Nicht nur Frage der Ärztedichte

Je mehr Hausärzte und -ärztinnen, desto besser die Gesundheitsversorgung: Laut einer neuen Studie Wiener Forscher ist diese Annahme zu einfach. Wichtiger sei es, wie leicht Patienten auf andere Ärzte und Ärztinnen in ihrer Umgebung ausweichen können.

„Wir haben uns angesehen, zu welchen Hausärzten die Patienten gehen und wo sie hingehen, sollte ihr Hausarzt ausfallen, beispielsweise, weil er oder sie auf Urlaub ist", erklärt Peter Klimek vom Complexity Hub und von der Medizinuni Wien. Während manchmal Patienten und Patientinnen zu ein oder zwei Kassenärzten ausweichen, verteilen sich die Patienten in anderen Fällen auf viele unterschiedliche Allgemeinmediziner in ihrer Nähe.

Stresstest für Österreich anno 2006/2007

Das lässt sich aus den Patientenbewegungen in Österreich aus den Jahren 2006 und 2007 herauslesen. „Verschieben sich Patienten nur zu wenigen Ärzten, werden diese Schwierigkeiten haben, alle aufzunehmen und ihnen zeitnah einen Termin zu ermöglichen. Dadurch kann es zu weiteren Patientenverschiebungen kommen und Patienten ganz herausfallen, weil es ihnen zu mühsam wird.“

Klimek und seine Kollegen haben aus den anonymisierten Patientenbewegungen nun ein Modell für Österreich gebaut und sich angesehen, was passieren würde, wenn in unterschiedlichen Gebieten Hausärzte dauerhaft wegfallen. „Wir spielen dann unterschiedliche Szenarien in diesem Modell durch und nehmen etwa an, in einem Gebiet gehen zwei, drei, vier Hausärzte in Pension. Dabei zeigt sich, wie gut das System die dadurch entstehenden Patientenverschiebungen auffangen kann.“

Kollaps bei 30 Prozent Pensionierungen

Im Durchschnitt wäre das österreichische Versorgungssystem 2006/2007 erst zusammengebrochen, wenn plötzlich 30 Prozent der damals beschäftigten Hausärzte in Pension gegangen wären. Im Detail gab es aber auch Regionen, die schon bei fünf Prozent theoretisch instabil geworden wären. Andere Gebiete in Österreich hielten wiederum eine Pensionswelle von 40 Prozent aus. „Als instabil gilt ein Gebiet in unserem Modell, sobald nicht mehr alle Patienten wohnortsnah einen Hausarzt finden. Es reicht also, wenn man für einen einzigen Patienten keinen Versorger mehr findet.“

Das Ergebnis der Komplexitätsforscher bedeute allerdings nicht, dass es zu viele Ärzte gibt, betont Klimek. Immerhin kann das Gesundheitssystem nicht durchgehend am Rande der Stabilität geführt werden, „ansonsten könnte die nächste Grippewelle bereits zum Kollaps führen.“

Zudem ergeben sich mit der Belastung des Gesundheitssystems schon vor dem Zusammenbruch deutlich längere Wartezeiten und/oder längere Anfahrtswege. „Wir haben das sehr großzügig gerechnet: Patienten können in der Simulation teilweise mehr als zehn Ärzte kontaktieren, bevor sie einen Termin kriegen.“ Hier ist anzunehmen, dass viele in der Realität nicht so geduldig sind und Instabilitäten bereits bei geringeren Prozentzahlen eintreten können, gibt der Wiener Forscher zu bedenken.

Salzburg Stadt instabiler als Land

Dass Ärztedichte und Bevölkerungsdichte nicht in erster Linie darüber entscheiden, wie gut Veränderungen abgefangen werden, zeigte das Beispiel Salzburg und Innsbruck. Beide Städte waren weniger robust, als ihr Umland, das mehr Pensionierungen ausgehalten hatte, ehe sich die medizinische Versorgung in dem theoretischen Stresstest verschlechtert hatte. Das heißt, auch ein System mit weniger Ärzten kann durchaus sicherer versorgt werden, wenn diese Ärzte gut untereinander vernetzt sind, schlussfolgert Klimek. „In der Stadt kann es wiederum sein, dass trotz eines besseren Verkehrsnetzes und grundsätzlich mehr Ärzten, die Allgemeinmediziner nicht so gut miteinander vernetzt sind.“

Wie viele Pensionierungen das Gesundheitssystem aktuell stemmen könnte oder wie gut es einer Epidemie standhält, ist noch nicht untersucht. Mit aktuellen Daten soll das Modell der Wiener Komplexitätsforscher künftig aber konkret Auskunft darüber geben, welche Stellen besonders geschützt werden bzw. schnell nachbesetzt werden müssen, und wo es vielleicht an Vernetzung fehlt, so Klimek.

Ruth Hutsteiner, Ö1-Wissenschaft

Mehr zu diesem Thema: