„Ostarrichi“-Urkunde reist nach Wien

In der „Ostarrichi“-Urkunde aus dem Jahr 996 wurde zum ersten Mal der Name „Österreich“ erwähnt. Das Original, das ab 26. Oktober erstmals in Wien zu sehen ist, hat eine lange Geschichte hinter sich – und liegt üblicherweise im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München.

Ebendort wurde es am Montag im Rahmen einer Pressekonferenz „verabschiedet“. „Die ‚Ostarrichi‘-Urkunde ist eines der hochkarätigsten Stücke aus den Archivbeständen des Bayerischen Hauptstaatsarchivs“, sagte dabei Margit Ksoll-Marcon, die Generaldirektorin der Staatlichen Archive in Bayern. Ab dem Nationalfeiertag ist die Urkunde im Haus der Geschichte Österreich (hdgö) am Wiener Heldenplatz zu sehen, an diesem Tag sogar bei freiem Eintritt. „Ein idealer Zeitpunkt, um dieses einzigartige historische Dokument und seine Bedeutung für die Zeitgeschichte unseres Landes zu entdecken“, so hdgö-Direktorin Monika Sommer.

Ostarrichi-Urkunde

Bayerisches Hauptstaatsarchiv

Dass die Urkunde nicht in einem österreichischen, sondern in einem bayrischen Archiv liegt, ist historisch zu erklären – konkret mit dem Rechtsgeschäft, das in ihr festgehalten ist. Auf seiner Rückreise von Rom machte der frisch gekrönte Kaiser Otto III. am 1. November 996 in Bruchsal am Oberrhein im heutigen deutschen Bundesland Baden-Württemberg halt. „Otto III. übertrug mit dieser Urkunde dem Bischof von Freising Grundbesitz im Raum von Neuhofen an der Ybbs“, erzählt Bernhard Grau, der Direktor des Bayerischen Hauptstaatsarchivs. Diese Region liegt heute in Niederösterreich, gehörte damals aber zum Herzogtum Bayern. „Das Hochstift Freising war deshalb der Empfänger der Urkunde und hatte diese über die Jahrhunderte hinweg in seinem Archiv verwahrt. Noch am Beginn des 19. Jahrhunderts diente sie als Nachweis für die darin verbrieften Rechtsansprüche“, so Grau.

Ausstellungshinweis

„Ostarrichi. Die Karriere einer Urkunde“. 26.10. bis 3.11., Haus der Geschichte Österreich, Neue Burg, Heldenplatz Wien

Erst durch die Säkularisierung ging dieser Grundbesitz verloren. Zur gleichen Zeit übernahm das Kurfürstentum Bayern große Teile des Freisinger Archivs, insbesondere diejenigen Unterlagen, die Herrschafts- und Gerichtsrechte sowie die Beziehungen zu auswärtigen Staaten betrafen. „Damit kam auch die ‚Ostarrichi‘-Urkunde in die Verfügungsgewalt der bayerischen Zentralarchive“, so Grau.

In mehreren Schritten erstellt

Heute ist man überzeugt, dass die Urkunde nicht in einem Schritt erstellt und ausgefertigt wurde. Vielmehr wird angenommen, dass die Kanzlei des Kaisers zunächst nur den Schlussteil der Urkunde verfasst hat, das heißt, die Unterschriftszeile mit dem Monogramm, eine Zeile, in der der Name des für die Ausfertigung verantwortlichen Kanzlers, des Bischofs Hildibald, genannt wird, und die Datierung. Dagegen stammen das Eingangsprotokoll, vor allem aber der Rechtsinhalt im engeren Sinne, von der Hand eines Freisinger Schreibers. Ein solches Vorgehen war, so die Historiker, nicht ungewöhnlich und gilt daher sogar als ein Indiz für die Echtheit der Urkunde.

Rückseite der "Ostarrichi"-Urkunde

Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Hochstift Freising Urkunden 14

Rückseite der „Ostarrichi“-Urkunde

In Österreich selbst hat sich lange kaum jemand für die Urkunde interessiert - in der Ersten Republik hielten sich die meisten ja für Deutsche. „Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm sie aber eine wichtige Rolle auf der Suche nach einer neuen österreichischen Identität ein“, erklärt Sommer vom Haus der Geschichte. Vor allem Vertreter aus den Reihen der ÖVP mit Unterrichtsminister Felix Hurdes an der Spitze engagierten sich für die Idee, die Urkunde Kaiser Ottos zum offiziellen Anlass für das „Österreich-Jubiläum“ 1946 zu nehmen.

Namhafte Wissenschaftler beschäftigten sich mit der Urkunde, in den Wochen vor dem 1. November organisierten unterschiedliche Einrichtungen, Traditionsvereine und Sportverbände Festveranstaltungen und Gedenktage. Vertreter der Parteien bekannten sich zur „Nation Österreich“ in Abgrenzung zu Deutschland und versuchten, historische Argumente für die charakterliche „Eigenart“ der Österreicher und Österreicherinnen zu finden. Ende September 1946 brachte eine „Ostarrichi-Staffel“ eine Abschrift der Urkunde von Neuhofen an der Ybbs nach Wien.

1976 war Original erstmals in Österreich

Im Stift Lilienfeld wurde 1976 ein anderes großes Jubiläum gefeiert: „1.000 Jahre Babenberger“. Die Landesausstellung erzählte von der Babenbergerherrschaft, die ihren Ausgang im Jahr 976 in der „Mark an der Donau“ genommen hatte. Im Rahmen dieser Ausstellung wurde die „Ostarrichi“-Urkunde zum ersten Mal in Österreich gezeigt.

Noch ein zweites Mal, im Jahr 1996, stand die Urkunde im Mittelpunkt großer Feiern zu „1.000 Jahre Österreich“. Die „Österreichische Länderausstellung“ in Neuhofen an der Ybbs nahm das Jahr 996 zum Ausgangspunkt für eine intensive Auseinandersetzung mit Österreich, seinem Namen und seiner Geschichte. Ab Samstag ist die Urkunde nun erstmals im Original in Wien zu sehen – und zwar bis 3. November.

science.ORF.at

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