Tiki-Taka unter der Netzwerklupe

Vor zehn Jahren hat der FC Barcelona unter Trainer Pep Guardiola den Fußball revolutioniert. Wie erfolgreich seine Taktik mit Ballbesitz und Kurzpassspiel war, zeigt eine neue Studie von Netzwerkforschern.

„Ich weiß nicht viel über Fußball, aber sehr viel über Netzwerke“, sagt Javier Buldú von der Universität Rey Juan Carlos in Madrid. Die Studie, die der Physiker soeben mit Kollegen in “Scientific Reports“ veröffentlicht hat, verrät dennoch einiges über das Geheimnis eines der attraktivsten Teams aller Zeiten.

Der FC Barcelona war schon vor Pep Guardiola sehr erfolgreich. Mit dem neuen Trainer begann ab 2008 aber für den „Més que un club“ eine neue Ära. Als erster Verein überhaupt gewann er ein Jahr später innerhalb eines Jahres sechs Titel – nicht zuletzt wegen Guardiolas Spielphilosophie. Die Idee vereinfacht ausgedrückt: mittels kurzer, sicherer Pässe so nahe wie möglich ans gegnerische Tor kommen – und dann eines schießen.

Grafik des Barcelona-Netzwerks

Javier M. Buldú

Wie dieses Tiki-Taka funktioniert, zeigt etwa das Spiel von Barcelona gegen Real Madrid am 29. November 2009, das die Katalanen daheim mit 1:0 gewannen. Das Bild oben zeigt ihr Netzwerk: Unschwer zu erkennen ist, dass Mittelfeldspieler Xavi der wichtigste Knoten ist, die häufigsten Pässe spielten neben ihm die Mittelfeldkollegen Busquets und Iniesta sowie die beiden Außenverteidiger Abidal und Alves.

Mehr als doppelt so viele Pässe

Für alle 380 Ligaspiele der Saison haben die Netzwerkforscher um Buldú Daten wie diese gesammelt und miteinander verglichen. Der Unterschied zwischen Barcelona und den anderen Teams war schon in der einfachsten „Netzwerkwährung“ riesig, den Pässen. Während die Katalanen 2009/2010 im Schnitt 530 Pässe pro Spiel machten, waren es bei ihren Gegnern im Schnitt nur 190. „In der Saison war der Unterschied wirklich verrückt“, sagt Javier Buldú. Mittlerweile ist er bei Weitem nicht mehr so groß.

Ö1-Sendungshinweis

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag in Wissen aktuell: 20.9., 13:55 Uhr.

Das Credo „Take the ball, pass the ball“ hat sich vor zehn Jahren auch auf die Richtung des Ballspiels ausgewirkt, wie die Netzwerkanalyse zeigt. „Im Gegensatz zu allen anderen Teams bewegt Barcelona den Ball parallel zur Torlinie“, sagt Javier Buldú. Wichtig ist nicht der direkte Zug zum Tor, sondern der Ballbesitz. Die parallel zum Tor liegenden Spielerketten verschieben sich langsam, aber sicher Richtung Tor – um dann zuzuschlagen. „Schon im Training lernen die Spieler, sich nicht auf das Tor zu konzentrieren, sondern lokale Räume auf dem Feld zu erobern“, so Buldú.

Meister des Dreiecks und des „kürzesten Pfads“

Selbstzweck soll das freilich keiner sein, wie auch Pep Guardiola vor einigen Jahren in einem Interview betonte („Ich hasse diese Art Tiki-Taka“). Ziel war und ist es deshalb, über den Ballbesitz in die Nähe des gegnerischen Tors zu kommen. Und das geschieht oft über Dreiecke, die sich bei Barcelona vor allem vor Toren überdurchschnittlich häufig bilden – so auch beim Spiel gegen Real Madrid, wo etwa Xavi-Iniesta-Messi ein solches Pass-Dreieck bildeten. (Das Tor schoss dann freilich der eingewechselte Ibrahimovic.)

Xavi-Iniesta-Messi

AFP

Iniesta, Messi und Xavi

Die Netzwerkanalyse offenbart aber noch weitere Vorzüge des Guardiola-Teams: So lag das Zentrum von Barcelona, verkörpert im Mittelfeldspieler Xavi, weiter vorne als bei allen anderen. Den Gegnern blieb damit weniger Platz für das eigene Spiel. Und auch bei dem aus der Informationstheorie bekannten Begriff des “kürzesten Pfads“ erreichte die katalanische Mannschaft den Topwert: Gemeint ist damit die Anzahl von Pfeilen, die es benötigt, um von (irgend)einem Knoten zu (irgend)einem anderen zu gelangen. Bei Barcelona war dieser Wert so niedrig wie bei keinem anderen, was bedeutet, dass die Spieler besser vernetzt sind und besser kommunizieren (=passen). Grundlage dafür ist eine perfekte Ballbehandlung, und die wird an Barcelonas eigener Jugendakademie La Masia gelehrt. Sieben von zehn Spielern, die in der Saison 2009/2010 mehr als 1.000 Minuten auf dem Platz standen, waren Absolventen der Akademie, darunter Xavi, Iniesta und Messi.

Die Netzwerke des Spiels können die Forscher um Buldú nicht nur statisch für ein gesamtes Spiel oder eine ganze Saison analysieren, sondern dynamisch auch von Minute zu Minute eines einzelnen Spiels – jedes Tor und jede Auswechslung wirken sich direkt auf das Gefüge aus. Diese dynamische Auswertung der Daten haben die Forscher bereits einigen Vereinen in Spanien angeboten, nach Auskunft von Buldú hat bisher aber noch niemand angebissen – mit der aktuellen Veröffentlichung könnte sich das ändern.

Lukas Wieselberg, science.ORF.at

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