Meeresspiegelanstieg wurde unterschätzt

Wie steht es um die Ozeane und Gletscher unseres Planeten? Ein Sonderbericht des Weltklimarats (IPCC) stellt dramatische Entwicklungen fest: Die gesamte Erdbevölkerung sei vom Abschmelzen der Eismassen betroffen.

Das Klima ist bereits jetzt so warm, dass viele vor allem kleinere Gletscher in den nächsten Jahrzehnten verschwinden werden. Auch in Österreich, erklärte der Gletscherforscher Georg Kaser von der Universität Innsbruck. Er hat an dem Bericht des UNO-Klimarats mitgearbeitet. „In vielen Bereichen wie vor allem in den Alpen wird ein Großteil der Gletscher bereits durch das aktuelle Klima abschmelzen. Da brauchen wir nicht warten, bis eine weitere Erwärmung stattfinden wird.“ Ändert man aber nichts und macht weiter wie bisher, verschwinden bis 2100 weltweit 80 Prozent der kleineren Gletscher in Zentraleuropa, im Norden Asiens sowie in Ostafrika und den tropischen Anden.

Problemzonen: Grönland und Antarktis

Global betrachtet ist die Gletscherschmelze vor allem für den Meeresspiegelanstieg problematisch. Aktuell tragen Gletscher ein Drittel dazu bei. Während etwa in Grönland das Eis durch die hohen Temperaturen schmilzt, bricht es in der Antarktis weg. Sorgen bereitet den Forschern vor allem die Westantarktis. „Hier haben Schelfeisstücke in der Größe von Tirol und größer begonnen wegzubrechen. Man hat beobachtet, dass die Ausflussgletscher stark beschleunigen.“

Schmelzenes Eis am Rande des Apusiajik-Gletschers vor der südöstlichen Küste Grönlands

APA/AFP/Jonathan NACKSTRAND

Der Apusiajik-Gletscher vor der südöstlichen Küste Grönlands

Das deutet darauf hin, dass die Westantarktis begonnen hat, instabil zu werden. Das hätte enorme Folgen für das Meeresniveau. „Die Antarktis würde dann sehr schnell instabil werden und am Ende den Meeresspiegel um sieben Meter ansteigen lassen.“ Deutlich merkbar würde das vor allem im nächsten Jahrhundert werden, da Meer wie Eis mit einer gewissen Verzögerung auf Veränderungen reagieren.

Info

Der Weltklimarat Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) ist eine Einrichtung der Vereinten Nationen mit 195 Mitgliedsländern. Der Rat trägt den Stand der aktuellen Wissenschaft zusammen und soll politischen Entscheidungsträgern eine Orientierung für Maßnahmen geben. An dem aktuellen Sonderbericht waren rund 100 Forscher und Forscherinnen beteiligt.

„Anstieg beschleunigt sich“

Stoppt man hingegen die Klimaerwärmung bei zwei Grad Celsius, rechnen die Forscher mit einem Anstieg von knapp einem halben Meter bis zum Ende des Jahrhunderts, ehe sich der Wasserstand irgendwann bei etwa plus einem Meter einpendelt. Allerdings steigt bereits jetzt der Meeresspiegel zunehmend an. Das macht der Vergleich des aktuellen Berichts mit früheren IPCC-Veröffentlichungen deutlich.

Zwischen 2006 und 2015 lag der Anstieg bereits bei 3,6 Millimetern pro Jahr und damit 2,5-mal höher als der durchschnittliche jährliche Anstieg zwischen 1901 und 1990, wie der „Summary for Policymakers“ des Sonderberichts zu entnehmen ist.

Das Meer steigt dabei nicht überall gleichmäßig an, sondern schwankt lokal um bis zu 30 Prozent. „Im Norden und Süden weichen die Ozeane zurück. In niederen Breiten wird der Spiegel ansteigen, was vor allem Inselstaaten und dichtbesiedelte Deltaregionen der Tropen betrifft.“

Meerwasser überflutet pazifische Insel

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Ejit-Insel im Majuro-Atoll: Pazifische Inselstaaten sind vom steigenden Meeresspiegel unmittelbar betroffen

Das warme Klima taut nicht nur das Eis auf, auch das Meer wird immer wärmer. Zusammen mit dem Süßwasser aus dem geschmolzenen Eis bildet sich eine Art Deckel auf der Meeresoberfläche, wodurch sich das Meerwasser an manchen Stellen kaum durchmischt. „Die warme Schicht bleibt an der Oberfläche und sättigt sich mit Sauerstoff. Durch die mangelnde Durchmischung kommt der Sauerstoff nicht mehr nach unten, was Lebewesen jeder Art in diesem Bereich vor ein Problem stellt.“

Versauerung tötet Korallenriffe ab

Zudem speichern die Meere ein Viertel der menschengemachten Treibhausgase, also jener Emissionen, die etwa durch Industrie, Landwirtschaft und den Verkehr ausgestoßen werden. Das CO2 verändert den pH-Wert des Meeres und macht das Wasser saurer. Das wiederum hat Auswirkungen auf die dort lebenden Tiere wie Muscheln und andere Schalentiere. Auch Korallenriffe sind stark bedroht, der Großteil wird bereits in knapp dreißig Jahren absterben. „Ähnlich wie die kleinen Gletscher in kleinen Gebirgen der Erde sind auch diese schon mit dem heutigen Klima nicht mehr überlebensfähig“, sagte Kaser.

Tauwetter herrscht zudem im Boden der Arktis. „Hier ist das ganz große Problem, dass viel gefaultes Material im Permafrost eingefroren ist. Wird das freigesetzt, werden Fäulnisprozesse die Kohlenstoff- und Methangasemissionen erhöhen.“ Ersten Hinweisen zufolge hat dieser Prozess punktuell bereits angefangen. „Wir hoffen aber, dass das großflächig noch nicht in Gang gesetzt worden ist.“

Verminderung der Emissionen unumgänglich

Das Tauen des Permafrosts betrifft auch den Wasserhaushalt und beeinflusst Pflanzen und Tiere. Beobachtungen zufolge wandern manche Tiere bereits nordwärts. Zudem wird der Boden instabil, was vor allem für die Bewohner der Arktis zum Problem wird, deren Häuser auf Permafrostboden gebaut sind. In Sibirien versucht man bereits mit technischen Lösungen gegenzusteuern, um die Häuser zu retten.

Ein Haus in Jakutsk, das auf Stelzen steht

APA/AFP/Mladen Antonov

Häuser in Sibiren sind auf einem Fundament aus Permafrost erbaut

Technologie allein wird auf lange Sicht aber nicht reichen. Um die Folgen des Klimawandels in einem Rahmen zu halten, wo technische Lösungen helfen, muss weltweit weniger CO2 ausgestoßen werden, so der Bericht. Lösungen, wie man die Erwärmung bei 1,5 Grad Celsius halten könnte, hat der Weltklimarat bereits letztes Jahr in einem detaillierten Bericht vorgelegt, sagte Kaser.

„Wirtschaftswissenschaftler, Politikwissenschaftler und Sozialwissenschaftler haben das schon lange aufbereitet. Es ist nicht unmöglich, aber es verlangt schon massive Anstrengungen.“ Die meisten Maßnahmen würden darüber hinaus auch wirtschaftliche und soziale Entwicklungen weltweit positiv beeinflussen, sagte der Gletscherforscher. Aktuell befindet man sich laut Forschern aber eher auf dem Weg in Richtung plus drei bis vier Grad.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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