Was bei Lampenfieber hilft

Lampenfieber liefert die nötige Energie für einen außergewöhnlichen Auftritt, doch viele Musiker werden von Aufführungsängsten richtig gequält – besonders in der Klassik, wo der Druck extrem hoch ist. Aber man kann etwas dagegen tun.

Ein verstohlener Blick durch den Vorhang auf das Publikum und das Herz rutscht vielen sprichwörtlich in die Hose: Nicht nur Amateur-Musikerinnen und -Musiker, auch Weltstars bekommen vor wichtigen Auftritten Lampenfieber. Das ist gut so, ist Matthias Bertsch von der Wiener Universität für Musik und Darstellende Kunst überzeugt. „Lampenfieber ist etwas Tolles! Es motiviert, gibt die Kraft auf der Bühne zu stehen und es überträgt sich auf den Hörer.“

Das ORF Radio-Symphonieorchester RSO

Wolfgang Hennings

Das ORF Radio-Symphonieorchester (RSO)

Mehrere Studien kommen aber zu dem Ergebnis, dass etwa die Hälfte aller Menschen, die beruflich musizieren, zumindest zeitweise unter hemmenden Aufführungsängsten leiden. Im Unterschied zu Lampenfieber wirken sie leistungsmindernd. Etwa 15 bis 25 Prozent der Profis haben regelmäßig große Angst davor die Bühne zu betreten, so der Musikwissenschaftler. Sie verspannen sich, können sich nur mehr schwer konzentrieren oder leiden unter angstbedingten Sehstörungen. Im schlimmsten Fall kommt es zu einem Blackout auf der Bühne.

Publikum erwartet Perfektion

Vom Pop-Star bis zur Orchestermusikerin kennen Musikschaffende aller Genres Lampenfieber und Aufführungsängste - in der Klassik ist der Druck aber besonders hoch. Das liege auch am Publikum. „Der Perfektionsanspruch ist in der Klassik deutlich höher als in der Popularmusik. Der Hörer kennt das Stück von der CD, er weiß der Pianist hat 20 Töne in der Sekunde zu spielen, er kennt genau die Struktur und erwartet genau diesen Ablauf“, so Bertsch. Dabei haben auch Bühnenstars einmal einen schlechten Tag oder ein krankes Kind daheim. Hängt die finanzielle Existenz von einem Auftritt ab, etwa wenn dieser darüber entscheidet, ob ein Orchester für weitere Konzerte gebucht wird, kann das eine große zusätzliche Belastung sein.

Ö1-Sendungshinweise:

Anlässlich des Ö1-Schwerpunkts zum 50. Geburtstag des Radio-Symphonieorchester RSO widmet sich auch ein Beitrag in der Sendung Wissen aktuell, 30.9., 13:55 Uhr, dem Thema.

Studien, wie etwa die der Music Industry Research Association (MIRA) in Zusammenarbeit mit der Universität Princeton, ergaben, dass professionelle Musikerinnen und Musiker deutlich häufiger zu Alkohol und anderen Drogen greifen, als die restliche Bevölkerung. Während Alkoholkonsum vor einem Auftritt nie eine gute Art sei, mit zu viel Stress umzugehen, können Medikamente in Ausnahmefällen helfen. Unter dem Namen Betablocker werden verschiedene Medikamente zusammengefasst, die die Wirkung des Stresshormons Adrenalin hemmen. Führt ein angstvoller Auftritt zu immer größer werdenden Ängsten bei jedem weiteren Konzert, können sie helfen, diese Spirale der Angst zu unterbrechen. Eine langfristige Lösung sind sie nicht, denn sie können psychisch abhängig machen, so Matthias Bertsch, der als Trompeter selbst viel Bühnenerfahrung hat. Grundsätzlich gelte: „Die Art der Betablocker und ihre Dosierung sollten immer mit einem Arzt besprochen werden.“ Sonst könne sich ein nervositätsbedingtes Zittern sogar noch verstärken.

Ganz entspannt auftreten

Damit es gar nicht erst soweit kommt, werde Nachwuchstalenten heute bereits in der Ausbildung beigebracht, wie sie gut mit den hohen Erwartungen von Lehrenden, Eltern und vielfach auch dem eigenen Perfektionismus umgehen können. Eine der besten Bewältigungsstrategien sei Sport. Besonders während einer Tournee, wenn der Stress groß, die Entspannungszeiten aber kurz sind, könne Sport helfen körperlich und geistig gesund zu bleiben. Manche Orchester werden deshalb etwa von einer Physiotherapeutin begleitet.

Pulte mit Notenblättern bei RSO

ORF/Joseph Schimmer

Pulte mit Notenblättern bei RSO

Techniken, bei denen die mentale Vorstellungskraft genutzt wird, können ebenfalls helfen mit Ängsten umzugehen. Beim Autogenen Training werden Sätze wie „Meine rechte Hand wird warm“ oder „Mein linkes Bein wird schwer“ genutzt, um körperliche Reaktionen hervorzurufen. Es muss regelmäßig geübt werden, damit es auch vor einem Auftritt wirkt. Auch die progressive Muskelrelaxation, bei der verschiedene Muskelgruppen angespannt und wieder entspannt werden, könne helfen. Denn eine innere Anspannung geht mit einem erhöhten Muskeltonus einher. Diese Verbindung kann auch umgekehrt genutzt werden - körperliche Entspannung führt dann auch zu einer entspannten Psyche.

Üben mit High-Tech-Unterstützung

Yoga, die Feldenkrais-Methode, Meditation bis hin zu Hypnose können ebenfalls helfen, Stress abzubauen, sich zu erholen und besser mit Belastungen umzugehen. Welche Entspannungstechnik am besten hilft, sei sehr individuell. Vielen Musikschaffenden helfen auch Rituale vor einem Auftritt, wie der immer gleiche Ablauf, das gleiche Essen oder dieselbe Art sich einzuspielen, so Bertsch.

Schon beim Üben kann gelernt werden, mit Störungen umzugehen. „Man sollte immer darauf achten, dass noch ein Element dazu kommt, das man nicht steuern kann. Zum Beispiel, dass jemand in der ersten Reihe sitzt, der einen irritiert oder dass das Licht plötzlich anders ist als gewohnt“, rät der Musikphysiologe. Derzeit arbeitet er daran, wie moderne Technik genutzt werden kann, sich optimal auf einen Auftritt vorzubereiten. 3D-Brillen, durch die man ein schläfriges, hustendes oder plauderndes Publikum beim Üben vor sich sieht, könnten Musikerinnen und Musikern in Zukunft bei der Vorbereitung helfen.

Lange Zeit war es ein großes Tabu, in der konkurrenzgetriebenen Musikbranche über vermeintliche Schwächen zu sprechen. Als Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Musik und Medizin möchte Matthias Bertsch Nervosität und Aufführungsängste enttabuisieren - niemand sei damit alleine. „Wir versuchen Medizinerinnen, Psychologen und Expertinnen, die auch Entspannungstechniken kennen, zu vermitteln“, so Bertsch. Besonders wichtig sei es aber, Lampenfieber bereits in der Ausbildung als etwas Positives, als ein gutes Gefühl zu erlernen, damit es sich nicht zu hemmenden Aufführungsängsten auswächst.

Lena Hallwirth, Ö1-Wissenschaft

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