Forscher wollen Antarktis beschneien

Um den Anstieg des Meeresspiegels einzudämmen, könnte man Teile der Antarktis künstlich beschneien, meinen Forscher. Der absurde Vorschlag soll vor allem die Gesellschaft wachrütteln.

Das Szenario lässt aufhorchen: New York, Schanghai und Hamburg unter Wasser, weil der Westantarktische Eisschild langfristig ins Meer rutscht und den Meeresspiegel um drei Meter ansteigen lässt. Diese Apokalypse könnte man abwenden und den bedrohten Eisschild stabilisieren: Indem man eine Fläche größer als Costa Rica mit entsalztem Meerwasser künstlich beschneit und damit beschwert.

Atemberaubende Dimension

Das Vorhaben skizzieren die Forscher um Anders Levermann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) im Fachblatt „Science Advances“. „Die offensichtliche Absurdität des Unterfangens, die Antarktis zu beschneien, um eine Eisinstabilität zu stoppen, spiegelt die atemberaubende Dimension des Meeresspiegelproblems wider“, sagte Levermann. In der deutschen Fachwelt stößt die Veröffentlichung auf Vorbehalte: Experten verschiedener deutscher Forschungseinrichtungen wollen sie nicht kommentieren.

Schmelzendes Eis in der Antarktis

Mathilde BELLENGER / AFP

Durch die Erderwärmung schmilzt das Eis in der Antarktis immer schneller

Worum geht es genau? Vor allem wärmere Meeresströmungen sorgen dafür, dass der Westantarktische Eisschild in zunehmendem Tempo abschmilzt. So stieg der Eisverlust zweier großer Gletscher - Pine-Island-Gletscher (PIG) und Thwaites-Gletscher - von den 1990er Jahren bis 2010 von jährlich etwa 36 Gigatonnen auf mehr als 92 Gigatonnen. Viele Forscher befürchten, dass die Gletscher des Westantarktischen Eisschilds instabil werden und langfristig ins Meer abrutschen. Das allein würde den Meeresspiegel um etwa drei Meter ansteigen lassen - allerdings über einen Zeitraum von Jahrhunderten.

Gigantische Mengen

Das Team um Levermann kalkulierte nun, wie künstliche Beschneiung das Gewicht auf den Eisschild steigern und ihn so stabilisieren könnte. Dazu - so das Resultat ihrer Simulationen - müsste man eine Fläche von 52.000 Quadratkilometern ein Jahrzehnt lang mit mindestens 7.400 Gigatonnen (Milliarden Tonnen) Wasser künstlich beschneien.

Das hieße: Man müsste gigantische Wassermengen aus dem Meer auf den Eisschild auf eine durchschnittliche Höhe von 640 Metern pumpen, sie zudem entsalzen und mit Schneekanonen ausbringen. Allein für das Pumpen sei eine Leistung von mindestens 145 Gigawatt (Milliarden Watt) nötig, für die Energie bräuchte man - in der Theorie - mehr als 12.000 Windturbinen. Die ökologischen Folgen dieses Vorgehens für die Umwelt wären unabsehbar, räumen die Forscher selbst ein.

„Kein Alarmismus“

„Wir sind uns der Schwere bewusst, die ein solcher Eingriff hätte“, sagt Koautor Johannes Feldmann. „Einen solchen Windpark inklusive der dafür nötigen Infrastruktur in der Amundsensee zu errichten und derartige enorme Mengen an Meerwasser zu entnehmen, würde im Wesentlichen den Verlust eines einzigartigen Naturreservates bedeuten.“

Levermann betonte, die Studie solle die Gesellschaft auch wachrütteln. Jedes Grad Erderwärmung bedeute langfristig einen erheblichen Anstieg des Meeresspiegels. „Das ist vielen Menschen nicht bewusst.“ Levermann räumt ein, dass der Prozess Jahrhunderte dauern könne. „Deswegen ist da auch keine Dringlichkeit gegeben, aber das kommt in jedem Fall“, sagte er. Und fügte hinzu: „Um ein noch nie dagewesenes Risiko zu vermeiden, muss die Menschheit vielleicht auch noch nie dagewesene Anstrengungen unternehmen.“

Aber hat Levermann nicht die Sorge, sich mit dem Horrorszenario überfluteter Metropolen dem Vorwurf des Alarmismus auszusetzen? „Die Situation ist dramatisch“, antwortete er, „und ich spreche das aus.“

science.ORF.at/APA/dpa

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