Indische Mondmission vor dem Start

Knapp 50 Jahre nach der ersten Mondlandung steht Indien vor seiner Premiere: Am Sonntagabend startet eine Rakete, die erstmals überhaupt eine Sonde zum Südpol des Mondes bringen soll - Astronomen vermuten dort Wassereis in den Kratern.

Klappt alles wie geplant, soll die Sonde der Mission „Chandrayaan-2“ („Mondfahrzeug") am 6. September auf dem Mond landen.

Viertes Land auf dem Trabanten

„‘Chandrayaan-2‘ ist die logische Weiterentwicklung von ‚Chandrayaan-1‘“, erklärt Deviprasad Karnik von der indischen Weltraumforschungsorganisation ISRO. Während die erste indische Mondsonde “Chandrayaan-1“ 2008 nur um den Mond herum geflogen ist, besteht „Chandrayaan-2“ aus einem Mutterschiff, einem Lander und einem mobilen Rover - drei Missionen in einer also.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Ö1-Journalen, am 12.7. um 8 Uhr.

„Dies ist der erste Versuch Indiens, auf dem Mond zu landen“, betont Gurbir Singh von der British Interplanetary Society. Der Inder beobachtet die Ambitionen seines Landes im Weltraum seit Jahrzehnten. Schafft Indien die unbemannte Mondlandung, wäre es damit - nach den Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und China - erst die vierte Nation, der das gelingt.

Der Rover von "Chandrayaan-2"

ISRO

Der Rover von „Chandrayaan-2“

„Der Grund, warum Indien überhaupt ein Raumfahrtprogramm verfolgt, ist Indiens Stellung in der Welt“, betont Singh. Indien sei ein Schwellenland, irgendwo zwischen einem Entwicklungsland und einem Industrieland. „Startet ein Land aber ein Weltraumprogramm, steigt es damit automatisch in die Riege der entwickelten Länder auf.“ Der Zugang ins All also ist mit viel Prestige verbunden. Aber der Ehrgeiz Indiens habe auch wirtschaftliche Gründe, so Singh. „Hätte Indien kein Weltraumprogramm, müssten wir diesen Service irgendwo anders kaufen - und das käme uns am Ende teurer.“

Der Mondsüdpol wird indisch

Und so macht sich Indien also ohne Hilfe auf zum Mond – nicht irgendwohin auf die Mondoberfläche, sondern zu einer bestimmten Stelle. Denn außer Prestigegewinn wolle Indien auch wissenschaftlich etwas erreichen, ergänzt Sriram Bhiravarasu vom Lunar and Planetary Science Institute im texanischen Houston. „Der Südpol des Mondes ist überhaupt noch nie vor Ort untersucht worden“, sagt der indische Wissenschaftler. „Es hat noch nie jemand einen Rover auch nur in seine Nähe geschickt.“

Bis jetzt nicht.

Bhiravarasu, der an einem US-amerikanischen Institut arbeitet, ist mit einem Experiment an „Chandrayaan-2“ beteiligt. Die Mission lautet: über den Südpol fliegen, von oben in die Krater hineinschauen und Wasser nachweisen – gefrorenes Wasser, Eis also. „Ursprünglich dachten wir, der Mond sei knochentrocken - aber das stimmt nicht“, so der Forscher. „Wir wissen heute, dass der nächste Begleiter der Erde im All alles andere als trocken ist.“

Die Trägerrakete "GSLV MarkIII-M1", die "Chandrayyan-2" in den Weltraum bringen soll

ISRO

Die Trägerrakete „GSLV MarkIII-M1“, die „Chandrayyan-2“ in den Weltraum bringen soll

Aufgrund ihrer extremen Lage an den Polen fällt nie ein Sonnenstrahl in die Krater in den Polgegenden. Sie liegen in ständiger Dunkelheit. Eis kann sich dort für Ewigkeiten halten, ohne dass es schmilzt oder verdampft. „Wir wollen die Menge an Wassereis bestimmen, die in den ewig schattigen Kratern an beiden Polen versteckt ist“, erklärt Sriram Bhiravarasu. Dazu werde die Muttersonde 100 Kilometer über den Nord- und über den Südpol fliegen. Das Radar an Bord könne dann erkennen, wieviel Eis unten vorkommt.

Ein indischer Rover rollt über den Mond

Und dann schlägt die Stunde des Rovers. Über eine Rampe wird er die Landeinheit verlassen und dorthin rollen, wo die Muttersonde in der Umlaufbahn ihn hinschickt. Das heißt: irgendwo in der Nähe des Südpols. „Wir haben nach wie vor sehr wenig Informationen über die Mondoberfläche“, klagt Bhiravarasu. Das sei so, als hätten Wissenschaftler Material von der Hälfte Amerikas und würde anhand dieser Proben versuchen, die Beschaffenheit der gesamten Erde zu bestimmen. „Wir müssen mehr Gestein aus unterschiedlichen Gegenden untersuchen, um besser zu verstehen, wie der Mond sich entwickelt hat.“

Einen Tag lang soll der Rover durchhalten – einen Mondtag, genau genommen. Das sind immerhin rund 15 Erdtage. Genügend Zeit also, um Beschaffenheit und Aufbau des Südpols erstmals an Ort und Stelle zu untersuchen. Bodenproben sollen keine entnommen werden – diesmal nicht. Denn die Pläne von Indiens Raumfahrtorganisation reichen bereits weiter. „Wir haben jetzt erst einmal einen Lander, einen Rover und einen Orbiter“, so Deviprasad Karnik. Die ISRO werde entscheiden, ob das nächste Raumschiff eine Probe Mondgestein entnehmen und vollautomatisch zur Erde fliegen soll. „Das ist noch unsicher, denn solch ein Missionsablauf ist ziemlich kompliziert“, schränkt Karnik ein.

Schon in drei Jahren will Indien erneut zum Mond, diesmal gemeinsam mit Japan und der Mission “SELENE-R“. Im selben Jahr, 2022, sollen auch erstmals indische Astronauten auf einer indischen Trägerrakete in den Weltraum starten - große Pläne also für ein Entwicklungsland der Weltraumfahrt.

Guido Meyer, science.ORF.at

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