Indoeuropäische Sprachen stammen aus der Steppe

Die indoeuropäische Sprachfamilie ist die größte der Welt. Woher stammt sie? Darüber diskutieren Wissenschaftler seit mehr als 100 Jahren - ein internationales Forscherteam kann diese Frage erstmals beantworten.

Um Licht in die Frühgeschichte zu bringen, haben die Forscher um David Reich von der Harvard Medical School nicht an Material gespart. Aktuell analysiert wurden nun mehr als 500 DNA-Proben von archäologischen Fundorten in Zentral- und Südasien. Darüber hinaus flossen bereits bekannte Gendaten in die Untersuchung ein, ergänzt durch sprachwissenschaftliche und historische Aufzeichnungen aus dem Zeitraum zwischen 12.000 und 2.000 Jahren vor unserer Zeit.

Groß angelegt ist das Forschungsprojekt auch in personeller Hinsicht. Mehr als 100 Wissenschaftler sind daran beteiligt, darunter auch zwei in Österreich tätige Fachleute, nämlich Ron Pinhasi (Universität Wien) und Maria Teschler-Nicola (Naturhistorisches Museum Wien).

Suche nach dem Ursprung

Wie die Forscher im Fachblatt „Science“ berichten, lassen sich nun zwei tiefgreifende kulturelle Veränderungen im alten Eurasien nachzeichnen: Das ist zum einen der „Übergang von der Jäger- und Sammler-Kultur zur Landwirtschaft“, sagt Studienautor Vagheesh Narasimhan von der Harvard Medical School. Und zum anderen „die Verbreitung der indoeuropäischen Sprachen, die heute von den Britischen Inseln bis nach Südasien gesprochen werden.“ Diese Sprachgruppe ist – nicht zuletzt durch die einstige Kolonialherrschaft europäischer Staaten - zur größten weltweit angewachsen.

Archäologische Fundstätte mit menschlichen Knochen

Michael Frachetti

DNA-Proben: Grab aus der Bronzezeit in Kasachstan

Wie es möglich war, dass sich schon lange vor dem Kolonialismus derart viele verschiedene, aus sprachwissenschaftlicher Sicht aber eindeutig verwandte Sprachen, über so große Gebiete verbreiteten, bietet seit der Entdeckung ihrer Ähnlichkeiten viel Raum für Diskussionen. Nun glauben Reich und sein Team die definitive Antwort gefunden zu haben.

Viehzüchter aus der Steppe

Aktuell gibt es zwei prominente Hypothesen dazu: In der Steppen-Hypothese geht man davon aus, dass Hirtenvölker die ursprüngliche indogermanische Sprache bei ihren Wanderungen aus Steppengebieten der heutigen Ukraine und Russlands mitbrachten. Im Rahmen der Anatolien-Hypothese wird wiederum angenommen, dass die Sprache vom heutigen Anatolien ausgehend Richtung Westen nach Europa und Richtung Osten nach Zentral- und Südasien verbreitet wurde. Aufgrund der neuen Studie ergebe sich „ein Schachmatt für die anatolische Hypothese“, so Reich: „Wir können eine Ausbreitung von Bauern mit anatolischen Wurzeln nach Südasien ausschließen.“

Ein Ergebnis der laut den Forschern „größten jemals durchgeführten Studie“ mit alter menschlicher DNA lege nahe, dass sowohl der balto-slawische Zweig der Sprachgruppe wie auch der indo-iranische Zweig auf eine Gruppe von Viehzüchtern aus der Steppe zurückgehen, die sich vor rund 5.000 Jahren auf den Weg in Richtung Europa machte. Erst in den folgenden 1.500 Jahren breiteten sich die Nachfahren dieser Gruppe dann wieder in den Osten nach Zentral- und Südasien aus.

Wie die Landwirtschaft nach Asien kam

Ein weiterer Hinweis, der laut Forschern gegen die Anatolien-Hypothese spricht, ist, dass sich genetische Spuren der einstigen Steppenbewohner heute vor allem in einigen Bevölkerungsgruppen Südasiens nachweisen lassen, deren Mitglieder in früheren Zeiten oft als Priester fungierten. Darunter finden sich etwa die Brahmanen, die sich als die traditionellen Hüter jener religiösen Texte (Veden) sehen, die in der alten indoeuropäischen Sprache Sanskrit verfasst wurden. „Die Feststellung, dass Brahmanen mehr Steppen-Abstammung haben als andere Gruppen in Südasien, liefert ein faszinierendes neues Argument für einen Steppenursprung für indoeuropäische Sprachen in Südasien“, so Reich.

Archäologische Fundstätte in Kasachstan

Michael Frachetti

Die Forscher bei der Arbeit

Eine zweite Studie von Reich und seinem Team, heute veröffentlicht im Fachjournal „Cell“, wirft auch neues Licht auf die Verbreitung der Landwirtschaft. Bisher nahm man an, dass Ackerbau und Viehzucht durch Wanderungsbewegungen vom Fruchtbaren Halbmond über das iranische Plateau nach Südasien gebracht wurden. Doch die DNA-Daten können das nicht bestätigen. Fazit der Forscher: Hauptmotor dieser Entwicklung war die kulturelle Vererbung - die Ideen haben sich offenbar schneller verbreitet als die Menschen.

science.ORF.at/APA

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