Embryos haben Einfluss auf Geschlecht

Ob aus dem Ei ein Weibchen oder ein Männchen schlüpft, entscheidet bei manchen Schildkröten die Temperatur im Nest. Wie Forscher nun berichten, haben außerdem die Embryos selbst „ein Wörtchen mitzureden“, indem sie sich im Ei bewegen.

Bei vielen Schildkrötenarten ist das Geschlecht nicht von vornherein festgelegt. Erst im Lauf der Brutzeit entscheidet sich, ob später ein Weibchen oder ein Männchen schlüpft. Maßgeblich ist dabei die Temperatur im Nest. Vereinfacht kann man sagen: Wenn es dort kühler ist, enthält das Gelege am Ende mehr männlichen Nachwuchs. Ist es wärmer, sind es mehr Weibchen. Der Schwellenwert – also jene Temperatur, bei der das Geschlechterverhältnis ungefähr ausgeglichen ist – unterscheidet sich von Art zu Art.

Schildkrötenembryo im Ei

Ye et. al / Current Biology

Diese temperaturabhängige Ausdifferenzierung könnte den Schildkröten in Zeiten der Erderwärmung zum Verhängnis werden. Schon heute sind zahlreiche Arten davon bedroht. Wenn eines Tages nur mehr Weibchen schlüpfen, drohen die eierlegenden Reptilien endgültig zu verschwinden. Dennoch haben in der Vergangenheit viele temperaturabhängige Arten extreme klimatische Schwankungen überlebt, schreiben die Autoren um Yin-Zi Ye vom Institut der Zoologie der chinesischen Akademie der Wissenschaften.

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 2.8., 13:55 Uhr.

Vermutlich können sich die Tiere gut an veränderte Verhältnisse anpassen, zumindest graduell; das tun einige Schildkröten auch jetzt schon: Sie verlegen ihre Brutzeit in kühlere Zeiten oder ihr Nest an schattigere Plätze. So bleibt das Verhältnis der Geschlechter annähernd stabil.

Anpassung ans Klima

Je schneller der Klimawandel voranschreitet, umso schwerer wird es für die Tiere werden, sich anzupassen, befürchten Experten. Das australisch-chinesische Team hat nun einen weiteren überraschenden Weg entdeckt, durch den Schildkröten verhindern können, dass zu viele Weibchen bzw. Männchen zur Welt kommen. Offenbar können die Embryos im Ei bis zu einem gewissen Grad mitentscheiden, ob sie weiblich oder männlich werden; indem sie sich an die wärmeren bzw. kälteren Orte im Ei bewegen.

Laut den Forschern kann das Temperaturgefälle in diesem bis zu 4,7 Grad Celsius betragen. Das sei insofern beachtlich, denn zwei Grad mehr oder weniger können schon über das zukünftige Geschlecht entscheiden.

Bewegung im Ei

Für die Versuche mit der chinesische Dreikielschildkröte (Mauremys Reevesii) aus der Gattung der Bachschildkröten wurde bei der Hälfte der Eier der Temperaturrezeptor chemisch blockiert. Danach wurde die Umgebungstemperatur variiert.

Tatsächlich schlüpften aus den temperaturunempfindlichen Eiern später nur Männchen oder nur Weibchen, je nachdem, ob es sehr kühl oder sehr warm war. Die unbeeinträchtigten Embryos bewegten sich in ihrem Ei hingegen zwischen den Temperaturzonen. So vermieden sie die extrem heißen oder kalten Ecken. Am Ende schlüpfen etwa gleich viel Männchen und Weibchen.

Natürlich funktioniert das nur, wenn das Temperaturgefälle im Ei ausgeprägt ist und die Embryos nicht zu groß; und vor allem, wenn es nicht zu heiß ist. „Dass der Embryo sein Geschlecht mitbestimmen kann, wird wahrscheinlich nicht ausreichen, um die Schildkröten vor der derzeitigen schnellen Erderwärmung zu schützen“, erklärt Koautor Wei-Guo Du in einer Aussendung. Aber es sei schon erstaunlich, dass so ein winziger Organismus überhaupt in der Lage ist, auf solche Veränderungen in der Umwelt zu reagieren.

Eva Obermüller, science.ORF.at

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