Vetmed war „NS-Hochburg“

Keineswegs ein „passives Opfer“ des Nationalsozialismus wie bisher oft gedacht, sondern eine „nationalsozialistische Hochburg“: Das war die Wiener Tierärztliche Hochschule – die heutige Veterinärmedizinische Universität (Vetmed) – laut einem neuen Buch.

Die Historikerin Lisa Rettl geht darin der Geschichte der Vetmed zwischen 1930 und 1947 nach. „Von der langgehegten Vorstellung, dass die Wiener Tierärztliche Hochschule an den Ereignissen der nationalsozialistischen Machtübernahme keine Verantwortung trägt und lediglich als passives Opfer zu betrachten ist, wird man sich in Zukunft verabschieden müssen“, betont Rettl in einer Aussendung der Uni.

Personelle Kontinuitäten

„Am überraschendsten für mich persönlich war, wie wenig das Jahr 1938 oder auch 1945 ein Zäsurjahr markierte und wie groß die personellen Kontinuitäten im Haus über Jahrzehnte hinweg waren.“ Die politischen Hochschuleliten, die seit den 1920er Jahren an der heutigen Veterinärmedizinischen Universität Wien tätig waren, hätten das Hochschulleben im Austrofaschismus, im Nationalsozialismus und auch nachher bis weit in die 1950er und 1960er Jahre geprägt.

Cover des Buchs „Die Wiener Tierärztliche Hochschule und der Nationalsozialismus"

Wallstein Verlag

Lisa Rettl: „Die Wiener Tierärztliche Hochschule und der Nationalsozialismus“, Wallstein Verlag, 400 Seiten, 41,10 Euro. Buchräsentation am 24. September, 14 Uhr, im Festsaal der Veterinärmedizinischen Universität, Veterinärplatz 1, 1210 Wien.

Die Hochschule hätte sich dabei „zwischen dynamischer Antizipation des Nationalsozialismus und willfähriger Anpassung, zwischen politischer Repression und aktiver Machtteilhabe mit glänzenden ebenso wie mit stagnierenden Karrieren, zwischen Gleichschaltung und autonomer Selbstverwaltung mit ideologisch geprägter Forschung und deren Funktionalisierung und Indienstnahme für den Kriegseinsatz bewegt“, heißt es im Buch. Das zeigt sich etwa anhand der Bestellung der Rektoren in der fraglichen Zeit und deren weiteren Karrieren sowie dem Umgang mit den Studenten.

Beispiel Karl Sigloch

Exemplarisch ist dabei etwa der Fall des katholisch geprägten Studenten Karl Sigloch, den Rettl detailliert ausrollt. Nach einem terroristischen Anschlag auf dem Gelände der Uni - es wurden Rauchbomben entzündet und Behälter mit Tränengas geworfen - im November 1933 meldete Sigloch als Augenzeuge zwei nationalsozialistische Studenten als tatverdächtig. Obwohl dieser Verdacht von anderen Zeugen gestützt wurde und die Polizei bei den Tätern auch belastendes Material fand, sah sich nach Interventionen der nationalsozialistisch gesinnten Studenten- und Professorenschaft schließlich Sigloch gezwungen, die Uni zu verlassen.

Bezeichnend auch die Geschichte der damaligen Rektoren: Bereits 1929 wurde David Wirth zum Rektor gewählt, wobei das Mitglied des NS-Lehrerbunds dieses Amt aufgrund interner Differenzen erst 1931 antrat. Ihm folgte 1933 Hermann Jansch, ebenfalls ein NS-Sympathisant.

Anschließend kam es zu einer Art Bruch: Mit Franz Zaribnicky trat 1935 ein Rektor an die Spitze, der eindeutig nicht nationalsozialistisch gesinnt war und deshalb nach der Machtübernahme der Nazis beruflich kaltgestellt wurde - schon davor war mit Franz Benesch 1937 erneut ein NS-Sympathisant zum Rektor bestellt worden, der sich allerdings offenbar „keine persönlichen Gehässigkeiten, antisemitischen Bösartigkeiten oder skrupellosen Karriereschritte“ leistete, so Rettl.

Männerfreundschaften

Interessant: Benesch verwendete sich für Zaribnicky - für die Historikerin ein Hinweis, „dass auch im Rahmen der Ereignisse rund um den ‚Anschluss‘ und trotz der unmittelbar einsetzenden Maßnahmen zur ‚Gleichschaltung‘ der Hochschulen politische Handlungsspielräume offenstanden...“ Umgekehrt revanchierte sich Zaribnicky nach 1945 als Mitglied der Entnazifizierungskommission, indem er sich für Beneschs Rückkehr an die Hochschule aussprach. Dieser konnte seine wissenschaftliche Nachkriegskarriere dadurch bald direkt an der Institution wieder fortsetzen.

Einen weiteren Weg bis zur Wiedereingliederung musste dagegen Beneschs 1942 bestellter Nachfolger als Rektor, Otto Krölling, gehen. Nach Aufhebung seines Berufsverbots verdingte er sich zunächst als Tierarzt und Mitgründer einer Besamungsstation. 1960 durfte aber auch er als Ordinarius an „seine“ Hochschule zurückkehren.

science.ORF.at/APA

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