Mit „Studienkumpels“ bis zur Uni

Bildung wird in Österreich großteils vererbt. Wer Eltern ohne Matura hat oder mit einer anderen Muttersprache aufwächst, hat geringe Chancen, einen Hochschulabschluss zu machen. Das Kinderbüro der Uni Wien will das nicht so hinnehmen - und setzt auf Lerntandems.

Das Programm nennt sich StudyBuddies, also grob übersetzt „Studienkumpels“. Dabei werden Jugendliche mit Fluchterfahrung oder Migrationshintergrund von Studierenden der Universität Wien am Weg zur Matura unterstützt – zum Beispiel Arezou Najm: „Ich bin 18 Jahre alt und besuche die 7. Klasse eines Gymnasiums in Wien. Ich lebe seit acht Jahren in Österreich und bin mit meinen Eltern aus Afghanistan nach Österreich geflüchtet.“

Ö1 Sendungshinweis:

Über das StudyBuddies-Projekt berichtet auch das Mittagsjournal am 21.6.2019.

Arezou Najm kommt regelmäßig in den Lernclub des Kinderbüros der Universität Wien, ein Ort, an dem den Jugendlichen Schreibtische und Computer zur Verfügung stehen. Dort trifft sie ihren StudyBuddy Magdalena Steger, Studentin der Kultur- und Sozialanthropologie. Zwischen zwei und vier Stunden in der Woche lernen sie gemeinsam für die Schule, erzählt sie: „Hauptsächlich üben wir Englisch, es kann aber auch Deutsch sein. Arezou sagt mir meistens eine Woche vorher, ob sie Schularbeit oder Test hat, dann lernen wir dafür. Manchmal arbeiten wir auch an Referaten zusammen.“

Wenig Unterstützung in Oberstufe

Um an eine Universität zu kommen und ein Studium zu beginnen, muss man erst einmal die Matura schaffen. Das ist für junge Menschen mit Migrationshintergrund eine riesige Hürde. Karoline Iber, Leiterin des Kinderbüros der Universität Wien: „Die Anforderungen an die Jugendlichen sind extrem hoch. Wenn man mit 14 oder 15 nach Österreich gekommen ist, ist es keine Selbstverständlichkeit, dass man in der 7. oder 8. Klasse einen ganz normalen Deutschstoff mitmachen kann.“

Die StudyBuddies Arezo Najm, Magdalena Steger, Nicolasz und André Hofstetter gemeinsam mit Karoline Iber, Leiterin des Kinderbüros der Universität Wien.

Elke Ziegler, science.ORF.at

Die StudyBuddies Arezou Najm (v.l.), Magdalena Steger (v.r.), André Hofstetter (h.l.) und Nicolasz gemeinsam mit Karoline Iber, Leiterin des Kinderbüros der Universität Wien.

Mit dem StudyBuddy-Projekt möchte das Kinderbüro auf diesem Weg unterstützen und damit den Zugang zur Hochschule öffnen. Bis zum Ende der Pflichtschule mit 15 gebe es mittlerweile einige kostenlose Hilfsangebote für Schülerinnen und Schüler. „Aber es gibt ganz wenig für die Oberstufe von Gymnasien und berufsbildenden Schulen bzw. für Jugendliche, die Lehre mit Matura machen. Die jungen Menschen, die nach der Pflichtschule in eine weiterführende Schule gehen, brauchen die Begleitung,“ so Iber.

Erfahrungen fürs Schulleben

2015 hat das Kinderbüro der Universität Wien das StudyBuddy-Projekt ins Leben gerufen, im aktuell noch laufenden Sommersemester lernen 90 Studierende mit knapp 120 Jugendlichen. Viele wollen Lehrerinnen und Lehrer werden und lernen Schule im Rahmen ihrer Tätigkeit als Buddy aus einem ganz anderen Blickwinkel kennen, schildert Karoline Iber: „Sie sehen, was es bedeutet, wenn ein junger Mensch ein Schreiben der Direktion mit nur schwer decodierbaren Informationen bekommt.“ Iber nennt als Beispiel: „Dieses Schreiben betrachten Sie bitte als gegenstandslos.“ Dieser Satz habe bei Jugendlichen die Angst verursacht, dass sie ihre Gegenstände in der Schule verlieren. „Wenn man das einmal hautnah erlebt hat, dann weiß man, worauf man in der Kommunikation in der Schule aufpassen muss.“

Manche Studierende arbeiten rein ehrenamtlich, andere bekommen Prüfungspunkte – das steht aber nicht im Vordergrund, so André Hofstetter. Er studiert Deutsch und Geografie fürs Lehramt. „Ich habe im Rahmen einer Geografie-Vorlesung vom StudyBuddy-Projekt erfahren. Ich gebe auch in einem privaten Institut Nachhilfe, aber der Mehrwert hier ist für mich, dass man nicht nur lernen will, sondern dass man hier auch Freunde findet.“

Studienpläne: Biologie und Zahnmedizin

Andrés Buddy Nicolasz hat nach nur drei Jahren in Österreich die Deutsch-Matura bestanden: „Wir haben Textsorten geübt, vor allem die Merkmale der Textsorten wiederholt. André hat mir Aufgaben gegeben und sie dann korrigiert.“ Und André ergänzt: „Ich habe Nicolasz auch immer wieder Texte über das Schulbuch hinaus angeboten, damit er noch mehr Übung bekommt.“ Mit der Matura steht für Nicolasz der Weg an die Universität offen: „Ich will Biologie, vielleicht auch Skandinavistik studieren.“

Und auch Arezou Najm, die aus Afghanistan geflüchtete junge Frau, hat schon konkrete Pläne: „Ich würde gerne Zahnmedizin studieren. Nach der Matura werde ich mich auf die Aufnahmeprüfung vorbereiten. Das hat mich schon als Kind angesprochen.“ Zunächst gilt es die achte Klasse mit vorwissenschaftlicher Arbeit und Matura zu schaffen. Bei vielen Maturantinnen und Maturanten sind in dieser Phase die Eltern gefordert zu unterstützen, das bestätigt auch Kinderbüro-Leiterin Karoline Iber: „Schule denkt bei uns nach wie vor die Eltern ganz stark mit.“ Jugendliche wie Arezou Najm haben diese Unterstützung nicht. Sie ist aber zuversichtlich, mit Unterstützung durch Buddy Magdalena auch diese Hürde zu nehmen.

Elke Ziegler, Ö1-Wissenschaft

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