Wenn Sexting zum Problem wird

Sexting liegt im Trend: Immer mehr junge Menschen verschicken erotische Selfies per Handy. Doch was ist, wenn die Bilder in falsche Hände geraten? Eine Expertin gibt Tipps, wie man sich vor Gruppenzwang und Erpressung schützt.

Man ist verliebt, flirtet wild, irgendwann hat einer die Idee, Nacktbilder zu machen und zu verschicken. Ein Foto in Unterwäsche, ein Bild von einem Penis oder man filmt sich für den anderen beim Masturbieren. Mit dem Smartphone ist es auch denkbar unkompliziert. Sexting und Nacktaufnahmen auf dem Handy eines anderen gelten als Jugendsünde. Jugendliche dürften aber bei weitem nicht die einzigen sein, die erotisches Bildmaterial produzieren und versenden. Einer Überblicksstudie zufolge machen etwa 15 Prozent der Jugendlichen laszive Aufnahmen von sich und verschicken sie an Freunde und Partner. Bei den über 18-Jährigen ist es sogar knapp jeder zweite. Mit steigendem Alter nimmt Sexting vermutlich wieder ab, genaue Zahlen gibt es hier nicht.

Sexting unter Zwang immer häufiger

Während einige es einfach aus Spaß tun, mit anderen flirten und sich sexuell ausprobieren, ist in manchen Fällen aber auch Zwang der Grund für Sexting. Manche haben Angst, sonst nicht dazuzugehören, andere glauben wiederum, sie könnten den Angebeteten oder die Angebetete verlieren, wenn sie kein Foto oder Video machen. Diese Fälle kennt auch die Psychologin Bianca Klettke von der Deakin Universität in Australien. Sie beschäftigt sich seit einigen Jahren mit dem Phänomen Sexting. „Uns ist aufgefallen, dass der Anteil der Leute, die unter Zwang ein Sext verschicken, langsam aber sicher ein bisschen steigt. Überschlagen aus den verschiedenen Studien sind es ungefähr 20 Prozent.“

Frau in Unterwäsche: Ein junger Mann betrachtet ein erotisches Bild auf seinem Handy

dpa/Julian Stratenschulte

Das kann problematisch sein. Sowohl, wenn man das Gefühl hat, eine Sexting-Nachricht verschicken zu müssen als auch, wenn man ungefragt Bilder von Penissen und Brüsten bekommt. Wie Bianca Klettke aktuell in einer aktuellen Studie zeigt, leiden diese jungen Menschen häufiger unter Angststörungen, Depressionen, viel Stress sowie einem niedrigen Selbstbewusstsein. „Ob Sexting unter Zwang der Auslöser für die psychischen Beeinträchtigungen war, können wir momentan leider noch nicht beantworten. Es gibt aber einen Zusammenhang, den wir uns genauer ansehen müssen.“

Wenn die Bilder im Netz landen

Zudem passiert es immer wieder, dass die Bilder und Videos an Dritte weitergeleitet werden, in der Schule die Runde machen oder sogar ins Netz gestellt werden. „Es gibt Fälle, wo Burschen sie Nacktaufnahmen von Mädchen erpresst und dann an Pädophile weiterverkauft haben – Taschengeld der neuen Form quasi“, erzählt Barbara Buchegger. Sie ist Pädagogische Leiterin von saferinternet.at. Die Plattform gibt Jugendlichen und Erwachsenen Tipps, wie man sich online richtig und möglichst sicher verhält.

Laut einer Umfrage in Österreich vor einem Jahr ist jeder fünfundzwanzigste Jugendliche, also knapp vier Prozent zwischen elf und 18 Jahren schon einmal in so eine Situation gekommen – unter 14-Jährigen passiert es tendenziell öfter. Gruppenzwang, Erpressung und unangenehme Anfragen übers Internet kommen im Schnitt häufiger vor. Betroffen sind davon Mädchen genauso wie Buben. Bei Mädchen passiert es eher, dass jemand aus ihrem Umfeld Druck macht, sie erpresst oder die Aufnahmen ins Netz stellt, erklärt Barbara Buchegger.

Buben sind wiederum eher von „Sex Tortion“ betroffen. Dabei lernet man sich über Soziale Medien wie Instagram kennen und verabredet sich relativ schnell zum Onlinesex etwa über eine Videoplattform wie Skype. „Das wird gefilmt und die jungen Männer werden dann erpresst dafür. Dabei heißt es, wenn du nicht Bitcoins dorthin überweist, dann wird das Video in verschiedenen Plattformen veröffentlicht. Und manchmal werden diese Dinge auch veröffentlicht.“

Wie man sich weniger erpressbar macht

Es gibt durchaus ein paar Tricks, wie man sich weniger leicht erpressbar macht. Wobei klar ist: „Man hat keine Kontrolle über die Bilder, die man in die Welt hinausschickt.“ Man sollte aber zumindest darauf achten, dass das Gesicht nicht zu sehen ist und auch der Raum im Hintergrund, Tattoos und sonstige Merkmale, die auf die eigene Person schließen lassen, nicht zu erkennen sind, empfiehlt Buchegger. Auch wer das Foto und Video der Freundin oder dem Angebeteten nur zeigt anstatt es zu senden, behält eher die Kontrolle. Zudem weißt Barbara Buchegger darauf hin, dass weniger oft mehr ist. „Ich habe hier ja durchaus Möglichkeit zu entscheiden, wie weit ich gehen möchte und wie weit ich nicht gehen möchte.“ Zudem kann man mit Filtern, Licht und Emojis so arbeiten, damit man nicht erkannt wird.

Manche wiederum reagieren mit Humor auf ungefragt zugesandte Nacktbilder oder unangenehme Anfragen, erzählt Buchegger. „Eine Jugendliche hat mir zum Beispiel erzählt, dass jemand von ihr ‚Dirty Pics‘ verlangt hat. Sie hat daraufhin einfach ein Bild von einem angeschissenen Klo geschickt, das sie im Internet gefunden hat – also, definitiv ziemlich ‚dirty‘. Humor ist hier in jedem Fall eine Möglichkeit, mit solchen Situationen umzugehen.“ Mehr Tipps und Hilfe bekommt man zudem auch an klassischer Stelle wie Rat auf Draht - entweder unter der Nummer 147 oder im Onlinechat.

Abgesehen von den Dingen, die man selbst tun kann, spielen auch die Eltern und andere erwachsene Bezugspersonen eine wichtige Rolle. Vor allem Anerkennung, Aufmerksamkeit, Kindern und Jugendlichen das Gefühl geben, schön zu sein, liebenswert zu sein, beeinflussen laut Buchegger das Onlineverhalten. „Also genau diese Dinge, die sich junge Menschen sozusagen von den Tätern erhoffen.“ Besonders risikobereit im Umgang mit Sexting zeigen sich nämlich vor allem jene Jugendlichen, die wenige erwachsene Vertrauenspersonen haben, erklärt Buchegger.

„Selbstbewusst aus der Krise“

Gerade wenn Sexting schief geht, brauchen Jugendliche Unterstützung von Freunden, Eltern, Lehrern sowie zum Teil psychologische Betreuung. Auf diese Weise schaffen es auch manche, selbstbewusst aus so einer Krisensituation herauszukommen, erklärt Buchegger und erzählt die Geschichte eines Mädchens, dessen Video nach Jahren immer wieder auftaucht, obwohl es gelöscht wurde. „Ja, es ist völlig richtig, dieses Video wird sie ihr Leben lang begleiten. Aber das Mädchen hat einen Weg gefunden, mit dieser Situation so umzugehen, dass sie eine Stärke aus der Krise gemacht hat. So etwas geht aber nur mit dem entsprechenden Umfeld.“ Sexting als verwerflich oder ungehörig zu bewerten, hilft in solchen Fällen hingegen nicht.

„Es kommt leider auch häufig vor, dass man das Opfer – in dem Fall waren es immer Mädchen – beschuldigt und von der Schule verweist. Das Mädchen hat aber das Bild an ihren Freund schicken dürfen – sie hat nichts falsch gemacht.“ Tatsächlich dürfen Jugendliche ab einem Alter von 14 Jahren seit 2016 eigene pornografische Fotos und Videos an einen anderen schicken. Allerdings: Wer die Aufnahme weiterleitet macht sich strafbar – selbst wenn es einvernehmlich an Dritte gesandt wird.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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