Gute Aussichten für die Gletscher

Auf den österreichischen Gletschern liegt derzeit so viel Schnee wie lange nicht. Aber erst der Sommer wird entscheiden, ob sie weniger schmelzen werden als in den vergangenen Jahren. Der viele Schnee hat auch unerwünschte Folgen wie etwa das Hochwasser in Tirol.

Auf den Gletschern liegt derzeit überdurchschnittlich viel Schnee, und die Bilder erinnern eher an den April vergangener Jahre. In den letzten Jahren schmolz am 1. Mai die Schneedecke schon kräftig dahin, im Jahr 2019 kam Anfang Juni noch Schnee dazu. Schon der Hochwinter zeigte sich besonders im Norden außergewöhnlich schneereich – ein Traum in Weiß für unsere Gletscher, die diese Verschnaufpause dringend brauchen.

Porträtfotos von Andrea Fischer und Hans Wiesenegger

Fischer/Wiesenegger

Biografien und Links von Autorin und Autor

Andrea Fischer ist Gletscherforscherin am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Innsbruck. Ihr Hauptforschungsgebiet sind Gebirgsgletscher und deren Änderung im Klimawandel.

Hans Wiesenegger ist Leiter des Hydrographischen Dienstes (HD) des Landes Salzburg. 1893 gegründet und in allen Bundesländern vertreten, ist der HD unter anderem für die Datenerhebungen zum quantitativen Wasserkreislauf (inkl. Gletscher) zuständig. Die Daten werden vom Hydrographischen Zentralbüro beim Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus veröffentlicht.

Das Gletschertagebuch auf science.ORF.at initiierte Heinz Slupetzky im Jahr 2003, dem ersten einer Reihe von Jahren mit extremer Gletscherschmelze. Slupetzky war Leiter der Abteilung für Gletscher- und vergleichende Hochgebirgsforschung sowie der Hochgebirgs- und Nationalparkforschungsstelle Rudolfshütte. Im Jahr 2018 hat er die Betreuung des Gletschertagebuchs an Fischer und Wiesenegger übergeben.

Weniger erfreulich ist die Situation zum Beispiel für Almbauern, deren Weideflächen derzeit noch unter Schnee liegen. Auch die Lawinensperren aufgrund der winterlichen Rekordschneefälle zeigten uns die Schattenseite hoher Schneemengen. Außerdem kann die große Schneemenge auf den Bergen eine Rolle spielen bei Hochwasserereignissen, etwa wenn es zusätzlich zu lokalen Niederschlägen oder sehr hohen Temperaturen kommt – so wie dieser Tage in Tirol.

Für die Gletscher ist die Situation 2019 außergewöhnlich, aber nicht einzigartig: Im Jahr 1965 etwa wuchs die Schneedecke über den gesamten Sommer weiter an. Das Maximum der Schneehöhe wurde an den Gletscherzungen um den 22. Mai erreicht – die warme Witterung um Pfingsten führte zu einem gleichmäßigen Dahinschmelzen des Schnees in allen Höhen. Nun kommt es darauf an, ob sommerliche Kaltfronten mit Schneefällen immer wieder diese Schmelze unterbrechen.

Was ist 2019 anders?

Der 1. Mai ist das Ende des Winterhalbjahres im hydrologischen Jahr. Zu diesem Stichtag wird der Wassergehalt der Schneedecke auf Österreichs Gletschern bestimmt. Normalerweise wird rund um Anfang Mai die größte Schneehöhe erreicht – auf hochgelegenen Gletschern etwas später, auf niedrigen etwas früher. In den letzten 15 Jahren wurden besonders in April und Mai oft überdurchschnittliche Temperaturen und geringe Niederschläge verzeichnet. Der schützende Schneemantel auf den Gletschern wurde also nicht weiter auf-, sondern schon vorzeitig abgebaut.

Teilweise kam es daher Anfang Juni schon zur Eisschmelze an Gletscherzungen, die durch die lange tägliche Strahlungsdauer um die Sommersonnenwende auch kräftig ausfiel – etwa drei Viertel der Schmelze werden durch die direkte Einstrahlung der Sonne verursacht. Im heurigen Jahr liegt an den Zungen noch meist mehr als zwei Meter Schnee, der frisch und daher hell ist und die Sonnenstrahlen gut reflektiert. Das Eis ist unter dieser Schneedecke noch für zumindest ein paar Wochen gut geschützt. Je kürzer das Eis ungeschützt frei liegt, desto geringer sind auch die zu erwartenden Verluste am Jahresende. Die starken Eisverluste der letzten Jahre sind damit heuer kaum möglich.

Gute Aussichten für Stubacher Sonnblickkees

Der schneereiche Jänner ließ die Schneedecke rund um die Messstelle Weißsee im Nahbereich der Rudolfshütte innerhalb von wenigen Tagen um mehr als 2,5 Meter anwachsen. In den darauffolgenden Wintermonaten wurde ein konstant hohes Niveau gehalten, und der neuerliche Schneehöhenzuwachs Anfang Mai schuf gute Voraussetzungen für eine mögliche positive Massenbilanz auf dem höher gelegenen Stubacher Sonnblickkees.

Abbildung 1: Verlauf der Schneehöhenentwicklung Winter 2018 / 2019

Wiesenegger

Abb. 1: Verlauf der Schneehöhenentwicklung Winter 2018/2019

Anfang Juni wurde an der Messstelle „Unterer Boden“ auf einer Seehöhe von 2.500 Metern in der Nähe des neu entstandenen „Unteren Eisbodensees“ eine Schneehöhe von 495 Zentimetern gemessen, ein Wert, der zuletzt im Jahr 1980 übertroffen wurde und deutlich über dem langjährigen Mittel von 344 Zentimetern liegt.

Abbildung 2: Schneehöhe jeweils am 1. Juni (Reihe 1973 – 2019)

H. Wiesenegger, modifiziert nach G. Aigner

Abb. 2: Schneehöhe jeweils am 1. Juni (Reihe 1973–2019)

Am Totalisator (ein Gerät zur Messung des Gesamtniederschlags, Anm.) am Stubacher Sonnblickkees wurden ebenfalls deutlich überdurchschnittliche Monatssummen in den Wintermonaten gemessen, aus dem Bildvergleich (Abb. 3) ist leicht erkennbar, warum sich die Auffangfläche des Regenmessers, deutlich abweichend von der Standardhöhe (i. e. ein Meter), in einer Höhe von annähernd sechs Metern über dem Gelände befindet.

Abbildung 3: Entwicklung der Schneehöhe am Totalisator Stubacher Sonnblickkees

Bild links & Mitte H. Wiesenegger; Bild rechts G. Aigner

Abb. 3: Entwicklung der Schneehöhe am Totalisator Stubacher Sonnblickkees

Überdurchschnittliche Schneemengen

Der Dachstein war schon von den extremen Schneefällen des Hochwinters besonders stark betroffen, und seither ist noch einiges dazugekommen, wie Kay Helfricht vom Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung (IGF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) zusammen mit Klaus Reingruber von Bluesky berichtet: Auf dem Hallstätter Gletscher liegen die Schneeschächte schon Anfang Mai jeweils ein Drittel über dem mehrjährigen Mittel. Der Schneeschacht unterhalb der Steinerscharte ist mit 7,85 Meter der tiefste jemals gegrabene Schacht auf dem Hallstätter Gletscher seit Beginn der Messungen im Jahr 2006 (Abb. 4).

Abbildung 4: Mit 7.85 m ist der Schneeschacht am Hallstätter Gletscher der tiefste auf diesem Gletscher seit Beginn der Messungen im Jahr 2006 gegrabene

Kay Helfricht, IGF/ÖAW

Abb. 4: Mit 7,85 m ist der Schneeschacht auf dem Hallstätter Gletscher der tiefste auf diesem Gletscher seit Beginn der Messungen im Jahr 2006 gegrabene

Die durchschnittliche Schneehöhe für das Goldbergkees liegt heuer bei 440 Zentimetern und für das Kleinfleißkees bei 400 Zentimeter, wie Anton Neureiter von der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) berichtet. Das ergibt eine um zehn Prozent (Goldbergkees) bzw. um 20 Prozent (Kleinfleißkees) höhere Winterbilanz als im 20-jährigen Durchschnitt.

Auch für das Mullwitzkees an der Südseite des Großvenedigers im Nationalpark Hohe Tauern, das gerade am Rand der Extremschneefälle des Hochwinters lag, berichtete Martin Stocker-Waldhuber vom IGF von überdurchschnittlichen Schneemengen am 1. Mai. Auch am Venedigerkees an der Nordseite des Großvenedigers liegt überdurchschnittlich viel Schnee.

Am Vernagtferner in den Ötztaler Alpen lag Anfang Mai zehn bis 15 Prozent mehr Schnee als im Durchschnitt; auch hier ist die Schneedecke seither noch deutlich angewachsen, wie Christoph Mayer von der Bayerischen Akademie der Wissenschaften berichtete.

Grafik zu Schneemengen

A. Fischer IGF/ÖAW

Abb. 5: Hohe Winterschneemengen (bis 1. Mai) bedeuten nicht automatisch auch eine geringe Schmelze am Ende des Sommers. Entscheidend ist der Verlauf der Schmelzsaison – heuer ist bereits eines von fünf Monaten ohne Eisverlust überstanden.

Im Westen Österreichs, auf dem Jamtalferner in der Silvretta, liegt der Wasserwert der Schneedecke mit 1,6 Metern ebenfalls um 30 Prozent über dem Mittel der letzten 30 Jahre. (Der Wasserwert der Schneedecke ist die Menge an Wasser, die man erhält, wenn der Schnee schmilzt. Da der Schnee unterschiedlich dicht gepackt und damit unterschiedlich schwer ist, kann der Wassergehalt fast um den Faktor zehn unterschiedlich sein). An diesem Gletscher liegen die Schneemengen 2019 lediglich auf dem dritten Platz, mehr Schnee lag in den Jahren 2012 und 1999.

Jahresvergleich Jamtalferner

Land Tirol

Anfang Juni 2019 liegt auf dem Jamtalferner deutlich mehr Schnee als in den Jahren 2015 und 2017. Eine mit Anfang Juni 2019 vergleichbare Ausdehnung der Schneedecke wurde Ende April 2018 erreicht. In den Jahren 2015, 2017 und 2018 Jahren kam es auf dem Jamtalferner zu extrem großer Eisschmelze am Ende des Jahres: Wie es 2019 aussehen wird, kann man erst im August abschätzen.

Für die Schweiz berichtet Andreas Bauder von der Versuchsanstalt für Wasserbau der ETH Zürich, dass die Winterbilanz erstaunlich konsistent ca. 20 bis 30 Prozent über dem langjährigen Mittel liegt. Die geringsten Überschüsse wurden bei den ersten Messungen Ende März/Anfang April verzeichnet; mittlerweile dürfte die Bilanz also noch deutlich besser ausfallen.

In Südtirol war der Hochwinter nur auf dem Alpenhauptkamm schneereich, dennoch hat es im ganzen Land auf den Gletschern sowohl im Spätherbst (Hochwasser 28. bis 30.10.2018) als auch in den Frühlingsmonaten ergiebig geschneit. Somit liegen auch auf der Alpensüdseite die Winterbilanzen 2019 meist bis etwa 20 Prozent über dem Durchschnitt, berichtet Roberto Dinale vom Hydrografischen Amt Bozen. Der Übeltalferner in den Stubaier Alpen dürfte am besten abschneiden, gefolgt vom Langenferner (Ortlergebiet). Für den Westlichen Rieserferner (Hohe Tauern) wird hingegen nur mit einer leicht unterdurchschnittlichen Massenbilanz gerechnet.

Mehr zum Thema