Die Knochen der ersten Europäer

Forscher haben die bisher ältesten Menschenknochen außerhalb von Afrika entdeckt – und schreiben mit diesem Fund die Urgeschichte um: Der moderne Mensch stieß bereits vor 210.000 Jahren bis nach Europa vor. In Griechenland ließ er sich nieder.

Die Wiege der Menschheit liegt in Afrika. An dieser alten Lehrmeinung wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Sehr wohl in Diskussion ist die Frage, wie und wann der Mensch – in diesem Fall sollte man wohl besser sagen: wie und wann die Menschen Afrika verlassen haben. Denn in Urzeiten gab es deren einige. Homo erectus verließ den afrikanischen Kontinent bereits vor zwei Millionen Jahren, die Vorfahren der Neandertaler folgten vor 800.000 bis 600.000 Jahren. Und Homo sapiens? Der war offenbar viel früher Richtung Eurasien unterwegs als man bisher dachte, wie nun eine Studie im Fachblatt „Nature“ nachweist.

Exodus auf Raten

Zu diesem Befund kommt die Anthropologin Katerina Harvati nach der Untersuchung zweier Schädelknochen von der Westküste der Halbinsel Mani, Griechenland. Ausgegraben wurden die fossilen Fragmente bereits in den späten 70ern bzw. frühen 80ern in der sogenannten Apidima-Höhle, doch bis vor kurzem wussten die Forscher nicht, welch besonderen Fundstücke sie da in Händen hielten. Dank moderner Analysemethoden konnten Harvati und ihre Mitarbeiter nun Art und Alter genau bestimmen.

Das Ergebnis ist eine Sensation: Der eine Schädelknochen, 170.000 Jahre alt, gehört einem Neandertaler. Der andere ist offenbar ein 210.000 Jahre alter Homo sapiens, ein moderner Mensch – und somit der mit Abstand älteste Knochen unserer Art, der jemals außerhalb von Afrika gefunden wurde.

Menschlicher Schädelknochen und seine Rekonstruktion am Computer

Katerina Harvati, Universität Tübingen

Der menschliche Schädel aus der Apidima-Höhle (rechts) und seine Rekonstruktion am Computer

Zum Vergleich: Die bisher ältesten Sapiens-Knochen aus Europa waren bloß 50.000 Jahre alt, in der Chronologie der Urgeschichte wird also wieder einmal ordentlich umgerührt. Homo sapiens verließ, wie Harvati nun belegen kann, den afrikanischen Kontinent früh und in mehreren Wellen, wenngleich die griechische Pionierpopulation nach ein paar tausend Jahren wieder verschwand. Sie wurde, wie die Anthropologin bei einer Telefonkonferenz der Zeitschrift „Nature“ betonte, dann durch die bereits ansässigen Neandertaler verdrängt bzw. ersetzt.

Auch das ist eine historische Pointe. Denn im bisherigen Bild stellte sich das Verhältnis der beiden Menschenarten so dar: Der Neandertaler kam als erster nach Europa, war dort für hunderttausende Jahre erfolgreich, hatte aber vor etwa 40.000 Jahren dem Konkurrenzdruck des modernen Menschen nichts entgegenzusetzen. Und starb schließlich aus. Nun zeigt sich: In früheren Zeiten war es umgekehrt, da war offenbar der Neandertaler dem modernen Menschen überlegen.

Frühe Vermischung mit Neandertalern?

Die Studie könnte auch ein Rätsel lösen, das Genetiker seit ein paar Jahren beschäftigt. Die haben nämlich im Erbgut des Neandertalers Sapiens-Gene entdeckt, die auf einen Nahkontakt der beiden Arten (Zeugung gemeinsamer Nachkommen inklusive) in der Zeit vor 200.000 bis 400.000 Jahren hinweisen. Erklären konnte man sich das bisher nicht.

Die Fossilien aus der Apidima-Höhle indes passen recht gut in diesen Zeitrahmen. Fand diese Annäherung vielleicht in Griechenland statt? Harvati hält das für möglich. Die Urmenschen aus dieser Region „sind zumindest sehr gute Kandidaten für dieses Ereignis“, formulierte sie bei der „Nature“-Pressekonferenz mit diplomatischer Vorsicht, wissend, dass ein Beweis dafür nur von der Genetik erbracht werden kann. Die Chancen dafür stehen nicht besonders gut, da in derart alten Knochen oft keine DNA mehr vorhanden ist - und wenn doch, dann meist so fragmentiert, dass man sie erst recht nicht mehr für Analysen gebrauchen kann.

Es gibt aber einen Silberstreif am Horizont. Seit neuestem verwenden Forscher auch Proteinspuren, um Knochen einer Art zuzuordnen und die Verwandtschaft zu anderen Fossilien zu bestimmen. Die Proteine sind deutlich robuster als die DNA, das ist der große Vorteil dieser Methode. Wieviel Information in ihnen schlummert, wird sich zeigen. Der New Yorker Paläontologe Eric Delson jedenfalls zeigt sich in einem „Nature“-Kommentar überzeugt: Mit Hilfe der Proteine wird noch viel Licht fallen auf den Ursprung des Menschen.

Robert Czepel, science.ORF.at

Mehr zu diesem Thema: