauflage des Berichts trugen rund 150 Experten aus 50 Ländern drei Jahre lang vorhandenes Wissen aus Tausenden Studien und anderen Dokumenten zusammen. Sie prüften auch, wie weit die Welt bei bereits vereinbarten Artenschutzzielen gekommen ist.

Die Kernaussagen sind dramatisch: Von den geschätzt acht Millionen Tier- und Pflanzenarten weltweit sei rund eine Million vom Aussterben bedroht. Das Ausmaß des Artensterbens war in der Geschichte der Menschheit noch nie so groß wie heute - und die Aussterberate nimmt weiter zu. Drei Viertel der Naturräume auf den Kontinenten wurden vom Menschen bereits erheblich verändert, in den Meeren zwei Drittel. Die Tendenz ist nahezu überall negativ.

Grafik - Anteil der ausgestorbenen Arten seit 1500 bei Amphibien, Säugetieren, Vögeln, Reptilien und Fischen

Grafik: APA, Quelle: IPBES

Kein Königsweg, viele Einzelvorschläge

Der Bericht beschränkt sich aber nicht auf die dramatischen Fakten, sondern versucht, auch Lösungsansätze anzubieten. Es wird zwar „kein Königsweg präsentiert, um das Massenartensterben zu beenden“, so Jens Jetzkowitz, einer der Leitautoren des IPBES-Berichts. Vorschläge gemacht werden dennoch.

Für Europa notwendig hält Jetzkowitz etwa „kurzfristig eine Neuausrichtung der Landwirtschaft und eine Trendwende bei der Flächeninanspruchnahme. Mittelfristig sind unter anderem der Welthandel und das Finanzsystem an Nachhaltigkeitskriterien auszurichten und ökonomische Ungleichheit zu reduzieren. Mittel- bis längerfristig sind Transparenzregeln in Macht- und Entscheidungsstrukturen, in denen die Wechselbeziehungen zwischen Natur und Gesellschaft gestaltet werden, durchzusetzen.“

„Verbrauch und Abfall reduzieren und Verschwendung vermeiden“, ergänzt Markus Fischer, ebenfalls IPBES-Experte und Pflanzenökologe an der Universität Bern. Weiters: „Vorteile aus der Nutzung der Natur gerecht verteilen, Biodiversitäts-Auswirkungen in wirtschaftlicher Bilanzierung, Steuern, Subventionen und internationalen Geschäften berücksichtigen, Schutzgebiete vergrößern, vernetzen und angemessen managen, naturfreundliche Technologien fördern, finanzielle Mittel bereitstellen, Bewusstsein schaffen und Wissen vermitteln.“

„Alle Akteure müssen beitragen“

„Der Bericht zeigt eine Reihe möglicher Optionen zu handeln, die zusammengenommen eine sozioökonomische Transformation darstellen“, sagt auch Almuth Arneth, eine der Leitautorinnen des aktuellen IPBES-Reports und Umweltforscherin am Karlsruher Institut für Technologie. „Dies erfordert die schnelle, substanzielle Verringerung des Verbrauchs von Energie, Rohstoffen und Fläche. Alle Akteure müssen hier beitragen: Verbraucher, Entscheidungsträger, Wirtschaft. Die dazu notwendigen Investitionen sind Investitionen in die Zukunft. Und diese werden sich zeitnah – mit Zinsen – zurückzahlen.“

Der Agrarökologe Teja Tscharntke von der Universität Göttingen: „In Europa müssen wir stärker eine globale Verantwortung zeigen. Die EU ist Importweltmeister bei der Einfuhr landwirtschaftlicher Produkte, die auf einer Fläche angebaut werden, die der Größe Deutschlands entspricht. Mehr als die Hälfte der Importe besteht aus Sojabohne, von der die Hälfte zur Tierernährung verbraucht wird. Wir sollten nicht länger tolerieren, dass für diese Importe Regenwälder abgeholzt und indigene Völker vertrieben werden.“ Eine Möglichkeit dagegen sieht Tscharntke in der Zertifizierung von landwirtschaftlichen Produkten.

Auf globaler Ebene essenziell für den Artenschutz sei auch die Einbindung der indigenen Bevölkerung. „Überraschend für mich war, dass einheimische Völker einen ausgesprochen hohen Anteil am Biodiversitätsschutz haben und das Wissen und Leben der Naturvölker dringend geschützt werden muss“, sagt die Landschaftsökologin Alexandra-Maria Klein von der Universität Freiburg. „Der Report zeigt auf, dass das Vorleben von traditionellen, umweltfreundlichen Lebensangewohnheiten wichtig ist. Somit sollte die Lebensweise von Naturvölkern geschützt und ihr Wissen stärker in Entscheidungen einbezogen werden.“

„Wir können es schaffen“

Ob der der IPDES-Bericht – in Erinnerung an den Abschluss des Pariser Klimaabkommens 2015 – der „1,5-Grad-Paris-Moment für die Biodiversität“ sein könnte? Die Ökosystemexpertin Inga Hense von der Uni Hamburg ist skeptisch. „Anders als im Pariser Klimaschutzabkommen existiert beim Thema Biodiversität kein einzelner Richtwert – keine ‚Ein-Ziel-Größe‘ wie die CO2-Konzentration oder die globale Mitteltemperatur, die als Ziel vorgegeben werden kann. Deswegen wird die Politik allein noch weniger in der Lage sein zu handeln. Dennoch kann der aktuelle Bericht das Momentum im Streben für nachhaltiges Handeln in Teilen der Gesellschaft, insbesondere die Bewegung ‚Fridays for Future‘, weiter befeuern.“

Optimistisch ist der Biogeograf Thomas Hickler von der Uni Frankfurt: „Der Bericht zeigt, dass wir es schaffen können. Die nötigen gesellschaftlichen und technischen Transformationen sind möglich, und zwar, ohne der Wirtschaft zu schaden. Langfristig ist ein gesunder Planet die Grundlage für menschliches Wohlergehen und eine prosperierende Wirtschaft. In Bezug auf unsere Möglichkeiten für die zukünftige Entwicklung sind Teile des IPBES-Berichtes positiver, als einige erwartet hätten.“

science.ORF.at/dpa

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