„Erfolgsgesetz“, das nicht immer gilt

Wer das richtige Netzwerk hat, wird erfolgreich, so die vereinfachte Schlussfolgerung des Physikers Albert László Barabási. Das „Erfolgsgesetz“ gelte zwar für alle Berufssparten, wer aber arm geboren wird, hat dennoch meistens Pech gehabt.

Natürlich spielt Leistung eine wichtige Rolle beim Erfolg. Ein Sänger, der keine Töne trifft, wird nur mäßig Erfolg haben. Was aber, wenn mehrere Sänger gut singen oder mehrere Angestellte gute Arbeit leisten? Wie entscheidet sich, wer viele Preise bekommt bzw. befördert wird? Das hat der Physiker und Systemwissenschaftler Albert László Barabási jahrelang untersucht und seine Erkenntnisse in seinem Buch „The Formula – The Universal Law of Success“ zusammengefasst. Anlässlich der Veranstaltungsreihe „Leben Macht Sinn“ von der GLOBART Academy war Barabási in Österreich zu Gast.

science.ORF.at: Es gibt viele Bücher, die versprechen, den Schlüssel zu mehr Erfolg zu kennen. Was unterscheidet Ihr Buch von all den anderen?

Albert László Barabási: Es gibt viele tolle Bücher von erfolgreichen Menschen, die ihre Geschichte erzählen. Das ist inspirierend, aber es lässt sich nicht kopieren. Es gibt auch Bücher, die einige erfolgreiche Menschen beobachten und schauen, was sie gemeinsam haben. Sie kommen dann etwa zum Schluss: Wer erfolgreich sein will, muss um sechs Uhr in der Arbeit sein. Es fehlt aber die Kontrollgruppe: Es mag erfolgreiche Menschen geben, die um sechs Uhr zu arbeiten beginnen. Vielleicht findet man in Wien aber ganz viele erfolglose Menschen, die sogar um halb sechs in der Arbeit sind. Ohne Kontrollgruppe werden oft falsche Schlussfolgerungen getroffen. Alles, worüber ich rede, basiert hingegen auf einer großen Menge an Daten von erfolgreichen und nicht erfolgreichen Menschen. Wir haben beispielsweise die Karriere von jedem Wissenschaftler analysiert, vom Jahr 1900 bis heute. Wir wissen, wo wer studiert hat, was er oder sie publiziert hat, wo wer geboren und wo gestorben ist. Wir erkennen aus all diesen Daten, was einen Wissenschaftler weitergebracht hat und was nicht.

Was unterscheidet erfolgreiche von nicht erfolgreichen Wissenschaftlern? Ist der fleißigere Forscher, der am meisten in guten Journalen publiziert nicht automatisch auch der erfolgreichere? Zumindest wird das jungen Forschern und Forscherinnen so vermittelt: „Publish or perish“.

Barabási: Leistung und Erfolg sind nicht dasselbe. Egal wie viele Studien und Paper ich schreibe, wenn sie niemand zur Kenntnis nimmt und zitiert, bleibt der Erfolg aus. Niemand wird mich und meine Arbeit als wissenschaftlich relevant ansehen. Erfolg wird immer durch andere bestimmt. Ob ein Buch zum Bestseller wird oder nicht, bestimmen andere, andere stellen ein Kunstwerk aus oder bestimmen, wer befördert wird. Wie erfolgreich mein Paper ist, richtet sich danach, wie oft es zitiert wird. Das unterscheidet Erfolg von Leistung. Bei Leistung und Talent geht es um einen selbst. Wie ich die Studie ausarbeite, welchen Roman ich schreibe, wie gut ich singe. Erfolgreich wird man aber erst, wenn jemand die Leistung sieht, anerkennt und einen dafür belohnt.

Albert-László Barabási

ORF/Ursula Hummel-Berger

In Ihrem Buch kommen Sie vereinfacht gesagt zu dem Schluss: Erfolgreich ist, wer das richtige Netzwerk hat. Leistung spielt also gar keine so wichtige Rolle?

Barabási: Es gibt natürlich einen Zusammenhang zwischen Leistung und Erfolg. Ein schlechter Sänger, Autor oder Unternehmer wird in der Regel nicht dauerhaft erfolgreich sein. Auch mit dem besten Netzwerk nicht. Schwieriger wird es aber, wenn mehrere Menschen grundsätzlich gut sind. Die meisten von uns befinden sich in einem Umfeld, wo viele andere mehr oder weniger gleich gut sind und nicht mehr objektiv festgestellt werden kann, wer zehn Prozent bessere Arbeit leistet. Hier, wo wir die Leistung nicht mehr objektiv messen können, kommt das Netzwerk ins Spiel.

Wie ist das bei Ihnen? Sie kommen aus Rumänien, haben an der Boston Universität promoviert, waren Gastprofessor in Harvard, haben zahlreiche Auszeichnungen. Wie sehr ist ihr Erfolg ein Resultat des Netzwerks, in dem Sie sich bewegen?

Barabási: Ich bin mir sicher, dass ich genauso von Netzwerk-Effekten profitiert habe wie viele andere Menschen. Mit derselben Leistung in Transsilvanien, wo ich aufgewachsen bin, hätte ich weder die Sichtbarkeit noch den Erfolg gehabt, den ich bekommen habe, weil ich nach Boston gegangen bin und nun mit einer der besten Universitäten assoziiert werde. Aber um dort hinzukommen musste ich ein paar Hürden überwinden und Prüfungen bestehen, die nichts mit dem Netzwerk zu tun haben. In den meisten Leben ist es eine Kombination aus beidem.

Was ist mit Leistungssport? Hier spielt es doch eine Rolle, ob man schneller ist oder nicht?

Barabási: Sport ist ein Extremfall. Hier haben wir Messgeräte und Videoaufzeichnungen, um die Leistung eines Menschen genau zu messen und von anderen zu unterscheiden. In Bereichen wie diesen ist Leistung ausschlaggebend für den Erfolg. Investment gehört gewissermaßen auch dazu. Die meisten von uns arbeiten aber in Bereichen, wo es keine Messgeräte gibt, die unsere Leistung im Detail unterscheidbar macht. Je weniger sich die Leistung messen lässt, desto größer ist die Rolle des Netzwerks.

Können Sie ein Gegenbeispiel nennen?

Barabási: Moderne Kunst. Hier kann man Leistung gar nicht messen. Um herauszufinden, was einen Künstler erfolgreich macht, haben wir uns jede Ausstellung aller Museen weltweit in den letzten 40 Jahre angesehen. Unsere Datenbank umfasst damit die gesamte Ausstellungsgeschichte von einer halben Million Künstler und Künstlerinnen, auch jene, die in Wien und ganz Österreich ausgestellt wurden. Dabei wird ein unsichtbares Netzwerk aus Kuratoren, Galeristen, Sammlern bis hin zu Museen und Kritikern sichtbar, die letztlich bestimmen, wie erfolgreich ein Künstler, eine Künstlerin wird. Es ist die Position in diesem Netzwerk, die bestimmt, was die Gemeinschaft über die Arbeit denkt und wie die Karriere weiter verläuft. Wir können also sagen, ob eine Künstlerin, die hier in Wien ausgestellt wird, als nächstes im Museum of Modern Arts in New York oder in der Galerie an der nächsten Ecke gezeigt wird.

Albert László Barabási 2012 beim World Economic Forum in Tianjin, China

Ma cheng - Imaginechina

Albert László Barabási 2012 beim World Economic Forum in Tianjin, China,

Sie weisen in ihrem Buch darauf hin, dass Netzwerk nicht gleich Netzwerk ist – wie netzwerkt man sich erfolgreich?

Barabási: Ja, es geht nicht um sinnloses Netzwerken. Es hilft beispielsweise nicht, wenn man viele Freunde hat, die selbst bekannte Künstler sind. Das wirkt sich marginal auf den Erfolg aus. Es geht um die Institutionen, die Kuratoren, Sammler. Für alle gilt, man muss das Netzwerk kennen, das über den Erfolg entscheidet. Dieses Netzwerk muss man Schritt für Schritt aufbauen. Man muss auch wissen, was es kostet, wie viel Arbeit es, ist und dann entscheidet man, ob man den Weg geht oder nicht.

Würden Sie sich als guten Netzwerker bezeichnen?

Barabási: Als ich mit 26 Jahren Professor wurde, war ich sehr schüchtern, wie viele meiner Kollegen. Es kannten mich auch nicht viele. Mir war aber klar, es reicht nicht, Paper zu veröffentlichen. Die Forscher, die zu den großen in meinem Fach gehören, müssen mich kennen und ich muss sie kennen. Bei meiner ersten Konferenz, an der ich als Professor teilnahm, ging ich zu einem der ganz großen Nummern und sagte: „Hallo, ich bin László Barabási. Ich habe Ihre Arbeit gelesen, hätten Sie Zeit, mit mir Abend zu essen? Ich würde mich gerne darüber unterhalten.“ Ich war davon überzeugt, dass er sagen wird, ich soll verschwinden. Aber er sagte nur, Abendessen gehe nicht, aber vielleicht hätte ich mittags Zeit. Das war ein wichtiger Moment, in dem ich realisierte, niemand beißt einem den Kopf ab, wenn man auf sie zugeht und mit ihnen spricht. Vor allem nicht, wenn man ihre Arbeit kennt und anerkennt. Ich habe danach meine sozialen Fähigkeiten daran angepasst. Ich beherrsche die Kunst, mit anderen zu sprechen mittlerweile ziemlich gut. Menschen, die mich jetzt kennenlernen denken, ich bin sehr extrovertiert. Das habe ich mir angelernt. Tief drin würde ich mich am liebsten in meinem Zimmer verschanzen und Theoreme lösen.

Wie sehr hat man es tatsächlich selbst in der Hand, seine Position in den sozialen Netzwerken zu verändern? Vor allem, wenn man nicht schon in ein Netzwerk von Entscheidungsträgern hineingeboren wurde, sondern aus armen Verhältnissen kommt.

Barabási: Das ist eine schwierige Frage. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen ganz klar, dass die soziale Mobilität in der Gesellschaft stagniert. In erster Linie, weil Bildung teuer wird, auch in Ländern, wo keine Gebühren verrechnet werden. Bildung ist nicht gratis. Die Daten zeigen, dass sich die Reichen als Gesellschaftsklasse ebenso wie die Armen reproduzieren und der Austausch sinkt. In den USA ist es am schlimmsten. Hier ist der soziale Status ziemlich eingefroren. Das ist aber nicht neu: Vor einigen Jahren haben wir uns in einer Studie angesehen, wo Menschen, die wir heute bewundern, geboren wurden und wo sie gestorben sind. Wir gingen 2.000 Jahre zurück – von den Griechen bis heute. Menschen, die wir heute noch immer bewundern, wurden in erster Linie rund um kulturelle Zentren wie Athen geboren. Wer damals im heutigen Gebiet von Österreich oder Transsilvanien aufgewachsen ist, hatte keinen Zugang zu Bildung oder Ressourcen, um sichtbar zu werden. Egal wie klug man war. Die Umgebung spielte eine große Rolle. Heute sehen wir einen Trend, der wieder dahin zurückgeht. Wir verlieren auch heute noch viel Talente weltweit, weil Menschen keinen Zugang zu Wissen und Netzwerken haben.

Die Gesetze des Erfolgs sind also nicht für alle gleich?

Barabási: Nein, das sind sie absolut nicht. Klar gibt es Ausnahmen. Ich bin einer davon. Das Problem ist, wir schauen uns Beispiele wie meines an und sagen, es ist möglich. Aber in Wirklichkeit sprechen die Zahlen alle gegen uns, wenn man genau hinsieht. Es gibt so viele kluge Kinder in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Viel klüger als ich war. Sie konnten das aber nicht erreichen, weil sie nicht dieselben Ressourcen hatten, die ich in meiner Karriere hatte. Darin liegt das Problem. Es ist aber keine Frage der Wissenschaft, um das Problem zu lösen, sondern eine Frage des sozialen Willens. Es gibt unterschiedliche Mechanismen von Steuersystemen, freie Bildung, vom Kindergarten an, es gibt Mechanismen. Die Frage ist, wollen wir als Gesellschaft dafür zahlen?

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

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