Sag’ mir, wie lange ich noch lebe

Es klingt etwas gruselig, könnte in Zukunft aber für bessere Diagnosen und Behandlungen sorgen: Ein internationales Forscherteam hat einen Bluttest entwickelt, mit dem man das Sterberisiko in fünf oder zehn Jahren beziffern kann.

Ob Ärztinnen und Ärzte den Test jemals verwenden werden, ist heute noch unklar. Seine Grundlagen aber könnten einmal bei Therapieentscheidungen helfen – etwa bei der Frage, ob ältere Patienten oder Patientinnen zu schwach sind für eine Operation. Das berichtet ein 35-köpfige Forschergruppe um Joris Deelen vom deutschen Max-Planck-Institut für die Biologie des Alterns in einer neuen Studie.

44.000 Patienten und Patientinnen untersucht

Um das Sterblichkeitsrisiko vorherzusagen wird im klinischen Alltag heute auf recht einfache Werte zurückgegriffen - etwa auf den Blutdruck und das „gute“ Cholesterin – oder auf Merkmale wie den Body-Mass-Index und das Rauchverhalten. Biomarker im Blut sind eine weitere Möglichkeit: Sie zeigen an, wie der Stoffwechsel eines Körpers funktioniert und sagen somit etwas über seinen Gesundheitszustand aus.

Für die aktuelle Studie haben die Forscherinnen und Forscher die Stoffwechselprofile von über 44.000 Patienten und Patientinnen im Alter zwischen 18 und 109 Jahren analysiert. Über 5.500 von ihnen starben im Untersuchungszeitraum, es war die bisher größte Datensammlung zu dem Thema. Die Forscher nahmen über 200 Biomarker im Blut unter die Lupe, 14 von ihnen erwiesen sich als besonders aussagekräftig, was das krankheitsunabhängige Sterberisiko nach fünf und zehn Jahren betrifft.

Eine Ärztin macht einen Bluttest

AP

Diese Marker – darunter Blutzucker, Laktat, Lipidwerte und Entzündungsparameter – sagten die allgemeine Sterbewahrscheinlichkeit besser vorher als bisherige Methoden, betonen die Forscher, und zwar in allen Altersgruppen und sowohl bei Frauen als auch bei Männern. Vor allem die Altersunabhängigkeit der Ergebnisse ist bemerkenswert. Denn schon bisher war es relativ einfach, das Sterberisiko im letzten Lebensjahr vorherzusagen. Zeiträume von bis zu zehn Jahren quer durch alle Altersgruppen sind weit schwieriger.

Ethische Frage ausgeklammert

Ihr Test sei kostengünstig und funktioniere, betont die Gruppe um Joris Deelen, er müsse in weiteren Studien aber bestätigt und die biologische Rolle der 14 Marker genau geklärt werden. Wenn das geschehen sei, stehe einem klinischen Einsatz nichts mehr im Wege, etwa als Entscheidungsgrundlage, ob Krankheiten von Hochbetagten noch bekämpft oder Leiden palliativ gemildert werden.

Letzteres birgt natürlich jede Menge ethische Fragen. „Wie verhindern wir, dass die Zugehörigkeit zu einer statistisch analysierten Hochrisikogruppe von Biomarkern zu einer Diskriminierung von Probanden oder Patienten führt?“, fragt deshalb etwa die deutsche Bioethikerin Annette Rogge. Sie kritisiert die von den Autoren skizzierte Anwendung der Studienergebnisse. Zwar wäre eine individuelle Risikoeinschätzung für Therapieentscheidungen sinnvoll, aber die beschriebene Methode liefere nur Wahrscheinlichkeiten. „Arzt und Patient würden also nur eine sehr abstrakte zusätzliche Information über einen auch noch relativ langen Vorhersagezeitraum erhalten, die es in der individuellen Situation aber richtig zu bewerten gilt. Für den weitaus größten Teil von Therapieentscheidungen sollte man diese Information sicherlich als irrelevant einschätzen.“

Kritik üben die Forscher und Forscherinnen um Joris Deelen übrigens auch selbst: Zum einen könne es noch aussagekräftigere Biomarker im Blut geben, zum anderen würden die Daten ausschließlich von europäischen Patienten und Patientinnen stammen – Unterschiede bei anderen Ethnien seien denkbar.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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