Moralisch handeln mit der Nase

Sollte man eine Person töten, wenn man dadurch vier Menschen retten könnte? Die Entscheidung von Dilemmata wie diesem ist nicht nur eine Frage der Ethik. Sie hängt auch vom Geruch ab, wie Forscherinnen in einer aktuellen Studie berichten.

Das Trolley-Problem ist vielen bekannt: Ein Zug fährt auf eine Gruppe von vier Personen zu. Man kann sie retten, indem man die Weichen umlegt. Dann aber würde man eine Person töten, die auf dem anderen Gleis arbeitet. Was tut man? Lässt man dem Schicksal seinen Lauf oder tötet man eine Person zugunsten von vier Menschen? Mit diesem Dilemma wurden Studienteilnehmer in einem Grazer Duftlabor konfrontiert. Spontan gefragt würden die meisten den Hebel umlegen – nach dem Grundsatz: ein Toter ist besser als vier.

Die Teilnehmer entschieden allerdings anders, nachdem Forscher in dem Raum für die Nase kaum wahrnehmbar den Geruch eines Menschen versprühten. Sie tendierten dann dazu, die eine Person nicht zu opfern, erklärt die Neurowissenschaftlerin Veronika Schöpf von der Medizinischen Universität Wien das Ergebnis der Studie. „Wir identifizieren uns auf einmal mit der Person. Wir denken, wir kennen sie vielleicht, und es riecht im Raum nach dieser Person.“

Geruchstest im Labor

APA/dpa-Zentralbild

Geruchstest im Labor

Kann auch eine Warnung sein

Der Geruch schafft emotionale Verbundenheit zwischen Menschen, oder anders formuliert: Es wird einem klar, dass man hier aktiv diesen Menschen töten müsste. Das Experiment zeigt, dass wir über unseren Schweiß nicht nur die Körpertemperatur regulieren. Vielmehr lösen Schweiß und Körpergeruch etwas bei anderen Menschen aus, beeinflusst deren Emotionen und verbindet Menschen miteinander. Aus diesem Grund spricht man auch von sozialen Gerüchen. „In dem Fall geht es nicht darum, ob man besser oder schlechter riecht, sondern um eine Kommunikationsinformation", sagt Schöpf. "Wenn Sie schon einmal einen Raum betreten haben, in dem ein Test oder eine Schularbeit geschrieben wurde, dann wissen Sie, das riecht nicht nach normalen Sportschweiß, sondern nach Angstschweiß. Es heißt: ‚Achtung, betritt diesen Raum nicht!‘ Wir kommunizieren diese Information allen, die danach in den Raum kommen.“

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Dem Thema widmete sich auch ein Beitrag im Dimensionen Magazin, 12.9., 19:05 Uhr.

Der Körpergeruch eines Menschen kann unterbewusst viele unterschiedliche Signale aussenden. Während wir in Form von Angstschweiß andere warnen, kann unser Geruch auch Menschen anlocken, kooperativ oder kampfbereit stimmen, erklärt Schöpf. „Wir kommunizieren unser Befinden, ob wir krank sind und ob wir uns als Frau in einer Phase befinden, in der wir Kinder bekommen können.“

Soziale Gerüche werden nicht bewusst vom Duftradar erfasst. Sie werden subtiler wahrgenommen. Parfüms, Rasierwasser und Deo können ihre Botschaften nicht überdecken. „Wir identifizieren das meisten eher so als Bauchgefühl oder ‚ich kann die andere Person einfach nicht riechen‘. Dafür gibt es einen Grund, weil unser Wahrnehmungsorgan dafür eben die Nase ist.“

Eine Frau riecht an einer Geruchsprobe

AP

Angstschweis macht zurückhaltend

Dass wir uns von sozialen Gerüchen in unterschiedlichen Situationen leiten lassen, zeigt eine weitere Untersuchung, die Veronika Schöpf selbst durchgeführt hat. Danach waren Frauen bei einem Glückspiel-Experiment weniger risikofreudig, wenn es in dem Raum unterschwellig nach Angstschweiß roch. „Sie waren wesentlich zurückhaltender mit dem Einsatz.“

Gerüche helfen aber auch, uns in der Umgebung zu orientieren. Wie Schöpf in einer aktuellen Forschungsprojekt zeigt, merken wir uns dank der menschlichen Duftmarke Gesichter besser. Um das zu testen, zeigten die Forscher Frauen im Labor Bilder von anderen Frauen. In einem zweiten Durchgang mussten sie diese aus einer Fülle anderer Gesichter wiedererkennen. Tatsächlich konnten die Teilnehmerinnen die bekannten Gesichter schneller und besser herausfiltern, wenn es im Labor auch nach Frau roch und nicht etwa nach Vanille oder Lavendel. Den Unterschied sieht man auch im Gehirn. „Wenig überraschend werden hier Bereiche im Gehirn aktiv, die z.B. sagen: ‚Das passt doch nicht zusammen. Es schaut aus wie ein Auto, aber es riecht wie ein Schnitzel.‘ So muss man sich das vorstellen. Für das Gehirn ist das einfach ein Zuordnungsproblem, und man sieht auch, dass es mehr Energie verbraucht.“

Ähnlich ist es auch, wenn es in dem Raum, wo wir einen Test schreiben, anders riecht als in dem Raum, in dem wir zuvor gelernt haben. Das Gehirn tut sich nämlich leichter, das Wissen bei gleichem Geruch wieder abzurufen, so die Neurowissenschaftlerin. „Das bedeutet nicht, dass wir manipulierbar sind und dass wir schlecht performen bei einem Test, wenn es in einem Raum anders riecht. Es bedeutet einfach nur, dass unser Gehirn mehr Arbeit leisten muss. Sind wir gesund, dann verbrauchen wir einfach ein bisschen mehr Sauerstoff im Gehirn.“

Eine Frau riecht an einem Blumenbeet

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Praxen und Geschäfte: Besondere Duftnote

Die Erkenntnisse über Gerüche kann man sich aber durchaus außerhalb von Labors zunutze machen. So beduften Modehäuser oder Gerätehersteller ihre Produkte unterschwellig so, dass Konsumenten sie eher kaufen, weil sie sich in dem Geschäft beispielsweise besonders wohlfühlen oder sie immer wieder zu einer Marke greifen, weil sie sie geruchlich wiedererkennen, erklärt Schöpf. Auch bei Banken bis hin zu Ärzten weiß man um die Bedeutung von Gerüchen und deren Einfluss auf Emotionen.

„Viele Krankenhäuser und Arztpraxen gerade im onkologischen Bereich überlegen sich schon lange, welche Möbel man in den Warteraum stellt, welche Bilder und Farbe an die Wand kommen, aber auch wie es riechen soll. Das soll man nicht bewusst wahrnehmen, sondern man soll das Gefühl haben, da kann mir eigentlich nicht mehr so viel Schlimmes passieren.“

Wonach Vertrauen genau riecht und welcher Duft Wohlgefühl auslöst? Das lässt sich allgemein nicht beantworten, so Schöpf. „Wir führen für alle diese Beduftungen Befragungen durch. Daraus ergeben sich dann manchmal auch lokale Unterschiede. Zusammengefasst will man aber eher, dass etwas sauber riecht, und das hat oft was mit etwas Zitronigem zu tun.“ Ziel ist es aber nicht, dass der Duft von Zitrone und Orange bewusst wahrgenommen wird. Auch hier geht es um ein unterschwelliges Signal ans Gehirn. Wie sehr hier der Duft den Angstschweiß mancher Patienten tatsächlich überdeckt bzw. vielleicht erst gar nicht aufkommen lässt, wurde noch nicht untersucht.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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