Wenn Naturereignisse Katastrophen werden

Nicht allein die Stärke eines Hurrikans oder eines Sturms bestimmt, welche Folgen er hat. Auch der Urbanisierungsgrad, gesellschaftliche Ungleichheit und Vertrauen in die Behörden spielen eine Rolle, argumentiert die mexikanische Forscherin Irasema Alcàntara Ayala.

Kurz bevor Hurrikan Dorian letzte Woche auf die US-Küste traf, sorgte Präsident Donald Trump für Verwirrung. Er warnte, dass der Sturm, entgegen den Prognosen der Meteorologen, auch Teile des Bundesstaates Alabama treffen würde. Um das zu belegen, zeigte er eine Karte, auf der das Gefahrengebiet mit Filzstift erweitert wurde. Der US-Wetterdienst widersprach dem Präsidenten auf Twitter.

Präsident Trump und die Karte zu Hurrikan Dorian

APA/AFP/Jim Watson

Wenn Politiker wissenschaftlichen Prognosen widersprechen, dann macht das eine Gesellschaft verletzlich, sagt Irasema Alcàntara-Ayala von der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko. Faktoren wie Vertrauen in die Behörden, Handlungsfähigkeit und Transparenz sind entscheidend in der Frage, wie vulnerabel eine Gesellschaft angesichts von Naturereignissen ist.

Die Richterskala sagt nicht alles

Nicht allein die Stärke eines Erdbebens oder eines Sturms bestimmt das Ausmaß einer Katastrophe, sagt die Geografin bei der International Mountain Conference in Innsbruck. Menschen setzen sich unterschiedlich stark Naturrisiken aus, indem sie etwa im Überschwemmungsgebiet wohnen oder in Lawinen-Gefahrenzonen. Darüber hinaus bestimmen auch gesellschaftliche Faktoren, ob ein Naturphänomen zur Katastrophe wird oder nicht. „Gesellschaften, die weniger wohlhabend sind, in denen Bildung und Lebenschancen ungleich verteilt sind, sind viel vulnerabler und weisen ein höheres Risiko auf.“

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Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 13.9., 13:55 Uhr.

So seien Entwicklungsländer zwar prinzipiell verwundbarer, doch auch in Industriestaaten kann ein Naturereignis zur Katastrophe werden, sagt die Forscherin und nennt das Beispiel Japan. 2011 starben rund 18.000 Menschen bei dem verheerenden Tsunami, der auch das Atomkraftwerk Fukushima traf. Betroffen waren vor allem ältere Menschen, die nicht mehr rechtzeitig vor der Flutwelle fliehen konnten.

Besonders vulnerable Gesellschaftsgruppen

Armut und Ungleichheit bestimmen, wie stark eine Gesellschaft durch ein Naturereignis getroffen wird. Das zeigte auch Hurrikan Katrina, der 2005 über den Südosten der USA zog. Vor allem die weniger wohlhabenden, afro-amerikanischen Bewohnerinnen und Bewohnern konnten sich nicht vor dem Wirbelsturm in Sicherheit bringen und starben.

Irasema Alcàntara Ayala bei der Konferenz in Innsbruck

ORF, Juliane Nagiller

Irasema Alcàntara Ayala bei der Konferenz in Innsbruck

Doch auch Haftung und Verantwortlichkeit spielen eine Rolle. So kam es nach dem verheerenden Erdbeben, das 2009 in der italienischen Stadt L’Aquila ereignete, erstmals zu einem Prozess gegen Wissenschaftler und Erdbebenexperten, da diese die im Rahmen des Erdbebens aufgetretenen Erschütterungen nicht als Zeichen eines erhöhten Erdbebenrisikos eingeschätzt, sondern vielmehr ein starkes Beben in der Region ausgeschlossen haben. „Sie sagten zu den Leuten: Bleibt zu Hause, trinkt ein Glas Wein. Und dann kam das Erdbeben,“ erzählt Irasema Alcàntara Ayala.

Vollkommene Sicherheit wird es nie geben

Der Mensch hat stark in die Natur eingegriffen, hat Gebäude, Straßen und Infrastruktur errichtet. Das mache es nahezu unmöglich, die Folgen von Naturereignissen genau vorherzusagen, meint die Forscherin. Es sei nämlich schwierig, genau einzuschätzen wie viel Regenwasser etwa ein Gebäude oder eine Straße aushält. Der Klimawandel mache die Menschen zusätzlich verwundbar und zwar sowohl in den Entwicklungs-, als auch in den Industriestaaten. Umso wichtiger sei es, die Risiken zu reduzieren. Etwa indem man erbebensicher baut oder in den Hochwasserschutz investiert.

„Man darf nicht nur ein Katastrophenmanagement betreiben, sondern man muss das Risiko von Katastrophen managen“, sagt die Geografin und plädiert für einen Ansatz, der die lokale Bevölkerung ins Zentrum stellt. Diese müsste unbedingt miteinbezogen werden. Immerhin kenne sie ihre Umwelt am besten und interagiere tagtäglich mit ihr. Nur wenn die Bewohnerinnen und Bewohner verstehen, wie sie auf Naturereignisse reagieren sollen und warum, werden solche Ereignisse zukünftig weniger Menschenleben fordern.

Juliane Nagiller, Ö1-Wissenschaft

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