Wo Europas Säugetiere leben

Wo genau leben die etwa 270 Säugetierarten, die es in Europa gibt? Ein neues Großprojekt erforscht ihre Verbreitung in 42 Ländern. Die Karten sollen auch zeigen, wie sich Bestände verändert haben.

Biber, Wolf und Goldschakal sind in Europa auf dem Vormarsch. Auch Elche und Braunbären erobern regional neue Gebiete. Der Europäische Nerz dagegen verschwindet zunehmend von der Landkarte - und etliche Fledermausarten sind stark rückläufig. Doch wie genau sieht es mit der Verbreitung der Säugetiere in Europa aus? Und vor allem: Wie haben sich deren Lebensräume in den vergangenen 25 Jahren verändert? Diese Fragen nimmt ein Großprojekt der Stiftung Europäische Säugetiere in den Blick: Es erforscht, wie die rund 270 Säugetierarten aktuell in Europa verbreitet sind, und hält deren Vorkommen auf Karten fest.

„Es ist ein Mammutprojekt“, sagt der Sekretär der Stiftung, Laurent Schley, in Luxemburg. Die Fläche, die kartiert werden soll, umfasse 11,5 Millionen Quadratkilometer in 42 Ländern: „Von Portugal bis zum Ural und von Griechenland bis Spitzbergen.“ Die Ergebnisse sollen 2024 in einem rund 600 Seiten dicken Atlas erscheinen. „Es ist das weltweit größte Kartierungsprojekt für Säugetiere“, betont der Biologe.

Möglicher Langzeitvergleich

Das Besondere sei, dass 1999 bereits eine erste Ausgabe des Atlas erschien - wenn auch nur für etwa die Hälfte der Fläche. „Das ermöglicht uns jetzt einen Langzeitvergleich, auch im Zuge des Klimawandels“, sagt Schley. Er steuert mit neun weiteren Wissenschaftlern das Projekt, das 73 nationale Koordinatoren einbindet. Die Informationen zur Verbreitung seien vor allem wichtig, um die Arten besser schützen zu können.

Holger Meinig ist einer der beiden deutschen Koordinatoren. „Das Projekt macht sehr viel Sinn“, sagt der Biologe aus Wuppertal. „Weil man kann immer nur da etwas schützen, wenn man weiß, dass da etwas ist.“ In Deutschland gebe es derzeit 107 Säugetierarten. Darunter etliche Besondere - mit „einem sehr hohen Anteil ihres Weltbestandes“ wie die Fransenfledermaus, das Graue Langohr - ebenfalls eine Fledermaus - und die Schabrackenspitzmaus. „Für diese Arten hat Deutschland eine besondere Verantwortlichkeit.“

Der Europäische Nerz sei auch in Deutschland ausgestorben, sagt Meinig, der gerade die nächste Fassung der deutschen Roten Liste mit erarbeitet hat. Es gebe derzeit zwei Ansiedlungsprojekte: am Dümmer See in Niedersachsen und im Saarland. „Drastisch“ sei die Lage beim Feldhamster, der etwa in Nordrhein-Westfalen ausgestorben sei. Dieses Jahr seien dort im ehemaligen Verbreitungsgebiet 128 Tiere ausgesetzt worden, um ihn wieder anzusiedeln. Und auch der Gartenschläfer verschwinde zunehmend.

“Am aufsteigenden Ast“

Auf dem „aufsteigenden Ast“ dagegen seien bundesweit der Biber, der Fischotter und der Wolf. Von Polen wanderten wieder Elche nach Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern ein: „Es hat auch schon eine Reproduktion gegeben.“ Und auch der Goldschakal ist an verschiedenen Stellen nachgewiesen worden. „Aber ohne Reproduktion.“ Der Luchs, für den es ein Wiederansiedlungsprojekt im Pfälzer Wald gebe, stagniere mit etwa 80 Tieren in Deutschland.

Meinig wird nun die verschiedenen Datenbestände aus den einzelnen Bundesländern für das Projekt zusammenführen. Dabei müsse das deutsche Erfassungssystem umgesetzt werden in Raster von 50 mal 50 Kilometer. „Das wird noch viel Arbeit.“ Zudem könne es sein, dass bei der einen oder anderen Art nochmal „nachgesucht“ werden müsse.

Rheinland-Pfalz beheimatet die Wildkatze, die hier nach Angaben der Landesregierung ihren bundesweiten Verbreitungsschwerpunkt hat. Mit schätzungsweise 1.500 bis 3.000 Tieren sei es das wichtigste Bundesland für die Wildkatze.

Um die Datensammlung in den europäischen Ländern zu unterstützen, ruft die Stiftung Europäische Säugetiere mit Sitz im niederländischen Nimwegen zu Spenden auf. Es müssten etwa Wildkameras, Ferngläser und Fledermausdetektoren gekauft werden. Die Unterstützung sei gerade in jenen Ländern wichtig, in denen es kaum finanzielle Hilfe von Seiten der Regierung gebe. Mit einer Spende könne man einen Beitrag zum Schutz der Säugetiere leisten, sagt Schley.

Birgit Reichert, dpa

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