Insektenschwund durch Landwirtschaft

Vor zwei Jahren machte eine Studie aus Deutschland erstmals auf den dramatischen Insektenschwund aufmerksam. Neue Daten bestätigen: Die Landwirtschaft bringt Insekten zunehmend in Bedrängnis, auf manchen Wiesen ist ihre Biomasse seit 2008 um ein Drittel geschrumpft.

Es gibt sie noch, die blühenden Wiesen, auf denen im Sommer unzählige Insekten summen und brummen. Doch es ist stiller geworden in vielen Naturlandschaften: Auf Wiesen und in Wäldern sind deutlich weniger Insekten unterwegs als noch vor einem Jahrzehnt, wie eine neue Studie unter Leitung von Forschern der Technischen Universität München (TUM) belegt.

Die Wissenschaftler haben in drei Regionen in Deutschland Insekten und andere Gliederfüßer wie Spinnentiere oder Tausendfüßer in Wäldern und Graslandschaften gezählt. Bei dem „unglaublich großen Datensatz“ handle es sich um den ersten seiner Art, der auch standardisiert erhoben wurde, sagt der an der in „Nature“ erschienenen Studie beteiligte Forscher Jan Christian Habel von der Arbeitsgruppe Zoologische Evolutionsbiologie der Universität Salzburg.

Fliegende Biene

Frank Rumpenhorst/dpa

Bienen sind wichtige Bestäuber

Die Studie liefere den stärksten bisher verfügbaren Beleg für den Rückgang der Insekten, schreibt auch William Kunin von der University of Leeds in einem Kommentar zu der Studie: „Das Urteil ist klar. Mindestens in Deutschland ist der Insektenschwund real - und er ist so schlimm wie befürchtet.“ Bisher gab es in Deutschland nur vereinzelt größere Datensammlungen zur Entwicklung der Insektenzahlen in den vergangenen Jahrzehnten. Die Daten des Teams um Sebastian Seibold vom Lehrstuhl für Terrestrische Ökologie der TUM erweitern das vorhandene Wissen erheblich.

Die Forscher hatten von 2008 bis 2017 regelmäßig Insekten und andere Gliederfüßer an insgesamt 290 Standorten in folgenden Regionen gesammelt: auf der Schwäbischen Alb in Süddeutschland, im Hainich - einem bewaldeten Höhenrücken in Thüringen - sowie in der brandenburgischen Schorfheide. Die Wissenschaftler untersuchten 150 Standorte in Graslandschaften jährlich zweimal. Mit Netzen sammelten sie die Tiere von der Grasfläche. Von den 140 Waldstandorten wurden 30 jährlich unter die Lupe genommen, der Rest an drei Jahren innerhalb des Jahrzehnts. Sie fingen die Insekten dort mit Fallen.

Veränderte Naturlandschaften

Insgesamt analysierten die Wissenschaftler Daten von mehr als einer Million Insekten und anderen Krabbeltieren, die zu mehr als 2.700 Arten gehörten. Sowohl auf Wiesen als auch in Wäldern ging die Artenzahl im Studienzeitraum um etwa ein Drittel zurück. Auch deren Gesamtmasse nahm ab, besonders ausgeprägt in den Graslandschaften - um 67 Prozent. In den Wäldern schrumpfte sie um etwa 40 Prozent. Den Einfluss des schwankenden Wetters berücksichtigten die Forscher.

Biene auf Blüte, Wiese

APA/dpa/Gregor Fischer

Auf den Wiesen wird es still

„Dass solch ein Rückgang über nur ein Jahrzehnt festgestellt werden kann, haben wir nicht erwartet - das ist erschreckend, passt aber in das Bild, das immer mehr Studien zeichnen“, sagt Wolfgang Weisser von der TUM, einer der Initiatoren des Projekts. Erstaunlich sei auch, dass dieser Effekt zu beobachten ist, obwohl sich an der landwirtschaftlichen Praxis in den untersuchten Gebieten kaum etwas verändert habe, sagte Habel: „Trotzdem haben wir die negativen Effekte auf diesen Flächen. Das sollte uns sehr nachdenklich stimmen, weil es ein Indiz dafür ist, dass wir hier ein landschaftsübergreifendes Phänomen haben.“

Das heißt wiederum auch, dass einzelne kleine und isolierte Naturschutzgebiete nur wenig Entlastung bringen. Solche Restflächen inmitten großer durch Spritzmitteleinsatz und durch Gleichmachen der Landschaft in ihrer Biodiversität devastierter Gebiete bieten offenbar nicht genug Rückzug, so der Wissenschaftler, der das nachweisbare Durchschlagen der negativen Effekte auch auf Naturschutzgebiete hervorhebt. „Wenn ringsherum sozusagen Wüste ist, können sich die Populationen auch in Toplebensräumen über 20 oder 30 Jahre nicht halten“, so Habel. Kommen diese nämlich dort unter Druck, kann von außen auch kein Nachzug mehr kommen, weil die Landschaft in einer „richtig schlechten Verfassung ist“. Das sei ein Phänomen, das auch in österreichischen Naturschutzgebieten zu beobachten ist.

Alarmierte Insektenkundler

Der dramatische Rückgang der Insekten und seine Gründe werden seit einiger Zeit verstärkt diskutiert. Für Aufmerksamkeit sorgten vor allem die Analysen ehrenamtlicher Insektenkundler des Entomologischen Vereins Krefeld, die auf einen starken Insektenschwund in Teilen Deutschlands schließen lassen. Den 2017 im Journal „PLOS ONE“ vorgestellten Daten zufolge nahm die Gesamtmasse an Fluginsekten dort von 1989 bis 2016 um mehr als 75 Prozent ab. Zuvor hatten bereits andere, vor allem regionale Studien einen Insektenschwund gezeigt. „Bisherige Studien konzentrierten sich aber entweder ausschließlich auf die Biomasse, also das Gesamtgewicht aller Insekten, oder auf einzelne Arten oder Artengruppen“, sagt Sebastian Seibold.

In manchen Regionen Europas wurde punkto Insekten vielleicht schon ein ökologischer Kipppunkt erreicht. In Österreich sei das Bild in intensiv landwirtschaftlich genutzten Gebieten recht ähnlich, es gebe aber hierzulande doch deutlich mehr Ökolandwirtschaft als in Deutschland - wenn auch mit laut Habel „teilweise sehr moderaten Vorgaben“. Ein Vorteil für Österreich sei einfach, dass durch die Alpen die agrarische Intensivnutzung vielerorts nicht möglich ist. Trotzdem gehen in höheren Lagen aufgrund der Aufgabe der Bewirtschaftung von Almen auch Lebensräume verloren.

Bei all den schlechten Nachrichten müsse man im Auge behalten, dass sich natürliche Systeme in der Regel auch gut erholen können. Es brauche aber eine großräumige Aufwertung von Landschaften und nicht die Konzentration und Verinselung von Restartenvielfalt in kleinen, geschützten Gebieten. Es brauche also eine umweltverträglichere Landwirtschaft, etwa durch das Etablieren von Grünstreifen zwischen Feldern sowie gezielterem und dosierterem Einsatz von Spritz- und Düngemitteln.

Gemeinsame Anstrengungen

Die Studienautoren fordern gemeinsame Anstrengungen aller Akteure. „Aktuelle Initiativen gegen den Insektenrückgang kümmern sich viel zu sehr um die Bewirtschaftung einzelner Flächen und agieren weitestgehend unabhängig voneinander“, sagt Seibold. „Um den Rückgang aufzuhalten, benötigen wir ausgehend von unseren Ergebnissen eine stärkere Abstimmung und Koordination.“ Kommentar-Autor Kunin hält es für nötig, ein vergleichbar detailliertes Monitoring auch in anderen Teilen Europas und darüber hinaus aufzulegen. Dann könne man regulatorische Empfehlungen für die Landnutzung auf valider wissenschaftlicher Basis erstellen.

science.ORF.at/APA/dpa

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