Sieben Mio. Kinder von Freiheitsentzug betroffen

Etwa sieben Mio. Kinder werden laut einer UNO-Studie weltweit ihrer Freiheit beraubt. Auch in Österreich gebe es Handlungsbedarf, heißt es in dem Bericht anlässlich des 30. Jahrestags der UNO-Kinderrechtskonvention.

Der unter der Leitung des Wiener Menschenrechtsexperten Manfred Nowak erstellte Studie mit dem Originaltitel „UN Global Study on Children Deprived of Liberty“ zufolge werden jährlich 410.000 Kinder in Haft genommen, eine Million sind demnach in Polizeigewahrsam. 330.000 Burschen und Mädchen würden als Migranten festgehalten. Weitere 5,4 Millionen Minderjährige müssten in Heimen leben, die ihnen keine Freiheit gewährten. Rund 35.000 Kinder würden in bewaffneten Konflikte „benutzt“ - etwa von Terrororganisationen wie dem „Islamischen Staat (IS)“ rekrutiert. In Zusammenhang mit „Nationaler Sicherheit“ (Stichwort: Terrorgesetz) nahmen Behörden weltweit 1.500 Kinder fest. Die Anzahl der Minderjährigen, die mit ihren Eltern (hauptsächlich mit ihren Müttern) in die Haft kamen, beträgt 19.000.

Nowak, der Mitgründer des Ludwig-Boltzmann-Instituts, verwies bei einer Pressekonferenz am Mittwoch in Wien auf einen starken geschlechterspezifischen Unterschied. Bei jenen Kindern, die weltweit aufgrund einer Straftat festgehalten werden, machen Burschen 94 Prozent, Mädchen hingegen nur sechs Prozent aus - obwohl Mädchen für ein Drittel, Burschen für zwei Drittel der Straftaten verantwortlich gemacht werden. Auch Kinder mit Behinderungen sind in der Strafhaft überrepräsentiert.

“Auch hierzulande Handlungsbedarf“

Die Erhebungen basieren auf einem Fragebogen mit Rückmeldungen von 92 nationalstaatlichen Regierungen sowie einer qualitativen Befragung von 274 Kindern und Jugendlichen im Alter von 10 bis 24 Jahren. Mit Abstand am meisten Kinder und Jugendliche befinden sich in den USA in Straf- oder Untersuchungshaft. Dort kommen auf 100.000 Einwohner 60 inhaftierte Kinder. Relativ hoch ist die Anzahl noch in südamerikanischen Staaten. In Westeuropa beträgt die Zahl fünf.

In Österreich sind der Studie zufolge 80 bis 90 Prozent der etwa 10.000 vom Freiheitsentzug betroffenen Kinder in sozialpädagogischen Einrichtungen untergebracht. Auch hierzulande „gibt es Handlungsbedarf“, betonte Kinderrechtsexperte und Studienmitarbeiter Helmut Sax am Mittwoch. Es müsste die „Unwissenheit der Kinder hinter den Mauern“ durchbrochen und ihre Rechte gestärkt werden, kritisierte Sax die fehlende Transparenz. Kinder sollten selber ihre Situation „überprüfen“ können.

Der Experte, der ebenfalls am Ludwig-Boltzmann-Institut tätig ist, zeigte sich optimistisch. Ein Nationaler Aktionsplan sei zwar noch nicht ausgearbeitet, allerdings werte er die große Unterstützung Österreichs bei der Durchführung dieser Studie als Anzeichen dafür, dass es auch bei der Umsetzung Engagement geben werde. Gespräche, so Sax, werde es mit den verschiedenen Ministerien und Organisationen geben müssen. Es gebe bereits ein höheres Bewusstsein betreffend der Gewalt in Einrichtungen, allerdings fehle eine „Zusammenschau - Lessons learned“ quasi.

Grundsätzliches Umdenken

Auch Nowak konstatierte ein „grundsätzliches Umdenken“ in Österreich. Er appellierte an die Verantwortlichen, die entsprechenden Institutionen abzuschaffen und durch stärkere Unterstützung für Familien, Pflegefamilien und ähnlicher Konstellation zu ersetzen.

Die Autoren warnen in der Studie vor den Folgen der Freiheitsberaubung: Die Anzahl psychischer Krankheiten bei Kindern könne sich in Gewahrsam verzehnfachen. Zudem sterben die Betroffenen demnach im Schnitt deutlich früher als Gleichaltrige, die in Freiheit gelebt haben.

Konkret legten die Studienautoren sechs Empfehlungen: Das Mindestalter für Strafmündigkeit sollte bei mindestens 14 Jahren liegen. In Togo, erinnerte sich Nowak an einen Besuch, können Siebenjährige eingesperrt werden. Bei Kindern, die mit ihren Eltern in Haft aufwachsen, sollten bessere Alternativen ausgearbeitet werden wie z.B. spezialisierte Unterkünfte. Freiheitsentzug in Bezug auf Migration (Stichwort: Schubhaft) sollte abgeschafft werden, Kinder, die im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten oder „Nationaler Sicherheit“ inhaftiert sind, seien vorrangig als Opfer zu behandeln. „Kinder haben ein grundsätzliches Recht auf persönliche Freiheit. Deshalb müssen Staaten Lösungen finden, die nicht mit Haft verbunden sind“, betonte Nowak.

science.ORF.at/APA

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