„Die Radikalkur ist nicht durchführbar“

Als Leiter der Erdbeobachtung bei der ESA weiß Josef Aschbacher bestens über den Zustand der Erde Bescheid: In einem Interview erzählt er, welche Radikalkur für unseren kranken Planeten am besten wäre. Und warum sie nicht passieren wird.

science.ORF.at: Herr Aschbacher, ESA-Direktor Jan Wörner bediente sich in seinem Eröffnungsvortrag beim aktuellen Living Planet Symposium in Mailand eines medizinischen Bildes: Die Umwelt als Krankenfall. Wie geht es dem Patienten Erde?

Josef Aschbacher: Dem Patienten geht es schlecht, aber er ist noch nicht in der Intensivstation. Allerdings wird er dort landen, sofern er nicht behandelt wird. Das heißt, die Menschheit als Ganzes muss bald zur Raison kommen.

Josef Aschbacher

APA/GEORG HOCHMUTH

Der Österreicher Josef Aschbacher ist seit 1989 bei der Europäischen Weltraumagentur ESA und leitet dort seit 2016 das Erdbeobachtungsprogramm.

Die Symptome?

Aschbacher: Man weiß relativ genau, welche Symptome es gibt. Ich nehme das Beispiel Treibhausgase. Wir haben derzeit wir einen CO2-Anteil von mehr als 400 ppm in der Atmosphäre. Zum Vergleich: In der vorindustriellen Zeit waren es noch 290 ppm. Es gibt einen stabilen und klaren Anstieg, die Erde erwärmt sich – und das ist der Grund, warum es in Österreich im Winter weniger Schnee gibt. Aber auch, warum die Gesamtwetterlage immer extremer wird. Unwetter führen auch manchmal zu Kälteeinbrüchen und dann fragt sich die Bevölkerung: Wie hängt denn das mit dem Klimawandel zusammen? Für viele ist es schwer verständlich, dass auch ein Kälteeinbruch Ausdruck der Klimaerwärmung sein kann. Das mag auf den ersten Blick paradox erscheinen, hat aber durchaus die gleichen Ursachen.

Der Klimawandel ist leider nicht das einzige Umweltproblem. Woran laboriert der Planet sonst noch?

Aschbacher: Wir haben heute eine Weltbevölkerung von sieben Milliarden Menschen, 2050 werden es etwa neun Milliarden sein. Dieser Zuwachs von 30 Prozent bedeutet: Wenn hier heute zwei Leute stehen, dann werden es in Zukunft drei sein – und die müssen sich natürlich Wasser und Nahrung teilen. Hinzu kommt, dass wir bei der Nutzung der Ressourcen den Planeten verschmutzen, die Böden ebenso wie Luft und Wasser. Nehmen wir als Beispiel den Wasserkreislauf: Den kann man nicht isoliert betrachten, es geht nicht nur um die österreichischen Gletscher. Österreich wird vielleicht Effekte spüren, die in Amerika oder in der Antarktis ihren Ursprung haben, weil der Wasseraustausch eben global ist. Deswegen brauchen wir die Messungen von Erdbeobachtungssatelliten. Wir wollen verstehen, wie die Elemente im System Erde zusammenhängen. Dann können wir vorhersagen, wie die Erde in zehn, 20 oder 40 Jahren aussehen wird.

Die Diagnose ist offenbar eindeutig, wie müsste die Therapie aussehen?

Aschbacher: Die Radikaltherapie lautet: Alle Kohlenstoffemissionen stoppen. Das wäre das Beste für den Planeten. Allerdings ist es für Politiker schwer vorstellbar – und wohl auch für die gesamte Menschheit, dass wir die Autos plötzlich verschrotten, keine Industrien mehr in Betrieb nehmen und nur mehr von der Natur und Umwelt leben. Diese Radikalkur wird also nicht durchführbar sein. Es gäbe noch eine andere, moderate Behandlungsform, nämlich den CO2-Ausstoß schrittweise zu reduzieren, nachhaltige Landwirtschaft zu fördern und die Wasserqualität zu verbessern. Das versuchen wir gerade. Aber ich gebe zu: Es ist keine Behandlung der Ursache.

Nur endeten die internationalen Klimakonferenzen entweder mit einer Farce oder mit zahnlosen Beschlüssen. Wirklich passiert ist bisher wenig.

Aschbacher: Das würde ich nicht behaupten, es gibt durchaus Klimaziele für Österreich und Europa, die sehr klar ausgedrückt sind. Deutschland wendet sich etwa von der Kohle ab, das dauert natürlich einige Jahrzehnte, bis das durchgeführt wird. Dass nichts passiert, ist nicht wahr. Es werden auch Autos nach CO2-Ausstoß besteuert, das ist sicher eine richtige Maßnahme. Aber sie haben recht: Der globale Effekt ist zu gering, um jene Ziele zu erreichen, die bei den Klimakonferenzen verkündet werden. Man darf aber auch nicht vergessen: Europa engagiert sich in Klimafragen relativ stark. Solange es Länder gibt, wo das überhaupt nicht der Fall ist, kommen wir zu keiner Lösung. Der Klimawandel ist ein globales Problem. Wir brauchen eine globale Zusammenarbeit.

Bei den Eröffnungsvorträgen des Living Planet Symposiums hat eigentlich nur einer Klartext in Richtung der Regierungen gesprochen: nämlich der deutsche Gymnasiast und Klimaaktivist Jakob Blasel. Warum ecken die Wissenschaftler nicht an – weil sie finanziell von der Politik abhängig sind?

Ö1-Sendungshinweis:

Im Originalton ist Josef Aschbacher auch in Wissen aktuell (15.5., 13.55) zu hören.

Aschbacher: Das sehe ich nicht unbedingt so. Wäre das der Fall, dann dürfte die Wissenschaft auch keine Bilder vom Meeresspiegelanstieg oder von der Abholzung im Regenwald zeigen. Die Europäische Weltraumagentur hält sicher keine Informationen zurück. Im Gegenteil, wir machen sie publik, weil wir erzwingen wollen, dass sie von Politikern oder auch von Jugendlichen diskutiert werden. Die ESA ist allerdings keine politische Agentur, unsere Aufgabe ist es, Satelliten zu bauen und Messdaten zu veröffentlichen. Mit den zur Verfügung stehenden Informationen Entscheidungen zu treffen – das ist Aufgabe der Politiker.

Dass die ESA ihre Daten zur Verfügung stellt - daran ist nicht zu zweifeln. Aber vielleicht bräuchte es auch einen Beipacktext, allgemein verständlich und explizit formuliert? Österreich beispielsweise hat die Pariser Klimaziele bislang nicht eingehalten.

Aschbacher: Solche Entscheidungen sind Sache der Politik, nicht einer Weltraumagentur. Wenn die Gesellschaft damit nicht einverstanden ist, wird sie in Zukunft andere Politiker wählen.

Aushängeschilder der Wissenschaft könnten durchaus streitbar auftreten. Sie sind keine Politiker, aber sie sind nicht isoliert von der Gesellschaft.

Aschbacher: Durchaus nicht. Das Erdbeobachtungsprogramm der ESA – das ja eine starke Umwelt- und Klimarelevanz hat – wird von den Mitgliedsländern der EU stark gefördert, weil man offenbar überzeugt ist, dass diese Messungen wichtig sind. Gäbe es wirklich einen Disconnect zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, würden wir auch nicht die nötigen Programme bekommen, um diese Messungen durchzuführen.

Was weiß man heute durch die Daten von Erdbeobachtungssatelliten, was man vor zehn, 20 Jahren nicht wusste?

Aschbacher: Wir verstehen das System Erde viel besser als früher, beispielsweise die chemische Umwandlung von Klimagasen oder ihre Absorption von Pflanzen und Ozeanen. Im Pariser Klimaabkommen wurde ein 1,5- bzw. 2-Grad-Ziel formuliert – und zwar deswegen, weil sich an den verbesserten Klimamodellen heute ablesen lässt, dass diese Temperatur eine Art Kippschalter im System darstellt. Ebenso können wir aufgrund der verbesserten Datenlage vorhersagen: Wenn es bei den jetzigen Emissionen bleibt, steuern wir auf eine globale Erwärmung von vier Grad zu. Ein anderes Beispiel: Das Ozonloch in der Atmosphäre wurde anhand von Satellitendaten entdeckt. Durch diese Messungen hat man erkannt, dass es hier eine Riesengefahr für unseren Planeten gibt, es wurden weltweit Gesetze erlassen, um die Ursache – die FCKW – zu verbieten. Heute wissen wir: Der Ozongehalt in der Atmosphäre hat sich dadurch stabilisiert.

In dieser Erfolgsgeschichte des Umweltschutzes gab es eine technologische Lösung für das Problem, nämlich der chemische Ersatz der FCKW. Beim Klimawandel scheint so ein Ansatz weitaus schwieriger, Stichwort „Climate Engineering“: Was halten Sie von technologischen Eingriffen ins Klimasystem?

Aschbacher: Ich persönlich halte nichts davon. Wenn man versucht, mit reflektierenden Partikeln in der Atmosphäre Niederschläge zu erzeugen oder die Sonneneinstrahlung abzuschwächen, dann kann man damit vielleicht einen kleinen örtlichen Effekt erzielen. Aber das Problem nur verschieben - meist an den Nachbarn.

Wie sieht es mit der unterirdischen Speicherung von atmosphärischem Kohlendioxid aus?

Aschbacher: Das wäre eine sinnvolle Möglichkeit. Nur wird das in der Größenordnung, von der wir sprechen, nicht sehr effizient sein. An ein paar Stellen CO2 in den Boden zu pumpen, ist zu wenig. Das wird uns nicht retten.

Interview: Robert Czepel, science.ORF.at

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