„Ich finde den Mond langweilig“

Viele Nationen wollen zum Mond, dabei wäre der Mars das viel spannendere Ziel, meint der ehemalige Generalinspekteur der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA), Rudolf Schmidt. Der Mond sei ein teurer und unnötiger Umweg.

Im Interview mit science.ORF.at erklärt der pensionierte Physiker, warum heute – anders als zu Kennedys Zeiten - die Bereitschaft für Risikos und klare Entscheidungen fehlt und was das mit den Medien zu tun hat.

science.ORF.at: Herr Schmidt, sie sind als technischer Generalinspekteur der ESA nicht mehr aktiv – aber mit ihrem Wissen: Wo stehen Sie bei der großen Debatte um bemannte Missionen zu Mond oder Mars? Die Sorge ist ja, dass sich beides gleichzeitig finanziell nicht ausgeht.

Rudolf Schmidt: Wenn Sie mich um meine Meinung fragen: Ich finde den Mond langweilig. Wir waren schon dort. Kennedy und seine Leute haben vor 50 Jahren vorgemacht, wie man das innerhalb eines Jahrzehnts schafft. Wir brauchen heute für die Diskussion länger als damals für die Mission! Ich sehe den Mond als Ablenkung: Man will irgendetwas machen, die großen Industrien in Amerika und Europa brauchen Aufträge.

Rudolf Schmidt im Dezember 2003. Damals war er Leiter der Mission “ Mars Express“

APA/HARALD SCHNEIDER

Rudolf Schmidt im Dezember 2003. Damals war er Leiter der Mission “ Mars Express“

Zum Mars kommt man nur mit einer großen und schweren Entscheidung. Mars heißt: Geld reinstecken - das kann man nicht so halb machen. So wie Kennedy damals gesagt hat: Wir machen etwas Großes, nicht weil es einfach ist, sondern weil es schwer ist. So eine Entscheidung brauchen wir heute wieder, dann schaffen wir den Mars.

Es gibt aber Stimmen, die sagen, der Mond ist eine Investition, ein erdnahes Versuchsgelände oder Testgebiet für Ausrüstung und Technologie, eine Plattform für Deep Space Missionen - ist der Mond als Basis nicht nachhaltiger?

Schmidt: Das sind alles Folgeargumente, um zu verteidigen, warum man auf den Mond geht. Tatsächlich geht man ja gar nicht auf den Mond, sondern man baut eine Raumstation, die um den Mond kreist. Es ist ein Umweg, der technologisch nicht notwendig ist und extra kostet. Zu Kennedys Zeiten war der Mond genauso weit weg wie heute der Mars ist. Aber uns ist die Risikobereitschaft, der Wille, Verantwortung zu übernehmen, verloren gegangen.

Oder fehlt in der Hinsicht einfach ein „Space-Race“ zwischen zwei Weltraummächten (wie im kalten Krieg), das den Druck aufbaut?

Schmidt: Das kann durchaus mitspielen. Aber ich denke mir oft, heutzutage würde es keinen Christopher Kolumbus geben. Leute würden in den Medien aufstehen und sagen, der Mann ist verrückt, der fliegt über die Kante der Erde und ist dann weg! Dieses Risiko kann kein Politiker übernehmen! Während Kolumbus damals eben gesagt hat, probieren wir’s…

Woran glauben Sie liegt das?

Rudolf Schmidt ist studierter Physiker. Er war ab 1982 Mitarbeiter der ESA, bis 1996 als Wissenschaftler, danach im Management. Unter anderem war er Leiter der Mission “ Mars Express“. Heute lebt er im Ruhestand in der Steiermark und hat unter anderem beim Filmprojekt „Der Marsianer“ als wissenschaftlicher Berater gearbeitet.

Schmidt: Man muss sagen, da sind Medien daran beteiligt. Bei unserer Mars Express-Sonde „Beagle“ war das Medienecho, wie großartig das Projekt ist. Bis zu dem Zeitpunkt, als wir den Kontakt zum Landefahrzeug verloren haben. Danach war es eine 180-Grad-Wendung: Geldverschwendung, man hätte so etwas wissen müssen, das kann gar nicht funktionieren, etc. Wenn man mit so etwas konfrontiert ist, fragt man sich auch, wozu Risiko übernehmen? Wenn etwas gut geht, gibt es viele Sieger. Wenn es ein Problem gibt, bleibt das an ein oder zwei Leuten hängen.

Ist das nicht auch ein Unterschied zwischen NASA und ESA, Amerika und Europa? Wenn so etwas bei der NASA passiert, dann gibt es sofort Presseaussendungen, Experten, die das Projekt weiter loben, Daten dazu, was man alles erreicht hat.

Schmidt: Das ist völlig richtig. Auch bei der NASA geht einiges schief – aber die amerikanischen Journalisten sagen, wie toll, dass man so weit gekommen ist! Es hängt vielleicht mit der europäischen Mentalität zusammen. Risikoscheu. Sich nicht vorbereiten, dass auch der schlimmste Fall eintreten kann, und die Augen davor verschließen.

Glauben Sie, dass die Öffentlichkeit von der Arbeit der ESA genausoviel mitbekommt wie von der NASA?

Ö1-Sendungshinweis:

Dem Thema widmet sich auch ein Beitrag im Mittagsjournal am 28.11. um 12:00

Schmidt: Dinge, die von der ESA kommen haben nie diesen Impact. Und als ESA-Mitarbeiter will ich nicht voreingenommen sein, aber unsere Missionen stehen auf gleichem Niveau wie die der NASA, technisch und wissenschaftlich. Aber wir haben nur ein Zehntel des Budgets, darum können wir keine so riesigen Missionen machen wie die NASA, das sind einfach budgetäre Zwänge.

2017 haben wir 50 Jahre Weltraumvertrag gefeiert, darin geht es vor allem um die friedliche Nutzung des Weltraums. Die USA und auch Frankreich haben Weltraumkommandos angekündigt. Ein Berater der US-Regierung, Scott Pace, hat auch wissen lassen, dass die USA den Weltraum nicht als Gemeingut betrachten wollen. Glauben Sie, wird in Hinblick auf interessante Rohstoffe, Satelliten zur Navigation und Überwachung und privater Raumfahrtprojekte der Weltraum friedlich bleiben?

Schmidt: Raumfahrt war immer „dual use“ – eben zweischneidig. Die friedliche Nutzung von Raketen und Raketentreibstoffen ist nicht loszulösen von militärischen Anwendungen – das geht mit nur einem leichten Drehen an ein paar Knöpfen. Wie sich das heute entwickelt, ist von außen schwer einzuschätzen. Einige Länder – USA, China, Russland, Indien, Frankreich – haben da sicher Möglichkeiten.

Marssonde Beagle 2

ESA - Illustration by Medialab

Schmidt leitete die Marsmission mit „Beagle 2“ (2003)

Die Amerikaner haben ein „Mini-Shuttle“, von dem man hin und wieder hört – das ist vor Kurzem nach gut zwei Jahren aus dem Weltraum zurückgekommen, und keiner weiß, was dieses kleine Weltraumflugzeug dort gemacht hat. Es scheint hoch manövrierbar zu sein, das heißt, es könnte durchaus Satelliten anderer Nationen aus großer Nähe in Augenschein genommen haben - welche Sensoren oder waffenfähige Systeme dort sind. Und es ist nicht auszuschließen, dass auch China oder andere Staaten sich schon gegenseitig im Weltraum besuchen. Darauf hinzuweisen, scheint, dass auch die französische Weltraumbehörde beschlossen hat, ihre Satelliten besser schützen zu müssen.

Abgesehen vom Militär – wohin glauben sie entwickelt sich die Raumfahrt in den nächsten Jahrzehnten?

Schmidt: Wegen der Vorlaufszeiten kann man schon ungefähr einschätzen, was in den nächsten zehn Jahren an Missionen ansteht - interessant wird es darüber hinaus. Aber auch hier ist es schwierig eine Einschätzung zu geben, denn es gibt immer wieder radikale Innovationen. Das habe ich auch in meiner Karriere erlebt: Vor zehn oder 15 Jahren hätte jeder gelacht - auch ich - wenn jemand gesagt hätte, er würde mit einer privaten Firma eine Rakete entwickeln, die auch noch funktioniert und Satelliten ins Weltall bringt. Und jetzt haben wir Elon Musk und SpaceX. Und bei solchen Innovationen weiß man, dass die Dinge ab sofort anders laufen werden. Die Nutzung von Satellitendaten wird ein wichtiger Geschäftszweig; die Erdbeobachtung wird auch wissenschaftliche Daten liefern - und da spielt Europa mit dem Copernicus-Programm eine wichtige Rolle.

Die USA haben seit 2011 eine Direktive, die der NASA eine allzu enge Zusammenarbeit mit China untersagt. Wie würde sich die ESA entscheiden, sollte man sich jemals für einen der beiden Kooperationspartner entscheiden müssen?

Schmidt: Wenn es zu so einer Crux käme, können es nur die USA sein – obwohl das völlig falsch wäre. China ist die Zukunft, das sind fähige Leute. Und der Westen hat diese Generation zum großen Teil ausgebildet. Nur, wir sind in eine westliche Allianz eingebunden. Aber wenn es zu so einer Entscheidung käme, dann käme es wahrscheinlich nicht nur im Weltraum zu einer Entscheidung gegen China.

Was würden Sie gerne noch erleben, dass in der Raumfahrt passiert?

Schmidt: Dass wir den Mars erreichen.

Interview: Isabella Ferenci, Ö1-Wissenschaft

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