NS-Opfer auf dem Seziertisch

Seit drei Jahren arbeiten Historiker die NS-Vergangenheit des Innsbrucker anatomischen Instituts auf. Nun ziehen sie in einer Publikation Bilanz - und weisen auf Wissenslücken hin: Die Namen der Opfer sind nämlich bis heute größtenteils unbekannt.

Von den insgesamt 199 Körpern, die zwischen 1938 und 1943 am Anatomischen Institut für Lehre und Forschung verwendet wurden, stammt ein guter Teil – nämlich 128 - aus „NS-Unrechtskontexten“, sagte der Historiker Herwig Czech heute bei einer Pressekonferenz in Innsbruck.

Körper für die Anatomie

Ein nationalsozialistischer Erlass aus dem Jahr 1939 sah vor, dass Anatomische Institute Anspruch auf die Leichen Hingerichteter für die Ausbildung und zu Forschungszwecken bekommen sollten. Das Anatomische Institut in Innsbruck erhielt ebenso wie die Einrichtungen in München, Erlangen und Würzburg die Körper von im Gefängnis Stadelheim in München Hingerichteten. Die erhöhte Anzahl von Hinrichtungen unter dem NS-Regime war eine wesentliche Quelle von Körpern für die Anatomie.

Studie

„Nazi victims on the dissection table – the Anatomical Institute in Innsbruck“, Annals of Anatomy - Anatomischer Anzeiger (1.4.2019).

Diesen Menschen, die beispielsweise im Gefängnis Stadelheim in München hingerichtet wurden oder in der Psychiatrie Hall starben, wolle man nun ihre „individuelle Geschichte“ zurückgeben, meinte Czech. So habe man sich bewusst entschieden, die Namen der NS-Opfer zu nennen und die jeweiligen Geschichten darzustellen. „Es soll nicht nur um Zahlen gehen.“

“Wollen Kontakt zu Nachfahren“

Gerade die exakte Identifikation der Sezierten gestaltet sich jedoch schwierig. So konnte lediglich der Name eines jüdischen Opfers, Theresia Reich, verifiziert werden. Die aus Meran stammende Frau ist im Lager Innsbruck-Reichenau verstorben. Man stehe aber bereits unter anderem mit der russischen Botschaft und der israelitischen Kultusgemeinde in Kontakt, sagte Projektleiter Erich Brenner, der nun gemeinsam mit Czech im Fachblatt „Annals of Anatomy“ eine Publikation zu diesem Thema vorgelegt hat. „Natürlich erhoffen wir uns durch die Publikation mit den Nachfahren in Kontakt zu kommen“, so Brenner.

Außenansicht des Innsbrucker Anatomieinstituts

MUI/M. Furtmayr

Institut für Anatomie, Universität Innsbruck

Deutlich leichter zu rekonstruieren und konkretisieren als die Namen der Leichen ist deren Verwendung, Herkunft und Todesursache. Dafür sorgen die Dokumentationen der NS-Justiz und die Aufzeichnungen am Institut selbst. Dadurch lässt sich auch nachweisen, dass am Institut zumindest bis zum Jahr 1957 Präparate aus dem NS-Umfeld verwendet wurden. „Die Spuren reichen in unserem Nachbarinstitut, der Histologie, aber bis in die 1980er“, sagte Czech.

Aufarbeitung der Geschichte

Eine Tatsache, die auch die jetzige Direktorin der Sektion für Klinisch-Funktionelle Anatomie der Medizinischen Universität, Helga Fritsch, dazu veranlasste, sich für die Rolle des Institutes während der NS-Zeit zu entschuldigen. „Wir werden uns außerdem mit dem Gedenken dieser Menschen beschäftigen, möglicherweise mit einer Gedenktafel oder ähnlichem“, meinte sie. „Außerdem werden die Studierenden seit geraumer Zeit in den ethischen Begleitveranstaltungen auf die Geschichte des Institutes hingewiesen“, ergänzte sie.

Der Dekan der Philosophisch-Historischen Fakultät, Dirk Rupnow, sieht den Zeitpunkt der Publikation zum heurigen 350-Jahr-Jubiläum der Universität Innsbruck gut gewählt. „Dieses Projekt und dieses Paper gehören in diesen Kontext mit hinein, schließlich geht es ja nicht nur darum, das Jubiläum einfach abzufeiern.“

science.ORF.at/APA

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