Ökovordenker und Antikolonialist

Er war Entdeckungsreisender, Ökopionier und Antikolonialist: Alexander von Humboldt war sein gesamtes Leben fasziniert vom „Zauber der Natur“ und galt zu seiner Zeit weltweit als einer der bekanntesten Menschen. Am Samstag jährt sich sein Geburtstag zum 250. Mal.

Viele Biografien sind über ihn geschrieben worden, kaum eine prägt das aktuelle Humboldt-Bild so stark wie „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“. Das Buch der Historikerin Andrea Wulf erschien auf Deutsch 2016 und wurde schnell ein Bestseller (Leseprobe). 2019 hat Wulf den bebilderten Band „Die Abenteuer des Alexander von Humboldt“ nachgelegt.

Bilderschatz Tagebücher

Dessen Entstehen beruht auf einem Schlüsselerlebnis, erzählt Wulf. „Die Tagebücher von Humboldts berühmter Lateinamerika-Reise 1799-1804 waren lange Zeit in Privatbesitz. Ende 2013 hat sie die Stiftung preußischer Kulturbesitz gekauft und wenig später öffentlich zugänglich gemacht. Da hatte ich das Manuskript zu meiner Biografie gerade abgegeben. Inhaltlich war das kein Problem, es gab ja Abschriften. Aber als ich diese 4.000 Seiten voll mit Schrift, Zeichnungen, Karten, Skizzen usw. gesehen habe, da wollte ich ein Buch machen, das auch Humboldts künstlerische Seite würdigt.“ So schuf sie den Bildband gemeinsam mit der New Yorker Grafikerin Lillian Melcher.

Entstanden sind 260 Seiten detailreicher Collagen aus Tagebuchnotizen, den Zeichnungen Humboldts und den Illustrationen Melchers, Text in Sprechblasen und erklärenden Notizen, Bilder der getrockneten Pflanzen, die bis heute erhalten sind, und vielem mehr. Da spaziert Humboldt auf einer Seite durch die Kupferstichlandschaften, die er nach der Reise für seine Bücher anfertigen ließ.

Ausschnitt aus dem Humboldt-Comic

Andrea Wulf / Lillian Melcher

Eine andere Doppelseite zeigt die Fahrt Humboldts auf dem Orinoco, dem großen Fluss im heutigen Venezuela, von dem Humboldt wissen wollte, ob er mit dem anderen riesigen Flusssystem Südamerikas, dem Amazonas, verbunden ist. Der Fluss ist dargestellt durch aneinandergelegte Tagebuchseiten, in ihm schwimmen die Fische, die Humboldt gezeichnet hat. Der echte Humboldt ist auf einem stürmischen Abschnitt dieser Flussfahrt einmal ins Wasser gesprungen, um seine Notizbücher zu retten – der gezeichnete Humboldt springt durch den Wasserfleck, den er dabei abbekommen hat (siehe Bild oben).

Lateinamerika-Reise 1799-1804

Fünf Jahre lang war Alexander von Humboldt in den heutigen Ländern Venezuela, Kuba, Kolumbien, Ecuador, Peru und Mexiko unterwegs. Seine Reise gilt als eine der ergiebigsten Forschungsreisen der Geschichte. Die Eindrücke, die Humboldt auf ihr sammelt, prägen den Rest seines Lebens und Schaffens. Schon ganz zu Beginn der Reise, noch an der venezolanischen Küste, erkennt er den Zusammenhang zwischen Waldrodung, Bodenerosion und Veränderung des lokalen Klimas. Die durch Menschen verursachten klimatischen Veränderungen werden ihn fortan immer wieder beschäftigen (siehe Bild unten). Gemeinsam mit seinem Reisebegleiter, dem Botaniker Aime Bonpland sammelt Humboldt über 6.000 Pflanzenarten, Tiere und Steine.

Ausschnitt aus dem Humboldt-Comic

Andrea Wulf / Lillian Melcher

Kolonien machen ihn zum Antikolonialisten

Humboldt interessiert sich aber bei Weitem nicht nur für Pflanzen, Tiere, Steine und Messungen – als das, was man heute als Naturwissenschaft bezeichnet. Sondern für alles, was ihm begegnet: für die indigenen Völker, für deren Sprachen, für das Gesellschafts- und das Wirtschaftssystem der Regionen, die er bereiste. Zurück in Europa schreibt er ab 1809 ein mehrbändiges Werk, das er einen „Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neuspanien“ nannte. Es wird eine unmissverständliche Abrechnung mit dem Kolonialismus.

So schreibt er: „Die Idee der Kolonie selbst ist eine unmoralische Vorstellung. Denn dies ist die Idee von einem Land, das man einem anderen gegenüber tributpflichtig macht. Von einem Land, dass nur zu einem gewissen Grad von Wohlstand kommen muss. … Denn jenseits dieses Punktes, folgt man den gängigen Ideen, würde das Mutterland zu wenig verdienen. Jenseits dieses Mittelmaßes würde die Kolonie zu stark und zu sehr befähigt, sich selbst zu erhalten und gar unabhängig zu werden. Je größer die Kolonien sind, je konsequenter die europäischen Regierungen in ihrer politischen Bösartigkeit vorgehen, desto mehr muss die Unmoral der Kolonien zunehmen.“ (zitiert aus „Alexander von Humboldt – Buch der Begegnungen“, herausgegeben von Ottmar Ette)

Porträt von Alexander von Humboldt

ÖNB

Biografie

Alexander von Humboldt kommt am 14. September 1769 in Berlin als Kind einer wohlhabenden, adligen Familie zur Welt. Gemeinsam mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Wilhelm wird er von den besten, der Aufklärung verpflichteten Privatlehrern erzogen. Nach dem Studium macht er Karriere im Staatsdienst als Bergassessor. 1799 bis 1804 bereist er Lateinamerika. Zurück in Europa lässt er sich in Paris nieder. 1827 übersiedelt er nach Berlin. 1829 unternimmt er eine zweite, acht Monate dauernde Forschungsreise durch Russland und Sibirien. Ab 1834 arbeitet er an seinem Lebenswerk „Kosmos“. Am 6. Mai 1859 stirbt er in Berlin.

Seiner Zeit weit voraus

„Humboldt ist mit einem ganz kritischen Auge durch Lateinamerika gereist“, sagt Wulf. „Er war der Erste, der den Effekt der Kolonialisierung zusammenbringt mit dem Effekt, den das auf die Natur hat. Er sieht, wie Monokultur, Zuckerplantagen zum Beispiel, die Menschen ausbeutet – was das für die Sklaverei bedeutet, für die indigenen Völker – aber auch für die Umwelt. Wie Monokultur die Umwelt zerstört durch Rodung beispielsweise, durch künstliche Bewässerung. Er hat auch immer wieder kritisiert, wie der Bergbau sowohl das Land als auch die Menschen ausbeutet.“

Schon um 1810 macht Humboldt klar: Der Kolonialismus ist eine Katastrophe für Mensch und Umwelt; Kolonialgesellschaften beruhen auf Ungleichheit; indigene Völker sind weder Barbaren noch Wilde; die Zukunft Südamerikas liegt in der Subsistenzwirtschaft und nicht in Monokulturen oder Bergbau. Mit diesen Ansichten ist er seiner Zeit weit voraus. Und seine klaren Worte bleiben für ihn nicht folgenlos. Sie führen dazu, dass er seinen Lebenstraum, auch den Himalaja zu sehen, nie erfüllen kann. Großbritannien verwehrt ihm zeitlebens die Erlaubnis, seine Kolonien am indischen Subkontinent zu bereisen.

Alexander von Humboldt in seinem Arbeitszimmer

ÖNB

Humboldt in seinem Arbeitszimmer

Für Unabhängigkeit und gegen Sklaverei

Kurz nach seiner Rückkehr aus Südamerika lernt Humboldt in Paris den jungen Simon Bolivar kennen. Der junge Mann aus reicher kreolischer Familie in Caracas versucht gerade, sich auf einer Europareise von der Trauer über seine jung verstorbene Ehefrau abzulenken. In Paris lernt er Humboldt kennen. Humboldt kann bei diesen Treffen zwar noch nicht den späteren Kämpfer für die Unabhängigkeit, Befreier und Diktator erkennen. Die beiden unterhalten sich aber über die politische Zukunft Südamerikas.

Ö1 Sendungshinweise:

Dimensionen zum 250. Geburtstag von Humboldt: Das Netz des Lebens (9. 9.) und Studiogespräch mit Andrea Wulf (10. 9.).

Sie werden in Briefkontakt bleiben, als Bolivar nach Südamerika zurückgeht und schließlich den Unabhängigkeitskampf beginnt. Er wird sich immer wieder auf Humboldt berufen und ihn den „wahren Entdecker Südamerikas“ nennen. Humboldt wird die Befreiungskämpfe zunächst mit Wohlwollen verfolgen, Bolivar später aber für seine zunehmend diktatorischen Züge deutlich kritisieren.

Dem US-amerikanischen Präsidenten Thomas Jefferson, den er ebenfalls bei einem kurzen Abstecher nach Philadelphia und Washington auf der Lateinamerika-Reise kennengelernt hatte, hält er gleichzeitig vor, immer noch an der Sklaverei festzuhalten. Die hätte doch sogar der südamerikanische Diktator schon abgeschafft.

Erster Umweltschützer: Humboldt

Schon zu Lebzeiten war der Naturforscher und Entdecker eine Legende. Er bereiste ferne Länder, entdeckte unzählige exotische Tier- und Pflanzenarten und publizierte unermüdlich in wissenschaftlichen Fachzeitschriften.

Größte Sehenswürdigkeit Berlins

Humboldt macht aus seiner Gesinnung grundsätzlich kein Hehl. Das schadet ihm aber nicht immer. Etwa, wenn er denn Großteil seines Lebens im Sold des preußischen Königs verbringt. Nachdem er sein reiches Erbe zur Hälfte für die Lateinamerika-Reise, zur anderen Hälfte für die vielen, teils aufwendig hergestellten Publikationen, die der Reise folgten, aufgebraucht hat, ist er von diesem Einkommen abhängig. Knapp 50-jährig übersiedelt er von Paris zurück ins wenig geliebte Berlin und dient dem preußischen König als Kammerherr. Obwohl seine republikanische Überzeugung am Hof ebenso wie im ganzen Land bekannt ist. Humboldt verhält sich diplomatisch, und Friedrich Wilhelm der Vierte lässt ihn gewähren.

Humboldt ist längst einer der berühmtesten Menschen der Welt. Als „größten Mann seit der Sintflut“ bezeichnet ihn der preußische König. Als „größte Sehenswürdigkeit Berlins“ die Autorin Wulf: „Es scheint, als hätte jeder, der sich in dieser Zeit mit Wissenschaft, Kunst, Literatur oder Politik beschäftigt hat, irgendwann Kontakt zu Humboldt gesucht.“ Diesen Eindruck verstärken auch die mehr als 50.000 Briefe, die Humboldt zeitlebens geschrieben hat. Humboldts Elan lässt erst in hohem Alter langsam nach. Die letzten Kapitel zum fünften Band seines Lebenswerks „Kosmos“ gibt er gut zwei Wochen vor seinem Tod ab. Am 6. Mai 1859 stirbt er, wenige Monate vor seinem neunzigsten Geburtstag.

Birgit Dalheimer, Ö1-Wissenschaft

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